: Brüsseler Geschenke für Blauen Dunst
Europäische Gemeinschaft schießt dem Tabakanbau 2,7 Milliarden Mark zu/ Besonders lukrativ ist die Produktion gesundheitsschädlicher Sorten/ Anbaukontrollen finden nicht statt ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) — Jedes Jahr sterben 431.000 RaucherInnen in der Europäischen Gemeinschaft an den Folgen ihrer Qualmerei. Doch während EG-Kommissar Vasso Papandreou am liebsten ein Werbeverbot für Glimmstengel in der gesamten Gemeinschaft verhängen würde, fördert die EG das Laster kräftig weiter, aus ihrer Subventionskasse schießt sie dem Tabakanbau 2,7 Milliarden Mark pro Jahr zu — das sind 4,3 Prozent des Gesamtetats. In kein anderes landwirtschaftliches Produkt wird im Verhältnis zur produzierten Menge soviel Geld gesteckt.
Diese Zahlen haben jüngst die beiden britischen Wissenschaftler Luk Joossens und Martin Raw in einem Fachartikel über Drogenabhängigkeit gelüftet. Demnach wird der Großteil der Summe für Interventionskäufe aufgewendet; fünf Prozent dienen der Exportsubvention. Ein Pfund EG-Tabak kostet so auf dem Weltmarkt nur einen Zehntel Pfennig.
In den Export gehen vor allem Tabaksorten, die in den EG-Ländern praktisch unverkäuflich sind: dunkler Tabak mit hohem Teergehalt. Hauptabnehmer sind Bulgarien, Ägypten und Länder der Dritten Welt. Im September bestellte die Sowjetunion im Rahmen der Lebensmittelhilfe 50.000 Tonnen Tabak in Brüssel — genug für 45 Milliarden Glimmstengel.
„Die hochentwickelten Länder laden die Produkte, die ihre eigenen Konsumenten ablehnen oder die wegen der Gesundheitsgefahren sogar verboten sind, auf weniger entwickelte Länder ab“, stellen die beiden Wissenschaftler fest.
„Die Subventionen haben natürlich eine soziale Dimension“, sagt Raymond Keane vom Dubliner EG- Kommissionsbüro. „Das Überleben von 200.000 Tabakbauern hängt davon ab. Da kann die EG nicht über Nacht den Hahn zudrehen.“ Die halbherzigen Versuche, die Tabakbauern zum Anpflanzen leichterer Sorten zu bewegen, sind weitgehend fehlgeschlagen. Vor allem Italien, der größte EG-Tabakproduzent, hat sich auf unverkäufliche Sorten spezialisiert, die genauso schnell wieder vernichtet werden, wie sie geerntet wurden. „Es wird nicht mehr länger Tabak angebaut, sondern Prämien“, wird in einem EG-Bericht vom Sommer festgestellt. Die italienischen Subventionen — immerhin drei Fünftel der Gesamtsumme — kommen vermutlich nicht einmal den Tabakbauern zugute, sondern werden von den weiterverarbeitenden Unternehmen abkassiert.
Die Senkung der Kiloprämien für unbrauchbare Sorten haben die Italiener mit einer Steigerung der Produktion beantwortet. Die Qualität des Tsebelia, eines hochgradig gesundheitsschädlichen Krauts, litt zwar unter der Intensivierung der Produktion. Doch da es „ohnehin nicht für den EG-Konsum bestimmt ist, schert das die Produzenten keinen Deut“, kommentieren die Forscher Joossens und Raw. Außerdem können Subventionskürzungen leicht umgangen werden, indem man die Sorten einfach umbenennt. „In Italien kann niemand behaupten, daß nach dem Umschalten der Produktion von Beneventano auf Forchheimer und schließlich auf Geudertheimer andere Samen verwendet wurden; dieselbe Sorte hat einfach neue Namen bekommen“, wurde kürzlich in einem unveröffentlichten EG-Bericht moniert.
Ebenso illusorisch scheint, die Überproduktion durch eine Quotensenkung zu drosseln: die EG-Disziplinierungsmaßnahmen würden frühestens in drei Jahren greifen. So hat Italien die Geudertheimer-Quote glatt um tausend Prozent überschritten. Hinzu kommt, daß die tatsächlich produzierte Menge nicht kontrolliert wird. Laut Michel Jarrige von der französischen Tabakbauern- Vereinigung weiß niemand, ob in den deklarierten Mengen nicht Billigimporte enthalten sind, oder ob sie gar nur auf dem Papier existieren.
Als einzigen Weg, aus dem Dickicht von Tabaksubventionen und fehlender Kontrolle herauszukommen, haben Joossens und Raw in der vollständigen Abschaffung der Subventionen für die „gemeingefährliche Droge“ ausgemacht.
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