: Ein Jahr vor Kohlympia: Spott frei!
In nur einem Jahr gesamtdeutscher Sporteinheit wurden der „Staatssport der ehemaligen DDR“ und der „freie Sport der ehemaligen BRD“ erfolgreich zusammengeführt — sagt Innenminister Schäuble ■ Von Hagen Boßdorf
Berlin (taz) — Nach nur einem Jahr gemeinsamen Sporttreibens sind die vereinten Deutschen die allerbesten SportlerInnen der Welt. Das „Team Olympia“ verschickte pünktlich zum „Tag der Einfalt“ einen vorolympischen Medaillenspiegel vom Sommer '91, der den deutschen Sportfunktionären die Schweißperlen der Vorfreude auf die gealterte Stirn treibt. In 70 Prozent aller olympischen Disziplinen von Barcelona '92 wurden in diesem Jahr die Weltmeister gesucht. Niemand sammelte so fleißig Medaillen wie die sportiven Töchter und Söhne unserer tollen Bundesrepublik: 89 Medaillen, 30 goldene, 26 silberne, 33 bronzene.
Die ehemaligen Großmächte des Weltsports Sowjetunion (88 Medaillen — 28/31/29) und USA (72 Medaillen — 27/26/19) sind zu chancenlosen Verfolgern entmündigt worden. Von dieser makellosen Bilanz zum Jahrestag der deutschen Reinheit beeindruckt, kann man nur euphorisiert feststellen:
„Der Sport in den neuen Bundesländern ist mit unserer Hilfe ein gutes Stück vorangekommen.“
Herr Schäuble, Minister
Das „Vorankommen“ ist zunächst ein sportlicher Rücklauf. Im Januar 1990 gab es in der DDR noch 6.200 höchstleistungsorientierte SportlerInnen, 3.800 zivile FördersportlerInnen und 2.400 in den Armee- und Polizeisportclubs. Schritt- und sprungweise wurde diese Zahl auf 1.500 A-, B- und C-Kader im Oktober 1991 verringert. Den verhätschelt-verwöhnten SportlerInnen der DDR werden nun barmherzig die Hilfsprogramme der Stiftung „Deutschen Sporthilfe“ angeboten.
Wer also die Abschaffung der zwar erfolgreichen, aber hoffnungslos diktatorisch organisierten Kinder- und Jugendsportschulen nicht verkraftet hat, kann bei schlechten Noten Nachhilfestunden beantragen. Wer die sportfreundlichen Sonderklassen in den DDR-Berufsschulen vermißt, kann auf eine Lehrausbildungsbeihilfe hoffen. Wer ohne individuelle Studienpläne und ein Trainerstudium an der Leipziger Sporthochschule nicht auskommt, hofft inzwischen auf Studienbeihilfe und Urlaubssemester. Und wer den Wegfall der zusätzlichen Arbeitsplätze für Leistungssportler in DDR- Betrieben beklagt, wünscht sich notfalls eine Verdienstausfallbeihilfe.
Die Stiftung „Deutsche Sporthilfe versucht redlich, die entstandenen Lücken zu schließen. 1.000 ostdeutsche LeistungssportlerInnen erhielten ABM-Stellen, obwohl die gar nicht dafür gedacht sind. Einzelne talentierte NachwuchssportlerInnen werden ebenfalls finanziell unterstützt, obwohl die Kinder- und Jugendsportschulen vom Bund zum Tode verurteilt wurden.
„Die Kinder- und Jugendsportschulen sind nicht viel schlechter als andere Schulen auch. Der deutsche Sport wird den KJS noch einmal nachtrauern.“
Herr Baumgarten, Sporthilfe
Bis zu den Olympischen Spielen 1992 sonnt sich der großdeutsche Sport in seinen glanzvollen Aussichten. Aber danach droht er ins Mittelmaß zu sprinten. Vor allem die Sportvölkerwanderung der ehemaligen Ost-Stars in den Westen hinterließ tiefe Spuren. Anzeigen wie „Suche Ringer, bis 48 Kilogramm, biete Ausbildung“ waren inzwischen in ostdeutschen Zeitungen zu finden. Der Westberliner SC Charlottenburg rühmt sich als bester „Kanuclub der Welt“ und verschweigt höflich, daß seine Weltmeister Kay Bluhm und Torsten Gutsche das Paddeln beim Armeesportklub Potsdam erlernten. Dabei hat gerade der vierfache Weltmeister Gutsche eindeutig erklärt: „Ich bin früher nicht für Honecker gefahren und fahre heute nicht für Kohl.“
Die Abwanderung der Kanu- Weltmeister oder des WM-Dritten im 1.500-Meter-Lauf, Jens-Peter Herold, und des Turn-Weltmeisters Jens Büchner treibt dem Potsdamer „Hinterbliebenen“ Udo Beyer die Tränen in die Augen. „Wenn keine Stars mehr da sind im Osten, bleiben auch die Kinder weg, es fehlen ihnen die Vorbilder.“ Im OSC Potsdam wissen die NachwuchssportlerInnen kaum, wie lange sie noch im Verein trainieren dürfen.
„Man muß sich langsam überlegen, ob wir in zehn Jahren noch Top-Athleten haben wollen oder nicht. Dann machen wir den Spitzensport zu und werden ein Land des Breitensports.“
Herr Beyer, Olympiasieger
Da in der DDR die SpitzensportlerInnen angeblich sowieso nur gedopt oder privilegiert wurden, der nach Leibesübungen lechzenden Bevölkerung aber nur der sportliche Abfall blieb, ist diese Aussicht keine schlechte. In Potsdam versuchten prompt die Olympiasieger Beyer (Kugelstoßen 1976), Frenkel (Gehen 1972) und Eschert (Kanu 1964) gemeinsam den Aufbau eines Sportzentrums für jedermann. Der Versuch scheiterte, den Sportlern drohte der Ausschluß aus dem Verein.
Die Sportanlagen des Beitrittsgebiets sollen von der Treuhand in die Hände der Kommunen und von dort unter die Füße der Bürger befördert werden. In den letzten Tagen der DDR gehörten die Sportplätze und -hallen den Gemeinden (54%), dem Ministerium für Volksbildung (18%), den Betrieben (16%) und zu je 6 Prozent der „Gesellschaft für Sport und Technik“ und der Polizeisportvereinigung „Dynamo“. Diese Objekte können jetzt kostenlos von den Kommunen übernommen werden — wenn sie die Schulden mitübernehmen, für ökologische Altlasten aufkommen und die Folgekosten der Anlagen tragen. Das kann und will keine Kommune. Lotto- und Toto-Einnahmen lassen auch auf sich warten, so daß die Treuhand den Gemeinden erst mal rät:
„Die Kommunen sollen die Sportanlagen erst mal übernehmen und sie wenigstens nicht verfallen lassen.“
Herr Schöneich, Treuhänder
Bei aller Liebe zum Sport im Osten ist der Treuhand egal, wenn Kommunen Sportanlagen kostenlos übernehmen, um sie dann zu Gewerbezwecken weiterzuverkaufen. Das alles brachte die deutsche Einheit in einem Jahr dem Sport.Spott frei!
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