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Ein Leben ohne den menschlichen Ölschlick

■ Ein Abgesang zu der letzten Dallas-Folge, die es heute als „Endspiel“ zu sehen gibt, ARD, 20.15 Uhr

Gibt es ein Leben nach dem Ende von Dallas? Diese Frage müssen sich all jene hartgesottenen Dauerfreunde stellen, für die am heutigen Freitag ein Alptraum zur Wirklichkeit wird: Nach 10 Jahren und 356 Folgen, ist die scheinbar unendliche Geschichte von Reichtum, Sex und Korruption aus, das Moralitätenspiel der „Decade of excess“, das seit dem 30.Juni 1981 über die deutschen Bildschirme flimmerte, verabschiedet sich von jenen, für die der allwöchentliche Dienstag-Termin Dallas-Tag war. Dallas, die erfolgreichste Seifenoper aller Hauptsendezeiten, ist tot.

„Der menschliche Ölschlick J.R.“ ('Time-Magazine‘) ist am Ende, sein Spiel um die Petro-Dollars ist aus und der Untergang des Hauses Ewing unausweichlich: Daddys Firma ist verloren, die Familie ist auseinandergerissen, die schönen Frauen sind fort; und der Mann mit dem Stetson-Hut, der wie kein anderer die Habgier der achtziger Jahre verkörperte, sitzt einsam und ausgebrannt in der dunklen Southfork- Ranch, alleingelassen, mit einem Revolver an der Schläfe und seinen Erinnerungen an bessere Zeiten.

Herrlich, wie sich damals immer die ganze Familie am jetzt verödeten Swimming-Pool zusammenfand, als Sue Ellens alkoholgetränkte Haßtiraden auf den Ehemann das Haus mit zynischem Leben erfüllten, als Pamela noch mit debilem Charme in Bobby den Rest von Anstand und Unschuld suchte, den sie zu finden verdiente. Und dann der alte Jock, Oberhaupt der Ewings und mächtiger Boß in Cowboy-Klamotten, der heimlich Zigaretten hinterm Corral rauchte, aus Angst vor Miss Ellie — ausgerechnet vor Miss Ellie, der verständnisvollsten Mater familias, die jemals das Licht hinter der Mattscheibe erblickt hat. Oder Lucy, das ewig frühreife Sex-Pummelchen, wie sie es doch immer wieder schaffte, Ray und anderen Boys ein lüsternes Hecheln abzuringen. Und dann die allabendlichen Dinner-Rituale, bei denen J.R. unfehlbar Pamela der Konspiration mit Cliff Barnes bezichtigte und bei denen Bruder Bobby nie wie sonst so oft mit nacktem Oberkörper auftreten durfte. Erinnerungen an ferne Tage, Bilder aus den glorreichen ersten Dallas-Jahren, als die Schlußszenen noch den Namen Cliffhanger verdienten, Einschaltquoten-Rekorde gebrochen wurden und für einige Dallas Alles bedeutete.

In letzter Zeit bedeutete Dallas nur noch Langeweile und J.R. (Larry Hagman), einst der beste Serienschurke des Fernsehabend-Landes, grübelt darüber nach, ob jetzt der passende Moment für den Gnadenschuß gekommen ist. Als vor einigen Monaten der Abschied der Ewings in den amerikanischen Medien angekündigt wurde, fragte so mancher Golfkrieg-Sieger erstaunt, ob die Öl-Familie denn tatsächlich noch anwesend wäre. Die meisten Amerikaner hatten längst auf die Simpsons umgeschaltet oder ließen sich von David Lynchs Twin-Peaks- Verwirrspiel faszinieren. Und in der Bundesrepublik konstatierten die Meinungsforscher überwiegend Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod von Dallas. Schlimmer noch: Ein Viertel des befragten Fernsehvolkes bekundete sogar hämische Freude über das Ende der korrupten Öl-Aristos, die man früher so zu hassen liebte.

Dallas hat seinen Zweck als visualisierter Mythos des Ellbogen-Lebensstils erfüllt und kein noch so aufgemotzter Hochglanz-Epigone konnte ähnliches vollbringen: Menschen in über 50 Ländern kannten Southfork und Miss Ellie besser als die eigenen vier Wände und Verwandten. Bar- und Kinobesitzer aller Nationen seufzten regelmäßig einmal die Woche über das Ausbleiben selbst der zuverlässigsten Kundschaft. Die Stadt Dallas galt fortan nicht mehr als der Ort, in dem John F. Kennedy ermordet, sondern in dem J.R. Ewing angeschossen wurde. Mehr Amerikaner interessierten sich für den Mordversuch an einem TV- Schurken als die, die an den Präsidentschaftswahlen teilnahmen (letzteres ist wahrscheinlich gar nicht so sensationell).

