Countdown für Senat und Daimler

■ Ende Oktober will die EG-Kommission entscheiden, ob Daimler-Benz für den Potsdamer Platz nachzahlen muß / Gutachten: Verkehrswert 179,7 Millionen

Berlin. Bei Daimler-Benz und Senat kann das große Zittern beginnen. Bis Ende Oktober will die EG-Kommission entscheiden, ob das im letzten Jahr zwischen dem Konzern und der Stadt abgeschlossene Grundstückgeschäft am Potsdamer Platz rechtmäßig war oder ob der Stuttgarter Konzern verpflichtet wird, eine Nachzahlung zu leisten. »Wir hoffen, daß wir das bis Ende dieses Monats klären können«, sagte jetzt ein EG-Beamter auf Anfrage der taz. In der Senatswirtschaftsverwaltung ging man noch am Mittwoch davon aus, daß erst Anfang 1992 eine Entscheidung fallen werde, ob es sich bei dem Grundstückspreis um eine »unerlaubte Beihilfe« handeln sollte.

Das Zweitgutachten über den Grundstückspreis, das der »Gutachterausschuß für Grundstückswerte in Berlin« auf Bitten der EG Anfang Juli erstellt hatte, ist vergangene Woche in Brüssel eingetroffen. In dem 68 Seiten umfassenden Papier, das inzwischen auch der taz vorliegt, wird für das gut 60.000 Quadratmeter große Grundstück am Potsdamer Platz ein Verkehrswert von 179,7 Millionen Mark genannt. Die Summe ist damit fast doppelt so hoch wie die von Beamten der Senatsbauverwaltung im April 1990 als Verkehrswert ermittelten knapp 93 Millionen, die Daimler-Benz im letzten Jahr dem Senat dann auch zahlen mußte. Als offensichtlich frei erfunden erweisen sich damit auch die Summen von 140 oder 150 Millionen Mark, die in einigen Zeitungen kürzlich unter Berufung auf das Gutachten genannt wurden.

Die Gutachter nennen mehrere Gründe für ihr abweichendes Ergebnis. Während die Senatsexperten ein Gebiet »südlich des Landwehrkanals« mit Bodenrichtwerten zwischen 900 und 1.100 Mark als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt hätten, habe sich der Gutachterausschuß für das »Vergleichsgebiet Ernst- Reuter-Platz/Hardenbergstraße« entschieden, in dem damals Richtwerte zwischen 2.000 und 2.500 Mark geherrscht hätten. Zudem sei die nördliche Hälfte des Grundstücks diesmal »nicht in sechs Bewertungseinheiten aufgeteilt, sondern als einheitliches Baugrundstück bewertet worden«. Die Größe dieses Grundstücks stelle, so die Gutachter, »einen Seltenheitswert im Kernbereich einer Metropole« dar. »Nur auf derartigen Flächen« ließen sich »die Repräsentationsbedürfnisse von Firmen mit Weltgeltung verwirklichen.« Die »politische Weiterentwicklung der Deutschen Einheit« nach dem Abschluß der Kaufverhandlungen sei gemäß der »Definition des Verkehrswertes« nicht berücksichtigt worden.

Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) blieb gestern dabei, daß der im letzten Jahr mit Daimler- Benz vereinbarte Preis »der vernünftigere Preis« gewesen sei. Die Gutachter hätten offensichtlich Schwierigkeiten gehabt, sich in die Situation im April 1990 hineinzuversetzen. In dem neuen Gutachten, so Meisner, »schwingt schon mit«, daß es sich beim Potsdamer Platz mittlerweile um den Kernbereich der Bundeshauptstadt handele. Mit einer raschen Entscheidung der EG rechne er nicht, sagte der Senator. Das Verfahren werde sich wahrscheinlich »noch eine Weile hinziehen«. hmt