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FREIHEITSBERAUBUNG?

■ Der belgische Umweltminister will das Hohe Venn nur noch beschränkt für Touristen zulassen

Der belgische Umweltminister will das Hohe Venn nur noch beschränkt für Touristen zulassen

VONPATRICKZIOB

„Die spinnen doch, die Wallonen!“ Nach bester Obelix-Manier macht Albrecht Maurer seinem Ärger Luft. Will doch der wallonische Umweltminister Edgard Hismans ihm den Zutritt zu seinem „geliebten Venn“ verweigern. Über vierzig Jahre lang habe er sich Quadratmeter für Quadratmeter des Hohen Venn erwandert, so der Achtzigjährige aus Wuppertal, und das immer allein. Und nun nur noch mit Wanderführer? Niemals!

Mit seinem Ärger ist Albrecht Maurer nicht allein. Viele jener Wochenendwanderer, die aus dem Rheinland, den Niederlanden und Belgien an Samstagen und Sonntagen ihre Autos in Richtung Hohes Venn in Gang setzen, fühlen sich persönlich verletzt. Von „Freiheitsberaubung“ ist sogar die Rede. Grund ist der wohl fast einmalige Schritt der wallonischen Regierung, das Hohe Venn teilweise für Touristen zu sperren.

Das Hohe Venn ist die Fortsetzung der nördlichen Eifel auf belgischer Seite. Zwischen den Städten Eupen und Malmedy gelegen, erstreckt sich bis über die Grenze hin eine in Westeuropa einmalige Hochmoorlandschaft. Schon oft ist das Hohe Venn mit den weiten Grasbüschellandschaften Lapplands oder Kanadas verglichen worden.

Clara Viebig, eine in der Eifel bekannte Heimatdichterin, beschrieb die Venn-Landschaft 1908 in ihrem Buch Das Kreuz im Venn: „Kein Haus, kein höherer Berg hemmten hier die Aussicht. Da lagen unendliche Züge einsamer Heide mit schweigenden Tannenwäldern und tief einschneidenden Schluchten; im Grunde der Schluchten flossen Bäche, man sah nicht bis zu ihnen hinab, aber man sah den von der sonne vergoldeten duft.“

Schon damals, zur Jahrhundertwende, wurde der Grundstein für die heutige Entscheidung des belgisch- francophonen Umweltministers gelegt. Denn mit dem Bau der Venn- Bahn, die das Gebiet von Norden nach Süden durchfährt, kamen auch die ersten Touristen. Wander- und Heimatvereine wie der „Eifelverein“ oder der „Verein der Venn- Freunde“ entstanden. Sie kümmerten und kümmern sich noch um die touristische Erschließung, aber auch um den Erhalt der Natur. Die Vereine und auch die Fremdenverkehrsämter werfen der wallonischen Regierung nun vor, „nebulös“ und „zu wenig konzertiert“ zu handeln. Man hätte, so sagen sie, die „wahren Kenner des Venns“ fragen sollen, wie sich der Touristenstrom, der sich, Wochenende für Wochendende, Jahr für Jahr, über das Hohe Venn ergießt, in verträgliche Bahnen lenken läßt.

„Über die Hälfte aller Belgier verbringen in Ostbelgien ihren Urlaub“, wußte vor einiger Zeit die deutschsprachige Tageszeitung 'Grenz- Echo‘ zu berichten. Nimmt man die Zahl der Touristen aus Deutschland und den Niederlanden hinzu, so wird die starke Frequentierung des Venns klar. Denn das Gebiet zwischen Eupen und Malmedy ist zwar nur 4.000 Hektar groß, zählt aber zu den beliebtesten Reisezielen in Ostbelgien. Doch es gibt nicht nur „liebe“ Touristen, die sich brav an die gekennzeichneten Wanderwege oder im Winter an die Loipen halten. Viele selbsternannte „Pfadfinder“ verließen die Wege und gaben der sensiblen Moorfauna einen buchstäblichen Tritt. Umweltminister Hismans war das zuviel. Ab Januar 1992 sollen besonders gefährdete Gebiete, die sogenannte „Zone C“, nur noch in Begleitung staatlich anerkannter Wanderführer begehbar sein.

