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Tapfere Zwillinge

Frankfurt (taz) — Das siebte Spiel einer Baseball-Worldseries ist das größte Drama, das die amerikanische Sportwelt kennt. Nach 6 Wochen Frühjahrstraining, 162 Ligaspielen von April bis Oktober, einer Meisterschaftsserie und sechs Worldseries-Spielen muß das siebte Spiel die Entscheidung bringen, wer das beste Baseball der Welt spielt.

Es war ein Kampf nach Biegen und Brechen, und kaum einer der Baseballfachmänner hätte geglaubt, daß die beiden „Aschenputtel- Mannschaften“ des letzen Jahres zu einer solch dramatischen Auseinandersetzung fähig wären. Die 1991-Worldseries zwischen den American League Champions, Minnesota Twins, und den National League Champions, Atlanta Braves, wird für immer in die Annalen der Baseballgeschichte eingehen. Nach sechs Spielen stand es 3:3, und in der Sonntagnacht in Minneapolis mußte Kismet bestimmen, wer Sieger ist.

Die Twins setzten auf das alte Pferd aus ihrem Pitcher-Stall: Jack Morris, 36 Jahre, war zum Ende seiner Karriere von den Detroit Tigers in seine Heimatstadt zurückgekehrt und sollte als alter Mann das Spiel seines Lebens pitchen. Sein Schleuderball war zwar nicht mehr so schnell wie früher, aber seine tückischen Gabelbälle waren immer noch Gift für jeden Schlagmann. Auf dem Pitcherhügel der Braves stand John Smolz, ein 24jähriger aus Detroit, der hier gegen das Idol seiner Jugend anzutreten hatte. Ein Szenario wie in einer Hollywood-Schnulze.

Bis zum siebten Inning stand es immer noch 0:0. Beide Teams hatten Chancen zu punkten, doch ausgezeichnetes Pitching und Verteidigungsspiel stoppten jedes Angriffsmomentum. Im achten Durchgang verpaßte Atlanta die Riesenchance, als die „Bases geladen“ waren und noch zwei Spieler abzuwerfen waren. Jack Morris ließ Nerven aus Stahl aufblitzen. Im Gegenzug forderten die Twins das Recht zum Sieg. Atlanta-Trainer Bobby Cox riskierte alles und griff zum ersten Einwechselpitcher. Mike Stanton, ein 100.000-Dollar-Nachwuchsspieler, gewann das Duell gegen den 3-Millionen-Powerhitter Kirby Puckett. Mehrfach befreiten die Braves sich aus dem Schwitzkasten der Twins. Das gesamte Jahr hatten sie Rückstände aufgeholt, waren auf einer Welle von Adrenalin bis ins Finale geschwommen, hatten die Dodgers aus Los Angeles abgefangen und die Pittsburgh Pirates niedergerungen. Doch in der Verlängerung verließ das Glück die Tapferen. Die Bases waren geladen, Atlanta spekulierte auf Doppelspiel, und Gene Larkin traf ins Außenfeld. Der Lärm im Metrodome übertraf den eines startenden Jumbos. Mit 1:0, dem denkbar knappsten Ergebnis, ist das Baseballjahr 1991 zu Ende gegangen. Andreas Lampert

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