: Korruption und Filz auf der grünen Insel
Der irische Premierminister Charles Haughey muß sich heute einem Mißtrauensantrag stellen/ Seine Partei ist in eine Welle von Finanzskandalen verwickelt/ Mehrere enge Freunde von Haughey sind dabei zu viel Geld gekommen ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Der irische Premierminister Charles Haughey kämpft um sein politisches Überleben. Seine Partei Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals), die seit 1933 mit kurzen Unterbrechungen Irland wie ein Familienunternehmen regiert, ist in eine Kette von Finanzskandalen verwickelt, die Haugheys Ansehen einen schweren Schlag versetzt haben: Laut einer Umfrage vom vergangenen Wochenende befürworten zwei Drittel der Bevölkerung seinen Rücktritt. Heute muß er sich vor dem Parlament einem Mißtrauensantrag stellen.
Filz, Korruption und Günstlingswirtschaft, die Haughey zu Fall bringen könnten, sind lediglich die Spitze eines Eisbergs. Es gibt noch viele Unbekannte — anonyme Käufer, verschleierte Transaktionen — in der Schmierenkomödie, deren Hauptakteure bisher zwei halbstaatliche Unternehmen, eine der größten Privatfirmen sowie drei der reichsten und bekanntesten Geschäftsmänner der Insel sind. Neben fragwürdigem Geschäftsgebaren haben sie noch etwas anderes gemeinsam: Alle drei sind enge Freunde Haugheys. Dennoch hatte die Regierung von den dunklen Transaktionen angeblich keine Ahnung. Während sich in der Geschäftswelt die erzwungenen Rücktritte mittlerweile jagen, sind die Politiker bisher ungeschoren davongekommen.
Schiebereien bei der Sugar Company...
„Sugargate“, wie die Affäre um die Zuckergesellschaft getauft wurde, hatte mit der ersten Privatisierung in Irland begonnen: Die bankrotte staatliche Irish Sugar Company, die 1933 von Fianna-Fail-Gründer Eamon de Valera zur Absicherung der Kleinbauern ins Leben gerufen worden war, wurde im April unter dem Namen Greencore in eine Aktiengesellschaft umgewandelt — und siehe da, das neue Unternehmen florierte. Es diente der irischen Regierung als leuchtendes Beispiel für die Wettbewerbsfähigkeit irischer Kapitalisten in der harten Geschäftswelt.
Anfang September platzte die Bombe. Es kam heraus, daß vier Greencore-Geschäftsführer im März 1989 — als sie noch bei der Irish Sugar Company angestellt waren — 49 Prozent Anteile an der Vertriebsfirma Irish Sugar Distributors erworben hatten. Kosten: 1,685 Millionen Pfund (circa 4,5 Millionen Mark). Den Kredit dafür hatten sie bei der Irish Sugar Company aufgenommen und sich in ihrer Funktion als Geschäftsführer selbst bewilligt. Nur elf Monate später verkauften sie ihre Anteile an die Irish Sugar Company, der bereits die restlichen 51 Prozent gehörten. Oder anders ausgedrückt: Die Geschäftsführer kauften sich die Aktien praktisch selbst ab — für 8,6 Millionen Pfund.
Jeder der vier sauberen Herren strich eine Million Profit ein. Sie flogen nur deshalb auf, weil sie sich um die Beute stritten. Die restlichen zwei Millionen Reingewinn gehörten nämlich einer Firma in Jersey, die in das Projekt eingestiegen war. Zur allgemeinen Verblüffung gab der Greencore-Chef Chris Comerford bekannt, daß er Alleineigentümer dieser Firma sei. Er reichte Klage gegen den Anwalt ein, der die Transaktion vorgenommen hatte, die Beute jedoch nicht herausrücken wollte. Comerford mußte zurücktreten. Freilich versüßte ihm der Greencore-Aufsichtsrat den Abschied mit 1,5 Millionen Pfund. Fianna-Fáil- Landwirtschaftsminister Michael O'Kennedy, dem die Sugar Company bis zur Privatisierung unterstand, behauptete, er habe von nichts gewußt. Ruari Quinn von der Labour Party sprach aus, was viele dachten: „Einem kleinen Klüngel von Leuten geht es offenbar ausgezeichnet — nicht deshalb, weil sie besonders gut sind, sondern weil sie Freunde von Charles Haughey sind.“
Die meisten IrInnen, die den Premierminister nicht zu ihren Freunden zählen dürfen, müssen dagegen den Gürtel enger schnallen: Haughey hat ihnen sein „Programm zur nationalen Erholung“ verkauft, das Einfrierung der Löhne und Rekordarbeitslosigkeit beinhaltet. Die öffentliche Untersuchungskommission hat es bis heute nicht geschafft, auch nur einen der am Skandal Beteiligten zu vernehmen. Sie waren bisher „unabkömmlich“.
