: Kunst aus dem Automaten
■ Ein doppelbödiges Spiel mit der Anonymität: »Fotomaton« von Andreas Bartels
Die Stunde der Wahrheit ist bitter. Das, was sich da unter den Blicken einer neugierigen und mit Kommentaren keineswegs sparenden Kinderbande langsam und bleich aus dem Schlitz des Fotoautomaten schiebt und im trocknenden Luftzug flattert, dieses käsige Etwas, bitte schön, möchte ich nicht sein. Die Augen krampfhaft aufgerissen, die Augäpfel in vermeintlicher Natürlichkeit verdreht, paßgerecht ein Ohr von Haaren entblößt, den Ansatz zum Doppelkinn steifhalsig vertuschend, das Grinsen festgefroren und das ganze Gesicht platt wie ein Pfannkuchen ausgeleuchtet, sieht die Frau auf dem Fotostreifen schlicht irre aus. Allein, alles Leugnen hilft nicht, mit diesen Bildern wird meine Identität fälschungssicher eingeschweißt.
Wer kommt schon beim Einwurf der Münzen auf den Gedanken, sich in dem engen Kabuff zugleich als Künstler und Modell zu sehen? In dieser doppelten Rolle aber nutzt Andreas Bartels den Bilderapparat in Bahnhöfen und Fußgängerzonen. Dem Rhythmus der vier Blitzlichter angepaßt, füttert er die stereotype Technik mit Einzelbildern, die in Streifen zusammengesetzt ein neues Bild ergeben. Minimalistische Farbkompositionen gelingen ihm dabei ebenso wie die Darstellung eines Innenraumes mit geblümter Tapete und ihm selbst in der untersten Bildecke schlafend. Als Darsteller kann er sich verfielfältigen: drei Bildstreifen setzen sich zum Bild einer hohen Ziegelmauer zusammen, an deren unterem Ende er dreimal, unbekleidet, mit verbundenen Augen und inbrünstig singend erscheint. Fast fühlt man sich an expressionistische Skulpturen erinnert. Bartels erhebt das Automatenbild aus dem Bereich der bloßen Abbildung zum Zitat einer Kunstform.
Auf anderen Streifen suggeriert er Bewegung: Die Bilderfolge wird zur Dokumentation, die den Fall eines schwarzen Rechtecks registriert, das im untersten Bild vor den Augen des Künstlers gelandet ist. Bartels versteckt sich in seinen Automatenbildern hinter dem zum Requisit gewordenen schwarzen Balken der Zeitungsfotografie, der dem Abgebildeten den Schutz der Anonymität gewährt, hinter schwarzen Augenbinden oder Milchglasscheiben. Der Funktion des Paßbildautomaten zum Trotz zerstört er die Identifizierbarkeit des vom Blitzlicht geblendeten Individuums. Sein Spiel mit der Anonymität ist doppelbödig, denn schließlich funktioniert der Automat selbst als anonymer Fotograf. Dieser Angriff auf die Originalität der künstlerischen Urheberschaft ist die Pointe seiner Übersetzung von Kunstgeschichte in ein triviales Jedermannsmedium. Karin Bettina Müller
Andreas Bartels: Fotomaton im Goethe-Institut Hardenbergstraße 7, bis 27. November, mo.-fr. 10-18 Uhr
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