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„Die Hälfte ist eine ganze Menge“

Zentrale Frage beim Aufbau der Landes-Rundfunkanstalt: Wer wird Intendant?  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Stefan ist erst elf, aber kein bißchen aufgeregt. Früher war er ein RIAS- Fan, dann stand er auf Radio 100,6 heute findet er „Antenne Brandenburg“ affengeil. Gerade sitzt er als Gast in einem der vier Studios in der Potsdamer Puschkinallee und steht den Hörern Rede und Antwort. Bei „Jump“, — die Antenne nach der Penne — wie die Sendung heißt, laufen werktags von 14 bis 15 Uhr die Leitungen heiß. Zwar gilt der Sender, der eine Spitzeneinschaltquote von 35 Prozent nachweisen kann, als das Herzstück der zukünftigen Landesrundfunkanstalt, gleichwohl sind die 180 Beschäftigten verunsichert. Auch wenn die per 31.12.1991 Gefeuerten jetzt aufgefordert werden, sich neu zu bewerben ist die Angst groß. Vor allem die westliche Konkurrenz ist gefürchtet.

Nachdem die Brandenburger mit ihrem medienpolitischen Alleingang gezeigt haben wohin regionaler Eigensinn führt, kann es nun losgehen. Denn am Mittwoch vorletzter Woche verabschiedete der Landtag das Gesetz über den „Rundfunk Brandenburg“. Umstritten war vor allem die Zusammensetzung des Rundfunkrates, der gegenüber dem ursprünglichen vor der Sommerpause eingebrachten Entwurf von 17 auf 19 Mitglieder aufgestockt wurde. Bei aller Kritik an der Medienpolitik unterm roten Adler, muß hier doch die fortschrittliche Handschrift bei der Zusammensetzung des Rates anerkannt werden, denn nur jeweils ein Parlamentsangehöriger einer Fraktion sitzt im Rundfunkrat.

Insbesondere die SPD setzte große Hoffnungen in den von ihr berufenen Gründungsbeauftragten Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell. Der war über die allseits bekannte NRW-Brandenburg-Connection in das Land gekommen. Zwar sind Spötter der Meinung, von Sell sei ausschließlich durch den Ort seiner Geburt, nämlich Potsdam, zu diesem Amt befähigt, das aber ist Unsinn. Der adelige Sozialdemokrat hat acht Jahre lang den Westdeutschen Rundfunk geleitet. Gleichsam als Vorhut hat sich der „Beauftragte des Landes Brandenburg für den Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, so sein offizieller Titel, mit seinem Stab zu den Füßen der „Traumfabrik Babelsberg“ (Eintritt 11,- DM) niedergelassen. Kaum hatte er aber die Zelte aufgeschlagen, da steuerten auch schon alle Beteiligten auf einen Dauerclinch zu. Ein Streitpunkt war, daß der Gründungsbeauftragte an die ARD-Intendanten einen Brief schrieb, in dem er ankündigte, der Rundfunk in Brandenburg benötige 70 Millionen Mark als Anschubfinanzierung aus dem Finanzausgleich der ARD. Sell hält nämlich das jährliche Gebühreneinkommen und die Einnahmen aus der Werbung — beides zusammen wird auf jährlich rund 200 Millionen Mark geschätzt — für nicht ausreichend. Was unter Gesichtspunkten der Programmqualität durchaus sinnvoll ist.

Sein Gegenspieler hingegen, der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im brandenburgischen Landtag Wolfgang Birthler, träumt von einer „schlanken Anstalt“ ohne viel Personal und Technik. Der Konflikt eskalierte derart, daß selbst Ministerpräsident Stolpe, ansonsten eher zurückhaltend, sich vor seinen Gründungsbeauftragten und Parteigenossen stellte: Sell müsse endlich die Möglichkeit zum Handeln erhalten. Im gerade verabschiedeten Mediengesetz ist die Verpflichtung zur „Eigenfinanzierung“ denn auch gestrichen.

Probleme mit dem Rundfunkrat

Ungeachtet der Querelen drängt die Zeit, denn nur noch knapp drei Monate bleiben bis zum Sendestart. Vor allem ist die Angst groß, daß alle guten Leute aus Adlershof — wo der DFF bis Jahresende sitzt — nach Leipzig, Schwerin oder Halle abwandern. Immerhin darf von Sell jetzt 180 Stellen ausschreiben — ein weiterer Konfliktpunkt. Aber der Ausverkauf des einstigen Staatsrundfunks hat längst begonnen. Den Publikumsrenner Ein Kessel Buntes hat sich längst der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) unter den Nagel gerissen, und auch das gute alte Sandmännchen und das Donnerstagsgespräch gehen an den MDR.

Zu einem Lehrstück über die Schwierigkeiten beim Aufbau öffentlich-rechtlichen Rundfunks geriet die Bildung des 24köpfigen Rundfunkrates. Dieser sollte sich am ersten Oktober konstituieren. Passiert aber ist nichts, am Samstag wird ein zweiter Anlauf genommen. Grund: Nur 14 von 19 Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen, die mit den 5 Parteienvertretern den Rundfunkrat bilden, waren gekommen. Nicht daß sie im Verkehrschaos stecken geblieben wären, nein, sie waren einfach noch nicht nominiert. So konnten sich die brandenburgischen Frauenverbände nicht auf eine Vertreterin einigen und blieben der Sitzung gleich ganz fern. Dafür aber schickte der Bereich Wissenschaft gleich zwei Repräsentanten. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Einrichtungen hatten Schwierigkeiten, untereinander Kontakt aufzunehmen oder wußten nicht einmal von der Existenz der anderen. Das ganze ist insofern fatal, als alle Entscheidungen die derzeit anstehen — und das sind nicht wenige — von diesem Rat gefällt werden müssen.

