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Fehlt nur die Lunte am Pulverfaß

Italienische Träume vom Großreich an der Adria/ Seit Wochen schüren Politiker und Medien Haß auf Kroatien und Slowenien/ Deutsche Erfüllungshilfe?  ■ AUS TRIEST WERNER RAITH

Wenn Gianni De Michelis, Italiens Außenminister und selbsternannter Ober-Makler in allen Weltkonflikten, auf die neukonstituierten Nachbarn im Osten seines Landes zu sprechen kommt, fällt ihm offiziell viel Gutes ein — um es dann unversehens in ganz, ganz Schlechtes zu verwandeln: Monatelang hatte er ganz auf den Erhalt des längst zerfallenden jugoslawischen Staates gesetzt und geglaubt, ein freundliches Zeigefinger-Drohen mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens werde alle Konflikte lösen. Dann, als nichts mehr zu machen war und die EG die Anerkennung der lösgelösten Teile beschlossen hatte, erklärte er sich flugs zum Vorreiter der Souveränitäts-Idee. Und war sich sicher, daß ihm die Neu-Eigenständigen sofort zu Füßen sinken, sich regelrecht zum Vasallen des „Dogen von Venedig“ (De-Michelis-Spitzname) erklären würden.

Das taten sie jedoch nicht; im Gegenteil. Als De Michelis die eher als lautes Nachdenken denn als förmliche Empfehlung gemeinte EG-Idee eines Abzugs der jugoslawischen Truppen aus Slowenien über italienisches Territorium flugs zum Beschluß seiner Regierung ernannte und der unbezähmbare Staatspräsident Cossiga das auch noch hinausposaunte, protestierte die slowenische Regierung lauthals. „Unzumutbar, daß wir all das nur aus der Presse erfahren“, schimpfte Ministerpräsident Milan Kucan. De Michelis reagierte sofort — indem er den Ministerpräsidenten als „schlecht informiert“, den Verteidigungsminister gar als Lügner darstellte: Der Generalkonsul in Lubljana habe die betreffenden Politiker auf Roms Anweisung gesucht, aber nicht gefunden. Der Verteidigungsminister Janez Jancsa sei beim Fußballspielen gewesen, habe man erfahren.

Das mag stimmen oder nicht — die Politiker in den mittellosen Neu- Staaten engagieren sich, um Geld hereinzubekommen, tatsächlich auch in Benefizspielen —: Völlig gegen jede diplomatische Gewohnheit ist es, den Regierungschef und den wichtigsten Minister eines Nachbarstaates derart grob in aller Öffentlichkeit anzurempeln. Doch derlei Vorfälle sind längst nicht mehr vereinzelt, wo es den Italo-Entscheidungsträgern um die Interessen im Adria-Raum geht. Unbekümmert von der gesamteuropäischen Besorgnis schwerer Rückschläge, geriert sich die italienische Regierung immer mehr, als sei sie der gottgewollte Kolonialherr des gesamten Balkans. Und nicht nur die Regierenden tun so; auch die Presse zieht mit.

Geradezu wie die Bulletins der Faschisten vor dem Abessinienfeldzug 1935 muten zum Beispiel derzeit die täglichen Meldungen über Albanien an — nichts funktioniere dort, die Leute stürben wie die Fliegen, die Regierung tue nichts und könne nichts, und nur eine einzige Säule stehe und halte alles aufrecht: das italienische Militär. Von dem sind vor drei Wochen fünfhundert Soldaten zum Verteilen der seit Jahren versprochenen Hilfsgüter ins Land der Skipetaren geschippert worden. Angeblich weil es auf der Welt sonst keine funktionierende Distributions- Einrichtung gibt. Und angeblich, weil die Albaner selbst fordern, daß man die eigenen Behörden von Mehl, Milch und Medizinen fernhält. Wie einst die Abessinier, jedenfalls laut Mussolinis Propaganda.

Bis heute, so ist allerdings aus Durazzo zu erfahren, sind die Italiener zwar mit ihren Armee-Lastwagen allüberall zugange, doch verteilt ist nichts. Und mittlerweile ist die Zahl der „Verteiler“ schon auf nahezu achthundert gestiegen, ohne daß man von einer Einladung der albanischen Regierung erfahren hätte; auch die italienische Presse hat keine Informationen, wann und mit welcher Autorisierung die zusätzlichen Samariter losgeschickt wurden. Das „Protektorat Albanien“, von dem zuerst einzelne, mittlerweile immer mehr Politiker sprechen, realisiert sich offenbar, ohne daß irgendjemand es offiziell eingerichtet hat.

Inzwischen scheinen sich die Italiener schon auf das nächste Häppchen Appetit zu machen: Istrien und, wenn schon denn schon, auch gleich noch Dalmatien, das war ja zwei Jahre lang von den Faschisten besetzt, und der eine oder andere Kriegsmüde ist da zurückgeblieben. Ganz zufällig natürlich geht es um jene beiden Bezirke des zerfallenden Jugoslawien, die über die einzige kurzfristig wieder aktivierbare ökonomische Resource der Region verfügen, den Tourismus.

