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Vom „Hoppen“ und „Zappen“

„Münchner Medientage“: Nutzungsverhalten des Fernsehpublikums im Wandel  ■ Von Sabine Jaspers

Der Zuschauer, das unbekannte Wesen: Eines der letzten Geheimnisse unserer Medienzeit rankt sich um das Fernsehpublikum. Dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, wenn man, angesichts der endlosen Fragenliste nach den Nutzungsgewohnheiten der Zuschauergemeinde, nicht viel mehr als die mageren Zahlenkolonnen der Einschaltquoten zur Antwort bekommt.

Auch wenn der Schweizer Gelehrte Heinz Bonfadelli vor Pauschalurteilen warnte und die Methodenproblematik der Wissenschaft im Bereich Zuschauerforschung ins Gedächtnis rief, so bemüht sich die Kommunikationswissenschaft doch um nichts anderes, als das Geheimnis der Rezipienten zu lüften. So auch die Chefredakteurin der „Media Perspektiven“, Dr. Marie-Luise Kiefer, und der Hamburger Freizeitforschungspapst Prof. Horst Opaschowski, die bei den „Münchner Medientagen“ versuchten „das unbekannte Wesen“ in einen „gläsernen Menschen“ zu verwandeln. Unter dem Motto: „Mehr Freizeit, mehr Angebot, mehr Fernsehen? Programme und Nutzungsverhalten im Wandel“ stellten sie die neuesten Ergebnisse ihrer Studien vor.

Im Kabelzeitalter gibt's mehr Sendezeit und mehr Programme, die rund um die Uhr erhältlich sind. Im Auftrag von ARD und ZDF hat Marie-Luise Kiefer in ihrer bis 1990 laufenden Langzeitstudie herausgefunden, daß nicht nur Unterschiede zwischen dem Publikum aus Ost und West, sondern auch zwischen Fans des privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehens bestehen. Die Hauptanhängerschaft des Kommerz- TVs rekrutiert sich aus jungen Leuten bis zum Alter von 30 Jahren. Sie gucken als Vielseher — mehr als 21/2 Stunden täglich — am häufigsten in die Röhre und sind auf steter Suche nach Unterhaltendem. „Die neuen Vielseher sind Unterhaltungsvielseher, die Informationsangeboten ausweichen“, bringt die Wissenschaftlerin ihre These auf den Punkt. Informationsbedürfnisse gibt's hüben wie drüben mehr bei den Anhängern von ARD und ZDF.

Das Publikum Ost sitzt etwa 45 Minuten täglich länger vor der Glotze. Ein anderer Tagesablauf diktiert das frühere Einschalten der Medien und noch vor den Tagesthemen geht's ins Bett. Unterhaltung ist im Osten ein noch größeres Trumpf als im Westen. Als warnendes Fazit fragt Frau Kiefer: „Was heißt das für ein demokratisch verfaßtes Gemeinwesen, wenn sich ein Fünftel seiner Bürger aus der medial vermittelten Meinungsbildung ausklinken?“

Von besonderer Bedeutung für die Werbewirtschaft und Programm- Macher sind die Thesen des Freizeitforschers Opaschowski. Zwar sei Freizeit Medienzeit, doch sei es in den neunziger Jahren zu Gewichtsverlagerungen gekommen. Der Fernsehkonsument hat seinen Sättigunsgrad erreicht, und der Hauptgewinner der Zukunft ist nach seiner Ansicht das mobile Radio.

Während die Generation der heute über 65jährigen noch ein „Beamtenverhältnis zum TV“ pflegte, ist jetzt eine neue Generation herangewachsen, die nicht mehr wie das Kaninchen vor der Schlange vor dem Hausaltar Fernsehen sitzt. Fernsehen ist heute Nebensache: Schönheitspflege, in Ruhe ein Buch lesen, bügeln, essen und telefonieren (Frauen bevorzugt während der Sportschau, erzählt die Statistik) sind beliebte Nebenbeibeschäftigungen. Die Einschaltquote entpuppt sich als „Einschlafquote“, wenn nicht als gänzlich wertlose Währung. Während Nachrichten, Talkshows und Spielfilme noch ein konzentriertes Publikum finden, sinkt dessen Aufmerksamkeit bei Sport- und Werbesendungen. Die Umschalt- und inneren Abschaltquoten nehmen zu, die Zuschauer verspüren persönliches Unbehagen. Sie „hoppen“ und „zappen“ durch die Kanäle. Unter der Spezies der TV-„Hopper“ und -„Zapper“ versteht man die zunehmende Zahl der Menschen, die aus Langeweile von einem Sender zum anderen „springt“ und unliebsame Sendungen per Knopfdruck „abschießt“.

Die um Aufmerksamkeit buhlenden Programm-Macher werden dem schwindenden Interesse mit einem „Fast Food-TV im Halbstundenrhythmus“ entgegentreten, prognostiziert Opaschowksi. Nicht nur das Fernsehen soll schneller werden, denn das Fast-Food-Denken und -Handeln wird sich auf das gesamte Leben der Zukunft auswirken: „Im Erlebnisstreß steht der Mensch bald vor dem Zeitkollaps“, prophezeit er.

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