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England wirtschaftet gegen James Bond

Major will über den Aufschwung die Wahlen gewinnen — auch gegen den National-Schotten Connery  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Das britische Wahlgesetz bietet der jeweiligen Regierungspartei einen immensen Vorteil: Sie allein kann den Termin für die Parlamentswahlen festlegen. Freilich ist der Spielraum nicht unbegrenzt. Innerhalb von fünf Jahren muß gewählt werden, Premierminister John Major muß die WählerInnen also vor Juli 1992 an die Urnen bitten. Deshalb hat er eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen, um die Chancen für die Torys zu verbessern, denn ihr Schicksal hängt vor allem vom Zustand der Ökonomie ab.

Nach Senkung des britischen Leitzinses Anfang des Monats auf 10,5 Prozent liegt er nur noch um ein Prozent über dem deutschen Lombard- Satz — eine gute Nachricht für ein Volk von hypothekenbelasteten HausbesitzerInnen. Darüber hinaus fällt die Inflationsrate stetig und wird im September unter vier Prozent liegen. Damit ist sie erstmals seit 20 Jahren niedriger als die deutsche Teuerungsrate. An der Arbeitslosigkeit ändert das freilich wenig: Die Zahl der Erwerbslosen ist auf über 2,5 Millionen angestiegen.

Die Frage nach dem Wahltermin hat mittlerweile sämtliche weltpolitischen Ereignisse aus den britischen Schlagzeilen verbannt. Die wettfreudigen Briten favorisieren den November, obwohl sich der Aufschwung, den Major seit seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr beschwört, kaum eingestellt hat. Doch das Risiko, die Wahlen auf das Frühjahr zu verschieben, ist für die Konservativen noch größer. Zum einen könnte eine Erhöhung der deutschen Leitzinsen die Londoner Regierung jederzeit zwingen, auch die britische rate wieder anzuheben. Dazu kommt Majors Ankündigung, daß die Neuverschuldung im nächsten Jahr die angepeilten zwölf Milliarden Pfund (rund 35 Milliarden Mark) weit überschreiten wird. Das wiederum kann zu einem Vertrauensverlust an den Finanzmärkten führen, wodurch das Pfund geschwächt würde.

Auch bei der Inflation ist mit einer Steigerung zu rechnen, was im Wahlkampf zum Problem wird. Außerdem könnte die Kopfsteuer, über die schon Thatcher stürzte, auch zu Majors Sargnagel werden. Darüber hinaus wird der Gesundheitsdienst immer mehr zum Wahlkampfthema. Major versucht verzweifelt, den Schaden, den seine Vorgängerin angerichtet hat, zu reparieren. Thatcher hatte weite Teile des öffentlichen Gesundheitswesens privatisiert — mit dem Erfolg, daß die Qualitätsschere zwischen kostenloser schlechter Behandlung und teurer privater Behandlung noch weiter auseinanderklafft als vor ihrem Amtsantritt im Jahr 1979. Auch der Bildungsbereich leidet unter den drastischen Kürzungen im Staatshaushalt. Major versucht heute, sich von Thatchers Politik zu distanzieren, indem er eine deutliche Verbesserung der Dienste bis zum Jahr 2010 verspricht — was ihm so recht niemand glauben mag: In einer Umfrage des 'Observer‘ gaben 49 Prozent der Befragten an, daß sie wegen des Abbaus im öffentlichen Gesundheitswesen nicht für die Konservativen stimmen würden.

Schließlich befürchtet die Regierung in London, daß Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Präsident Francois Mitterrand den Prozeß der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nach dem EG-Gipfel im Dezember forcieren werden, was Major vor die wahlkampftaktisch schwierige Entscheidung stellen würde, sich entweder aus dem Prozeß auszuklinken oder eine Abspaltung der Thatcher-Rechten zu provozieren.

Obwohl November-Wahlen für die Torys also günstiger erscheinen, plädieren Finanzminister Norman Lamont und der Tory-Vorsitzende Chris Patten für eine Verschiebung auf April. Patten geht es vor allem darum, möglichst viel Zeit seit Thatchers Rücktritt verstreichen zu lassen. Dann ließe sich seine Botschaft besser verkaufen, daß der Thatcherismus endgültig tot sei. Letztlich wird Major seine Entscheidung von den Meinungsumfragen abhängig machen, die in Großbritannien ein beliebtes Sonntagsvergnügen sind. Ein Trend läßt sich dabei jedoch nicht ausmachen: Hatte die Labour Party noch im August neun Prozent Vorsprung, so lag sie vor einer Woche plötzlich um fünf Punkte zurück. Das Wechselbad läßt Major zaudern — was er sich leisten kann: Zwischen Auflösung des Parlaments und Wahltermin müssen nur 17 Werktage liegen.

Ohnehin hat der Wahlkampf längst begonnen. Dabei ist den schottischen Nationalisten von der linken SNP ein besonderer Coup gelungen: James Bond alias Sean Connery, der wohl berühmteste Schotte, hat sich der schottischen Unabhängigkeit verschrieben. Die SNP hat inzwischen eine „Regierung auf Warteposten“ gegründet, die 1993 das Ruder in Edinburgh sowie die Förderung des schottischen Nordseeöls — „Schottland ist potentiell eins der reichsten Länder Europas“ — übernehmen will. Parteisprecherin Margaret Ewing verglich Schottland mit den baltischen Staaten und warf der Londoner Regierung vor, stalinistischer als das alte Sowjetregime zu sein — in Anbetracht der britischen Wirtschaftsprobleme wird Major diese Töne nicht gerne vernehmen.

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