Die Affäre um den Abtransport der Belgrader Tanks über italienisches Territorium kam da gerade recht. Obwohl es die italienische Regierung gewesen war, die hier in höchstgradiger Unsensibilität vor allem die Gefühle der eigenen Bevölkerung im einst von Titos Armee gebeutelten Triest verletzt hat, münzen die Politiker nun alte antijugoslawische Gefühle direkt auf Slowenen und Kroaten um. Seit Tagen publizieren Italiens Zeitungen historische Berichte über das Wüten der Jugoslawen gegen Italiener. Die berühmten Greuel der „foibe“ (Felsspalten) wurden wieder ausgebuddelt; das Fernsehen ließ einen seiner bekanntesten Politjournalisten, Giovanni Minoli, in die berüchtigten hundert Meter tiefen Löcher hinableuchten, wo noch immer Gebeine der seinerzeit lebendig Hinabgestoßenen und dann per Dynamitpackungen Getöteten zu finden sind. Ein Überlebender berichtete, wie er, bevor man auf ihn schoß oder ihn stieß, freiwillig mit einem angeketteten Kameraden hinabsprang — und sich rettete, weil unten Wasser und Schlamm den Aufprall und die Detonationen milderten.

Kein Zweifel, daß diese Greuel nicht vergessen werden dürfen und immer wieder ins Gedächtnis zurückzurufen sind. Doch derzeit dienen sie ausschließlich dazu, den einstigen, langsam vernarbenden Haß auf beiden Seiten wieder zu wecken — auch gegenüber denen, die damit nichts zu tun hatten.

Die Übergriffe von Titos Partisanenarmee waren eindeutig vorwiegend Taten serbischer Exekutionskommandos, die die italienische Bevölkerung im eingenommenen Bezirk reduzieren wollten. Nun aber folgt der Darstellung dieser Greuel ausgesprochen oder stumm immer nur die Frage: Was machen die Slowenen und Kroaten mit der italienischen Minderheit in Istrien und Dalmatien? So als hätten die neuformierten selbständigen Staaten vor allem die Ausrottung der hunderttausend Italienisch-Stämmigen im Sinn, mit denen sie schon vier Jahrzehnte nahezu reibungslos zusammenleben. Der Verdacht, hier sollen handfeste Konflikte erst angestachelt werden, um sie dann zum Einmarsch zu nutzen, ist längst nicht mehr von der Hand zu weisen. „Bald fehlt nur noch die Lunte am Pulverfaß“, jubelte ein expansionstrunkener Neofaschist während der Manifestation gegen den Panzer-Transfer in Triest. — Kaum ein Tag, wo nun nicht ein Bürgermeister aus irgendeiner istrischen Stadt zum Jammern vor die Mikrophone italienischer Sender gebeten wird. Kaum ein Tag, wo nicht die separatistische, derzeit hoch in der Wählergunst stehende „Lega del nord“ die Einverleibung Istriens in die von ihnen angestrebte autonome Region Norditalien fordert. Und kaum ein Tag, wo nicht die Rechtsradikalen landauf landab brüllen: „Holen wir uns Istrien und Dalmatien wieder.“ Und die Regierenden in Rom? Anders als bis vor kurzem, tun sie derlei nun nicht mehr als „Spinnerei“ ab, sondern fordern nun „präzise“ Garantien. Mehrheitlich solche, die kaum ein souveräner Staat gestatten wird. So möchte die Regierung in Rom zum Beispiel von Kroatien und Slowenien — Istrien liegt auf beider Territorium — die Einrichtung einer grenzübergreifenden Region Istrien mit Sonderrechten der Italiener herauspressen. Skurrilerweise genau das, was sie selbst als „Monster“ bezeichnen, wenn Grüne, wie der Europaabgeordnete Alexander Langer, eine solche transnationale Großregion in Nord- und Südtirol zur Entschärfung der sich wieder zuspitzenden Autonomie- Kämpfe fordern. Und schon ganz taub sind die Italiener, wenn die Slowenen ihrerseits die Frage nach einer Über-Region auch für ihre in Italien lebenden Landsleute stellen.

De Michelis und seine Mitstreiter wissen, daß es nur einen einzigen ernsthaften Gegner ihrer Adria-Expansionspolitik gibt — Deutschlands Außenamtschef Genscher. Dessen zeitweise ganz gegen seine Gewohnheit überlautes Engagement für die Slowenen und Kroaten suchten die italienischen Diplomaten zuerst durch Schüren einer massiven antideutschen Kampagne im ehemaligen Jugoslawien und innerhalb der EG zu konterkarieren. Mittlerweile, seit Genscher nach außenhin stiller, seine eigenen Emissäre aber umso emsiger zugange sind, sucht De Michelis durch Um-den-Bart-Gehen zumindest ein Stillehalten der Germanen zu erreichen. Gleich mehrmals traf er sich mit seinem ungebliebten Kollegen aus Bonn in den letzten Tagen, unterschrieb gemeinsame Erklärungen, zog auch mal den österreichischen Amtsbruder dazu. Und versicherte ein ums andere Mal „volle Identität der Sichtweisen“.

Hinter vorgehaltener Hand, Doppelspiel ist ja die besondere Kunst der Diplomatie, verweisen Italiens Außenbeamte jedoch immer öfter auf einen 'Spiegel‘-Artikel, demzufolge Genschers berühmte „Antennen“ für künftige Entwicklungen in letzter Zeit nicht mehr so recht funktionieren. „Seine Zeit ist um“, streuen De- Michelis-Mitarbeiter inzwischen, „den Großohrigen in Bonn zieht unser Lockenkopf längst ohne Mühe über den Tisch.“

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