Einzigartig aber war die Heftigkeit des Kritikersturms, der den zur globalen Ranch gewordenen Erdball Anfang der achtziger Jahre überzog. Erschreckte Kunstwächter deuteten Dallas als Zeichen für den Untergang des Abendlandes, Politiker wie der französische Minister Jack Lang bangten angesichts der Beliebtheit von J.R. um Europas kulturelle Identität und Feministinnen riefen die Frauen dieser Welt zum Boykott auf; die Linke fand Dallas systemstabilisierend und die Rechte gab ihr recht — außer ein paar Hochfinanzler, die sich durch die Serie karikiert fühlten; in einer seiner Stern-Stunden stimmte der 'Spiegel‘ mit letzterem überein und nannte Dallas das „erste vollmarxistische Kunstwerk made in USA“. Doch dieser originelle Ruf ging unter im massendidaktischen Kampfgeschrei der besorgten Intelligenz und ein beträchtlicher Teil der zu idiotischen Opfern erklärten Zuschauer lernte schuldbewußt und voller Scham die Sucht am Dienstag unter dem Deckmantel der Ironie zu verbergen.

Aber dies ist alles Schnee von vorgestern. Die Kulturpolizei kümmerte sich bald nicht mehr um J.R., denn der Dallas-Wahn ließ nach. Die TV-Produzenten hatten fälschlicherweise angenommen, die Fangemeinde teile die wachsende Begeisterung der Drehbuchautoren für Ausflüge ins Genre des phantastischen Films. Daß Sue Ellens Schwester Kristin erst der Schauspielerin Colleen Camp ähnelte, sich ihr Gesicht dann über Nacht zu dem von Bing Crosbys Tochter verformte, war noch in Ordnung; aber als Miss Ellie plötzlich — und ohne daß die Ewings es merkten — aussah wie Donna Reed, reagierte die Anhängerschaft mit Unverständnis und die ersten verließen Southfork für immer.

Entscheidender Höhepunkt der übernatürlichen Erscheinungen war die Wiederkehr des verstorbenen Bobby unter der Dusche. Nur wenige Freunde der Seifenoper begriffen diese glänzende Anspielung auf das Zombie-Genre und die Hitchcock- Tradition; sie zeigten eine dementsprechend geringe Begeisterung für den versöhnlichen Drehbuch-Einfall, daß „Pin up Pam“ 26 Folgen lang einfach nur von einer Bobby-losen Welt geträumt haben sollte. Als schließlich im genialen Pop-Zitat eine gereifte Barbara „Jeannie“ Eden dem Ex-Astronauten Larry „J.R.“ Hagman das Serienleben erneut zur Hölle machte, schaute die angesprochene Intelligenz doch lieber noch einmal der jungen Jeannie beim Zaubern zu — sofern sie in der zweiten Reihe sitzen durfte.

J.R. hat also heute abend allen Grund, sich das schurkische Gehirn wegzublasen und zunächst sieht er auch willig aus. Doch Mr. Mies hält inne und so beginnen die letzten 90 Minuten Dallas, in denen Zitat und Soap Opera, phantastischer Film und Ironie zur perfekten Einheit verschmelzen. Aus dem Nichts und geisterhaft erscheint dem Ölhändler Joel Grey, Oskar-gekrönter Conferencier aus Cabaret, und zeigt dem Lebensmüden, was bereits der Engel in It's a Wonderful Life James Stewart gezeigt hatte: wie die Welt ohne ihn gewesen wäre: Trotzkopf Bobby verkommt ohne den bösen großen Bruder zum miesen Zocker, Sue Ellen macht fröhlich und abstinent TV- Karriere und Cliff, der Donald Duck im Dallas-Universum, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Eine schreckliche Vision? J.R. jedenfalls fühlt sich zum Kotzen und dem Zuschauer wird klar, daß Joel Grey nicht ein Engel, sondern der Teufel ist — gekommen, um das geliebte Ekel in den Tod zu treiben und uns die zukünftige Fernsehwelt ohne J.R. vorzuführen.

Doch ob die Höllenmächte siegen, bleibt letztendlich ungewiß, denn auch Folge 356 endet mit einem Cliffhanger: man hört einen Schuß, Bobby eilt herbei, sieht etwas, was wir nicht sehen, murmelt „Oh, mein Gott“ in Nahaufnahme und... Abspann.

Welch niedere Absichten die Produzenten auch immer zu diesem ungeklärten Finale bewegt haben — man munkelt von interessierten Sendern und Fortsetzungen — diese letzte Folge ist eine Trauerarbeit, wie sie die größte aller Seifenopern verdient hat. Jens Hinricher

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