Wer wird Intendant?

Am dringlichsten aber ist die Wahl eines Intendanten. Natürlich fällt immer wieder der Name Michael Albrecht. Zwar hat sich der DFF-Intendant wacker geschlagen, im Reigen der anderen ARD-Häuptlinge aber sind ausgefuchste Taktiker und Machtmenschen gefragt. Auch wenn es dem SPD, FDP, Bündnis 90 regierten Bundesland gut zu Gesicht stände, einen EX-DDRler auf den Chef-Sessel zu hieven, — „das Tollste wäre doch eine Frau von hier“, so der stellvertretende Gründungsbeauftragte Gerhard Hirschfeld — so müssen die Preußen doch nehmen was zu haben ist.

Ob da Egon Becker, der aus dem kirchlichen Verlagswesen kommende ehemalige Staatssekretär von Medienminister Müller der Richtige ist, darf bezweifelt werden. Schon eher ist da ein Fernsehdirektor Albrecht und ein Rundfunkdirektor Singelnstein vorstellbar, auch wenn letzterer sich bedeckt hält.

Aus einer ganz anderer Ecke wird aber immer wieder der Name Jürgen Büssow genannt. Der agile SPD-Medienpolitiker ist in Nordrhein-Westfalen gleichsam in eine Sackgasse geraten, denn an Wolfgang Clement, Leiter der Staatskanzlei und heimlichen Rau-Nachfolger, kommt er nicht vorbei. Da käme der Intendantenjob gerade Recht. Falls es dazu käme, wäre Büssow neben dem amtierenden Intendanten der Deutschen Welle (Dieter Weirich) der zweite Intendant der keinerlei Rundfunkerfahrung mitbringt. Auch eine Auszeichnung.

Zwar machen auch Namen wie Lea Rosh und Fritz Pleitgen die Runde, letzterer aber hat bereits abgewinkt. Zwar ist der Chefredakteur beim WDR am Milieu und an der Enwicklung in Brandenburg interessiert, „aber nicht als Intendant“. „Ist das üblich“, fragt der Chefredaktuer des WRD irritiert, „daß man einen Intendanten per Anzeige sucht?“ In der Tat hat von Sell vorletzte Woche in der 'Zeit‘ eine Annonce geschaltet, die den Posten offeriert.

Immerhin ist eines schon klar: Dort wo Marika Röck, Lilian Harvey und Asta Nielsen ihre großen Auftritte hatten, wo Regisseure wie Fritz Lang und Ernst Lubitch ihre Karriere begannen, auf dem ehemaligen Ufa- Gelände, soll das Gebäude der neuen Landesrundfunkanstalt stehen. Darauf haben sich Peter Schiwy, Treuhand-Beauftragter für die DEFA und von Sell bereits geeinigt. Die Experten für Grundstücksangelegenheiten sind jetzt an der Reihe.

Noch in diesem Jahr soll das alte „Rückpro“-Studio, wo einst die Rückprojektion der Filme vorgenommen wurde, zu einem Hauptprovisorium ausgebaut werden. Denn das seit Mai letzten Jahres ausgestrahlte Regionalfernsehen wird immernoch in Adlershof produziert. Anfang nächsten Jahres soll es in Potsdam-Babelsberg so richtig losgehen. Vier Hörfunkprogramme sollen es sein, wobei „Antenne Brandenburg“ in modifizierter Form das erste Programm bildet. Geeinigt hat man sich auch schon darauf, das Jugendprogramm des durch die Wiedervereinigung funktionslos gewordenen RIAS, zu einem Gemeinschaftsprogramm von Berlin und Brandenburg auszubauen. Das dritte Programm könnte ein Informations- und Kulturprogramm werden, und über das Vierte schweigt man sich aus. Man will, so das Argument, den Entscheidungsspielraum des Rundfunkrates nicht einengen.

Schwieriger wird es beim Fernsehen. Natürlich soll es ein Vorabend- Regionalprogramm geben und auch einen eigenen Anteil am ARD Gemeinschaftsprogramm will man produzieren (ca. 3 Prozent), problematisch wird es nur beim dritten Fernsehprogramm. „Unsere Gebühreneinnahmen“, so Hirschfeld, „reichen gerade mit Ach und Krach für zwei Stunden Programm.“ Gesucht werden deshalb, neben dem SFB, der seine Kooperation bereits zugesagt hat, weitere Partner für ein drittes Fernsehprogramm. Ob der MDR Interresse hat wird sich zeigen.

In einem aber will der Minisender aus Potsdam anders sein als der MDR: bei den Spitzengehältern nämlich. Während MDR-Intendant Udo Reiter in Leipzig jährlich 396.500 Mark kassiert, also mehr als der Bundespräsident, soll es in Brandenburg „nur“ die Hälfte sein. Denn schließlich, so Hirschfeld: „Die Hälfte ist immer noch eine ganze Menge.“

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