: „Es gibt keine leise Industriegesellschaft“
Ten years after: Flughafen Rhein-Main will wieder mehrere Hektar Wald abholzen/ Diesmal für ein neues Frachtzentrum/ Auf Hearing über Fluglärm betonen FAG und Lufthansa, wie notwendig ein Ausbau von Rhein-Main sei ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) — Geschichte soll sich angeblich nicht wiederholen. Und wenn doch, dann als Farce: Vor mehr als zehn Jahren saßen sich die Kontrahenten schon einmal im hessischen Landtag gegenüber. Damals fand im Plenarsaal eine Anhörung zum geplanten Bau der Startbahn 18-West auf dem Rhein-Main-Flughafens statt. Geladen waren VertreterInnen der Flughafen Aktiengesellschaft (FAG), der Lufthansa, der Flugsicherungsbehörden, der Wirtschaftsministerien in Bonn und Wiesbaden sowie Magistratsmitglieder der Städte und Gemeinden rund um den Flughafen — und eine Handvoll SprecherInnen der Bürgerinitiativen aus Mörfelden-Walldorf und Mitglieder von Umweltschutzverbänden. Das sogenannte Startbahn- Hearing ging an einem Tag über die Bühne. Danach sprachen die vom Flughafenausbau betroffenen BürgerInnen von einer „Farce“, einem „Feigenblatt“ für die SPD-geführte Landesregierung unter Holger Börner, die nur die eigene revoltierende Parteibasis mit einem „demokratischen Mäntelchen“ habe beeindrucken wollen. Tatsächlich wurden die Argumente der Startbahngegner unter den Teppich gekehrt, die Startbahn gebaut — und der Protest dagegen niedergeknüppelt.
„Die alten Fraktionen existieren immer noch“, sagte am Montag nach einem Hearing zu den sozialen, physischen und psychischen Auswirkungen des Flugbetriebes auf die Menschen im Rhein-Main-Gebiet ein Vertreter der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms. Und tatsächlich saßen da wieder die „alten“ Startbahnkämpfer im überfüllten Sitzungssaal 119 den Vorstandsmitgliedern der FAG und den Vertretern der ausbauwilligen Metropole Frankfurt gegenüber. Etwa Ex-BI-Sprecher Leo Spahn aus Kelsterbach, der heute dem Kreisvorstand der Grünen im Landkreis Groß-Gerau angehört und dem Verein Umweltbüro vorsteht. Oder der Ex-BI-Sprecher Dirk Treber, den die Welle der Empörung über den Startbahnbau in den hessischen Landtag spülte. Heute ist der Grüne Dirk Treber Beigeordneter der „Startbahn- Frontstadt“ Mörfelden-Walldorf. Selbst ein alter Kämpfer aus den Reihen der Autonomen, der seine Gefolgsleute aus Wiesbaden zur Hoch- Zeit der Bewegung nahezu täglich an die „Schandmauer“ um die Startbahn agitierte, war gekommen, um die Neuauflage des historischen Konflikts zwischen „denen da oben und uns“ neu bewerten zu können.
Nostalgie war nicht angesagt auf diesem Hearing, bei dem es vor allem um den von Vertretern aller Anliegergemeinden als „unerträglich“ bewerteten Fluglärm ging — auch wenn die von den Betroffenen als „provokativ“ empfundenen Redebeiträge vor allem der FAG-Vorstandsvertreter kollektiv mit höhnischem Gelächter kommentiert wurden. Daß die Herren Borst und Huxhorn von der FAG die Stirn hatten, trotz vorliegender gegenteiliger Meßergebnisse der Kommunen den maximalen Lärmpegel über dem Rhein-Main-Gebiet mit 62 Dezibel anzugeben, war eine solche Provokation. Der Bürgermeister von Raunheim etwa konnte Meßergebnisse von bis zu 66 Dezibel vorweisen. Und während des Golfkrieges, so die Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms, seien bis zu 90 Dezibel keine Seltenheit gewesen. Schon bei 55 Dezibel kann es aus medizinischer Sicht zu Schlafstörungen kommen. Die FAG beruft sich dagegen auf die Gesetzeslage: „Rechtlich relevant“, so Borst, sei Lärm erst ab 67 Dezibel. „Und der Golfkrieg belastete nur die Statistik des ersten Halbjahres.“ Daß die FAG beim Thema Fluglärm ausgerechnet von einem Vertreter der Landesärztekammer Schützenhilfe erhielt, der behauptete, in der Regel beschwerten sich nur die Leute über Fluglärm, die „mit dem Walkman durch die Welt laufen“, sorgte bei den Betroffenen aus den Kommunen für zusätzlichen Unmut.
FAG und Lufthansa nutzten das Hearing auch dazu, erneut die Notwendigkeit des weiteren Flughafenausbaus zu begründen. Frankfurt sei von der Fläche her der kleinste Großflughafen Europas — „und in Paris wird noch zügig ausgebaut“. Das Chaos in der Luft, „die zigtausende von Stunden, die unsere Maschinen in Warteschleifen verbringen müssen“, so ein Lufthansa-Sprecher, führe dazu, daß der Rhein-Main- Flughafen von den prognostizierten Zuwachsraten im Luftverkehr nicht mehr profitieren werde. Schon heute, so Lufthansa-Pressesprecher Höbel auf Nachfrage, trage man sich bei Kranichs mit Abwanderungsgedanken. So sind Direktflüge etwa von München oder Berlin aus nach Übersee in der Planung, „weil die Anflüge nach Frankfurt zum zeitlichen Risiko werden“. Die Bahn sei zu unflexibel, um hier mittelfristig Lösungen anbieten zu können, meinte ein Lusthansa-Sprecher auf dem Hearing: „Wir brauchen unter jedem deutschen Flughafen einen Inter-City-Bahnhof.“
Daß heute die hessische Landesregierung den Expansionsplänen der FAG eine klare Absage erteilt hat — und damit die Debatte um die Verlegung der Okrifteler Straße vom Tisch ist —, werteten BürgerInnen aus Umlandgemeinden zwar als „Erfolg“. Doch der permanente Einsatz etwa von Frankfurts SPD-Oberbürgermeister von Schoeler für den Flughafenausbau spiegele die „Arroganz der Metropole im Umgang mit dem Umland“ wieder, meinte der Bischofsheimer Lärmschützer und Umweltexperte Heinz Hofmann. Die Absicht der FAG, innerhalb ihres Geländes mehrere Hektar Wald zu fällen, um Raum für ein neues Frachtzentrum zu bekommen, wird auch von der Anteilseignerin Landesregierung nicht vereitelt werden können. In den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen hatte man sich lediglich darauf verständigen können, eine Ausweitung des FAG-Geländes nicht hinnehmen zu wollen.
Die BürgerInnen des Umlandes werden also mit noch mehr Flugbewegungen und damit mit noch mehr Fluglärm und Abgasen konfrontiert werden. Das sind jedenfalls ihre Befürchtungen, die von FAG und Lufthansa mit dem Hinweis auf leisere und saubere Maschinen gekontert wurden. Am Ende des Hearings verständigte man sich auf Vorschlag von Umweltpfarrer Öser — auch ein Startbahngegner der ersten Stunde — auf die Einrichtung eines Runden Tisches. Ob dann dort die BürgerInnen über selbigen gezogen werden oder ob es tatsächlich zum Dialog kommt, ist noch völlig unklar. Ein Sprecher der Lufthansa hat für den Runden Tisch schon einmal vorsorglich den „Minimalkonsens“ benannt: „Es gibt keine leise Industriegesellschaft.“
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