Auch Michael Smurfit ist ein Freund Haugheys. Er ist einer der reichsten Männer Irlands und Vorstandschef von Telecom Eireann, der halbstaatlichen irischen Telefongesellschaft.
...bei der Telefongesellschaft...
Telecom hatte von der Maklerfirma UPH für 9,4 Millionen Pfund ein altes Bäckereigebäude erworben, von dem Experten behaupten, daß es nur die Hälfte wert sei. Ein weiteres Gebäude in der Innenstadt mietet Telecom zur Zeit von UPH zu einem Quadratmeterpreis, der doppelt so hoch liegt wie bei vergleichbaren Gebäuden. Mitte September stellte sich heraus, daß Smurfit an UPH beteiligt ist. Seine Entschuldigung: Er habe davon nichts gewußt. Das kann schon mal passieren. Schließlich ging es für ihn nur um ein paar lumpige hunderttausend Mark. Smurfit mußte ebenfalls seinen Hut nehmen.
Die Skandale bei den halbstaatlichen Unternehmen werden freilich von einer Affäre im privaten Sektor in den Schatten gestellt, die seit drei Jahren ein Dauerbrenner ist und noch immer untersucht wird. Dabei geht es um Fleisch — genauer gesagt um Goodman International, die Firma des Rindfleischbarons Larry Goodman, deren Umsätze immerhin fünf Prozent des irischen Bruttosozialprodukts ausmachen. Goodman ist der größte Fleischexporteur Europas. Haughey hatte persönlich eine Subvention in Höhe von 25 Millionen Pfund für Goodman angeordnet, damit dieser expandieren konnte, obwohl die Firma ohnehin zuviel produzierte.
...und im Fleischbusiness
Aber wozu gibt es Brüsseler Interventionskäufe? Ein Buchhalter Goodmans behauptet, daß in der Firma systematisch Dokumente und Stempel gefälscht wurden, um den europäischen Steuerzahlern die Millionen aus der Tasche zu ziehen. Außerdem stellte Haughey durch ein auf Goodman zugeschnittenes Gesetz sicher, daß der Fleischbaron staatliche Exportkreditversicherungen bekam — für Exporte in den Irak. Die Versicherung garantiert dem Exporteur die Bezahlung seiner Ware aus der Staatskasse, falls der Empfänger die Rechnung nicht begleichen sollte. Gleichzeitig sorgten Haughey und der damalige Industrieminister Albert Reynolds dafür, daß Goodmans Hauptrivalen diese Versicherung entzogen wurden.
Die Skandalwelle stellt den kleinen Koalitionspartner Fianna Fáils, die Progressiven Demokraten (PD), vor große Probleme. Die Partei hatte sich erst 1986 von Fianna Fáil abgespalten. Allerdings waren dafür keine politischen, sondern rein persönliche Gründe ausschlaggebend: Die Abtrünnigen lehnten Charles Haughey als Parteiführer ab. Nun fürchten sie um ihre Glaubwürdigkeit. Schießlich war man damals mit dem Versprechen angetreten, Korruption im öffentlichen Dienst mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Doch mitgefangen, mitgehangen: In den Augen der WählerInnen ist die PD für das zwielichtige Finanzgebaren ebenso verantwortlich wie Fianna Fáil, obwohl PD-Chef und Industrieminister des O'Malley alle Anstrengungen unternimmt, sich von seinen Kabinettskollegen zu distanzieren. Meint er es ernst, müßten die PD-Abgeordneten Haughey heute zu Fall bringen.
Doch Haughey hat schon prekärere Situationen überstanden: 1970 war er als Justizminister angeklagt, mit zwei weiteren Ministern Waffen für die Irisch-Republikanische Armee (IRA) nach Nordirland geschmuggelt zu haben. Zwar wurden alle drei freigesprochen, mußten jedoch zurücktreten. Wenige Jahre später war Haughey wieder da — als Parteichef und Premierminister. Nicht umsonst nennt man ihn den „Houdini der Wahlbühne“ (nach dem Entfesselungskünstler der 20er Jahre, Houdini, der auch in dem Roman Ragtime von Doctorow vorkommt). Seine Partei hat sich offenbar damit abgefunden, daß er den Zeitpunkt seines Rücktritts selbst bestimmt. Haugheys persönlicher Favorit für seine Nachfolge ist EG- Kommissar Ray Mac Sharry, dessen Vertrag in Brüssel noch bis Dezember nächsten Jahres läuft.
Mac Sharry wird inzwischen vorgeworfen, in seiner damaligen Funktion als Finanzminister den französischen Getränkekonzern Pernod Ricard bei der Übernahme der irischen Whiskeyindustrie unlauter begünstigt zu haben.
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