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Gericht entscheidet über Hafenstraße

Zehn Jahre nach der Besetzung der Häuserzeile in der Hamburger Hafenstraße entscheidet das Oberlandesgericht über die Räumung/ Für Hamburg sind die Häuser längst kein Problem mehr  ■ Aus Hamburg Kai von Appen

Nur wenige Wochen nach dem zehnten Geburtstag der Hafenstraße in St. Pauli — im Oktober 1981 wurden die Häuser erstmals besetzt — beginnt heute vor dem hanseatischen Oberlandesgericht die zweite Runde im juristischen Clinch um die Räumung der Häuserzeile. In der Berufungsinstanz hat das höchste Hamburger Gericht zu entscheiden, ob die im Januar durch das Landgericht ausgeprochene fristlose Kündigung des Pachtvertrages gerechtfertigt war.

Diese war mit diversen Verstößen der BewohnerInnen gegen den Kontrakt begründet worden, vor allem wegen gewalttätiger Auseinandersetzungen mit der Polizei. Den Ausschlag hatte allerdings eine Bagatelle gegeben: Ein Kiez-Bummler hatte 1989 an einem frühen Sonntag morgen gegen die Eingangstür des „Sechserblocks“ gepinkelt. Als er sich dann noch verbal mit den Bewohnern anlegte, wurde er mit einem Farb- und Urinbeutel eingedeckt.

Der Prozeß fällt in eine Zeit, in der das „Problem Hafenstraße“ nicht einmal mehr für die Regierenden ein Thema ist. Mittlerweile gehören die bunten Häuser am Elbhang zum festen Bestandteil des Kiezes, ebenso wie die Reeperbahn. Dies dokumentierte sich zum Beispiel im September dieses Jahres beim großen Festival „Viva St. Pauli“. Zusammen mit Stadtteilinitiativen, Kneipen und Kulturschaffenden organisierten die BewohnerInnen ein großes Spektakel im Millerntorstadion des FC St.Pauli gegen Kommerzialisierung und Umstrukturierung des Kiezes zum Schickimicki-Viertel — und 25.000 Menschen kamen.

Daß die Hafenstraße eigentlich kaum noch wegzudenken ist, sieht scheinbar auch Hamburgs Opposition. Der christdemokratische Hardliner und Hafenstraßen-Widersacher Karl-Heinz Ehlers, der noch vor Monaten die gewaltsame Räumung auf der Grundlage des polizeilichen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) gefordert hatte, meinte am Freitag: „Heute ist die Basis der Hafenstraße als gesichert zu betrachten.“ Ehlers attestierte den Bewohnern zum zehnten Geburtstag Cleverness und politisches Fingerspitzengefühl, mit denen sie sich zehn Jahre lang erfolgreich den staatlichen Räumungsambitionen widersetzt haben.

Dem Senat wirft der CDU-Politiker vor, sämtliche Räumungschancen vertan zu haben. Und so glaubt Ehlers auch anläßlich des heutigen Prozesses — im Gegensatz zu vielen BewohnerInnen —, daß die Sieger wieder am Hafenrand zu finden sein werden. Denn nach Auffassung Ehlers sei der damals zwischen Senat und Bewohnern geschlossene Vertrag, auf den SPD-Bürgermeister Henning Voscherau seine Kündigung stützen möchte, „sittenwidrig“ gewesen. Ehlers: „Man kann doch nicht jemandem die Wohnung kündigen, nur weil er ein Autoradio geklaut hat.“

Dieser Pachtvertrag, den Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi abgeschlossen hatte, war Ausdruck eines jahrelangen Zermürbungskrieges. Seit der schleichenden Besetzung der Häuserzeile ab Oktober 1981 war die Hafenstraße für Senat und Polizei für alles Böse in der Stadt verantwortlich. Und manche Randale zwischen den Bewohnern und der Polizei, bei der dann auch Steine flogen, schien dies nur noch zu bestätigen.

Im November 1987 führte der kalte Krieg zwischen Senat und Bewohnern zur direkten Konfrontation. Die Bewohner befestigten die Häuser militärisch und errichteten Straßenbarrikaden, als der Senat wieder einmal eine Räumung angekündigt hatte. Die Hafensträßler waren bereit, zur Verteidigung ihres Lebensraums Tote auf beiden Seiten in Kauf zu nehmen. Bürgermeister Dohnanyi verstand dieses Signal, setzte auf die friedliche Lösung und schloß den Vertrag ab.

Doch der hatte seine Tücken: Eine Vertragsklausel besagt, daß der gesamten Bewohnerschaft gekündigt werden kann, wenn es dreimal zu Gewalttätigkeiten kommen sollte. Und daß diese zu initiieren sind, hat der Voscherau-Nachfolge-Senat mehrfach bewiesen: beispielsweise im Mai 1989, als er anläßlich der Räumung einer neben den Gebäuden gelegenen Bauwagenburg die Häuser zwei Stunden lang mit Wasserwerfern beschießen ließ, in der Hoffnung, eine „SOG-Lösung“ provozieren zu können. Doch die BewohnerInnen reagierten mit Gewaltlosigkeit.

In den letzten Monaten ist die Häuserzeile aus den Schlagzeilen verschwunden, und nach einer Infas- Studie ist das „Problem Hafenstraße“ nur noch für 19 Prozent der Hamburger ein Thema. Die Bewohner versuchen nun, die Stimmung für sich zu nutzen, damit von „juristisch/ polizeilichen“ Entscheidungen Abstand genommen und, wie sie sagen, „endlich zu menschlich-politischen Ansätzen“ gekommen wird.

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