Einige Beobachter im Grenzland zwischen Aachen und Eupen glauben allerdings nicht an eine radikalökologische Maßnahme des als eher zurückhaltend geltenden wallonischen Umweltministeriums. Mitglieder der „Venn-Freunde“ zum Beispiel argwöhnten, Hismanns plane einen noch nie dagewesenen Finanzierungscoup. Darauf spekulierend, daß trotz Pflichtwanderführer die Touristenzahlen weiter ansteigen, habe der Umweltminister den von den Wanderern zu bezahlenden menschlichen Wegweiser eingeführt.

Wie so oft stehen sich auch im (und am) Hohen Venn die Interessen der Naturschützer und der Gewerbetreibenden gegenüber. Tourismus ist und bleibt eine der wichtigsten Einnahmequellen der Eifel- und Venn- Bevölkerung. Das Hohe Venn ist in seiner Flora und Fauna nahezu unberührt. Vor 21 Jahren unterzeichneten die Vertreter Belgiens, Nordrhein- Westfalens und Rheinland-Pfalz' den Vertrag über die Einrichtung des „Naturpark Hohes Venn-Eifel“. Die Naturpark-Gründer wollten damals die Gebiete diesseits und jenseits der deutsch-belgischen Grenze als Erholungsgebiet erhalten. Alles, was stinkt und der Umwelt schadet, sollte außen vor gelassen werden. Gleichzeitig aber ist das Gebiet dem Touristen attraktiver gemacht worden. Park-, Rast- und Spielplätze entstanden ebenso wie 4.000 Kilometer gekennzeichnete Wanderwege. Radfahren ist in Belgien Volkssport Nr.1, somit sind auch die 400 Kilometer Radwanderwege zu erklären. Ergänzend finden sich Trimmpfade, Grillplätze, Lehrwege, Tiergehege und Naturinformationen aller Art.

Moorlandschaft und Pingos

Das Konzept ging größtenteils auf. Wanderbegeisterte Mütter und Väter schleppten ihre Kinder hinauf ins Hohe Venn und versuchten ihnen die Natur näher zu bringen. Das Geschäft mit den Erholungssuchenden boomte.

Albrecht Maurer, jener Wuppertaler Rentner, gehört zu einer besonderen Spezies Wanderer: der Foto- Wanderer. In seinen Bildern dokumentiert sich die biologische und zoologische Vielfalt. Birkhühner, Eulen, Turmfalken und auch Kraniche hat er im Hohen Venn fotografiert, obwohl auch er zugeben muß, „daß in den letzten Jahren die Zahl der Tiere weniger geworden zu sein scheint“. Auch dem Hohen Venn bleiben die Auswirkungen der allgemeinen Umweltverschmutzungen nicht erspart. Die Schwefel- und Salpetersäuren im „sauren Regen“ führen zum Absterben der Wurzeln und der Mikroorganismen im Boden. Die Bäume werden krank. Knapp die Hälfte aller Bäume sollen 1989 nicht mehr gesund gewesen sein.

Vor einer halben Milliarde Jahren entstand das Venn. Zu dieser Zeit war hier noch Meer. Quarzsande und Tonschlamme lagerten sich auf dessen Boden ab. Sie bilden bis heute den Grundstock der Moorlandschaft. 250 Millionen Jahre später stauchte sich die Erdkruste und gab dem Gebiet einen Teil seines Namens. Denn das Hohe Venn liegt, wie sein Titel schon sagt, hoch, für Belgien sehr hoch. Mit fast 700 Metern über dem Meeresspiegel ist es auch eine Art Wetterscheide. Feuchte Luftmassen, die von der Nordsee herüberwehen, müssen hier aufsteigen, kühlen dann ab und ergießen ihre Last über das Hohe Venn. Bis zu 1400mm Niederschlag fallen hier im Jahr, als Regen oder Schnee. Dies hat eine übermäßige Nebelbildung zur Folge. Wehe dem, der sich dann in der tückischen Moorlandschaft aufhält. Viele Sagen und Legenden ranken sich um diesen plötzlich hereinbrechenden Schleier der Natur. Das „Monscher Männchen“ zum Beispiel lauert mit Vorliebe Wanderern, Jägern oder Holzfällern im Schutze des Nebels auf und überfällt sie von hinten. Die so Angegriffenen sind Zeit ihres Lebens gelähmt, so sagt die Legende. Eine andere Eigenart des Venns sind die „Pingos“. Im kalten Tundra-Klima der Eiszeit gefror unter der Erdoberfläche gestautes Wasser stellenweise zu Eislinsen. Sie beulten aus und bildeten kleine Hügel, bedeckt mit einem dünnen „Toupet“ aus Erde, Moos und Gras. In wärmerer Zeit rutschte das „Toupet“ nach allen Seiten hin ab und kreierte einen kreisförmigen Erdwall um die Eislinse herum. Als auch sie schmolz, entstanden jene runden Senkungen — mit einem Durchmesser bis zu hundert Metern —, die man heute Pingos nennt. Sie sind jetzt mit Wasser, Torf und Venn-Moos gefüllt. Dadurch sind sie kaum zu erkennen und bergen für jeden Wanderer, der die gekennzeichneten Wege verlassen hat, eine tödliche Gefahr.

Auch politich ist dieses Gebiet von Bedeutung. Denn das Hohe Venn ist fast der geographische Mittelpunkt der deutschsprachigen Gemeinschaft im Königreich Belgien. Im Wiener Kongreß, 1815, erhält Preußen das Rheinland und somit auch dieses Gebiet. Dreimal im Laufe der Geschichte bereiten sich hier deutsche Truppen auf den Vormarsch nach Frankreich vor. Im Versailler Friedensvertrag fällt das Land zwischen Eupen, Malmedy und St. Vith an Belgien. Eine Region, die sich immer als eine gemeinsame fühlte, wird zerrissen. Doch heute definieren sich die Bewohner als deutschsprechende Belgier. Zwar gibt es Bestrebungen, im Hinblick auf Europa 1993 die gemeinsame „Euregio“ zu schaffen, doch die eigene Identität als Belgier soll erhalten bleiben.

Grenzüberschreitende ökologische Bedeutung

Als Vertreter der „Ecolo“, das Pendant zu den „Grünen“, in dem kleinen Grenzort Raeren den Anschluß an die deutsche Kanalisiation forderten, waren sich Christdemokraten und Sozialisten einig wie nie: Belgisches Abwasser fließt auch nur in belgische Kanäle; Grenze bleibt Grenze.

Umso erfreulicher ist die Zusammenarbeit in dem Naturpark-Projekt; und die wurde jetzt belohnt. Die „Internationalen Naturfreunde“ erklärten die Eifel-Ardennen-Region zur Landschaft des Jahres 1991. „Die Region“, so die Naturfreunde, „hat eine grenzüberschreitende und ökologische Bedeutung ... und ist in besonderer Weise schutzwürdig.“ Auch sie fordern die Festlegung von bestimmten Zonen, die den Touristenstrom kontrolliert, ja zum Teil ganz unterbindet. Doch weder das wallonische Umweltministerium noch die Naturfreunde werden den Einheimischen und vom Fremdenverkehr Abhängigen diesen Schritt plausibel machen können. Die Landwirtschaft — die andere Haupteinnahmequelle der Region — verliert immer mehr an Bedeutung. Die Fremdenverkehrsämter, die Mitglieder der „Venn-Freunde“ und des „Eifelvereins“ und auch andere Bewohner der Region glauben nun, daß durch den Schritt des Sozialisten Hismans die Touristenzahlen ebenfalls rückläufig sein werden.

Noch haben sie einen Trumpf in der Hand. Einerseits läßt der Umweltminister sensible Zonen des Hohen Venns für Wanderer sperren, andererseits weigert er sich, den Vogelfang zu verbieten. Schon jahrelang haben selbsternannte Ornithologen in Belgien die Möglichkeit, straffrei seltene Vögel zu fangen. Trotz andauernder Proteste von „Ecolo“ und Naturschützern wird diese Forderung strikt ignoriert. Im nordrhein-westfälischen Umweltministerium spricht man derweil von einer „Kulturschande“ und droht, das Naturpark-Abkommen zu kündigen. Für den „Venn-Fan“ Albrecht Maurer ist sein „geliebtes Gebiet zum politischen Spielball geworden“. „Niemand weiß doch im Grunde, wer, für wen und warum“, so sagt er.

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