: Freundlich die Zähne zusammengebissen
■ Die erste Bundeswehr-Grundausbildung in Berlin/ Oberstleutnant Grumblies und die Hauptstadtbaustelle der Bundeswehr am Treptower Park/ Im zentralen Bereich der Kaserne entsteht ein neuer »Antreteplatz«/ Aufräumen fürs »Gelöbnis«
Treptow. Das Schildchen, das sonst die Bananen der Marke »Dole« unverwechselbar macht, klebt auf einem brodelnden Suppentopf mitten in einem Werbeplakat für die »starke Truppe«. Auf dem Poster sitzen rund um das Lagerfeuer Soldaten mit Tarnanzug und -schminke, die Freiheit und Abenteuer verströmen sollen. Die NVA in der Westfriteuse? Gurkentruppe = Bananentruppe? Oder bloß ein Aufbegehren gegen den Vitaminmangel? Im dritten Stock der Kaserne des Jägerbataillons 581 scheint es einen uniformierten Scherzkeks zu geben.
Der Kommandant Oberstleutnant Bernd Grumblies, Befehlshaber über etwa 426 Mann Hauptstadttruppe, ist es nicht. Sein Büro ist eher martialisch eingerichtet. Ein olivgrüner Fallschirm ist auf die Wand drapiert — schließlich kommt Grumblies vom Fallschirmjägerbataillon Iserlohn. Weitere Kriegshandwerksgeräte wie ein Bajonett, Säbel, Karabiner und eine großkalibrige Geschoßhülse sind als Zierrat im Raum verteilt. Unweit von Richie hängt Fritze Zwo an der Wand und schräg gegenüber der nicht ganz stubenreine Text des »Fallschirmjägerliedes«. Recht wehrmächtig.
Grumblies ist zur Altlastensanierung hier, wie er sagt, »politisch, menschlich, infrastrukturell«. Die Ex-Grenzerkaserne, in der das Regiment 33 lag, ist baulich ziemlich heruntergekommen und im Stadtteil nicht besonders beliebt. »Wir wachsen auf den Trümmern des alten Regimes«, sagt der Oberstleutnant. Draußen wird gerade ein neuer »Antreteplatz« gepflastert, der auch als Parkplatz dienen soll. In den Gebäuden werden die Stuben und Sanitärräume saniert. Eine neue Großküche und ein Mannschaftsheim werden gebaut. Schließlich findet hier seit 1. Oktober die »erste Grundausbildung mit Westcharakter« in Berlin statt — etwa 20 Westler und 100 Ostler. Das erste feierliche Gelöbnis findet am 14. November statt, bis dahin muß noch viel aufgeräumt und geputzt werden. Wenn irgendwann mal alles getan sein wird, sollen hier rund 800 Soldaten einquartiert werden. Auch Gehölze und ein Feuchtbiotop in einem alten Schwimmbecken sollen auf dem Kasernengelände angelegt werden — wohl schon ein bescheidener Vorgriff auf zukünftige »Umweltschutz«-Aufgaben der überflüssigen Bundeswehr.
Die jungen Wehrpflichtigen sind momentan nicht zu sprechen. Sie sind im Gelände, auf dem Truppenübungsplatz in Lehnitz und in Hammelburg/Unterfranken. »Um sie vom Kasernenalltag wegzukriegen«, wie Grumblies meint. Eine richtige Entscheidung. Führen doch hier eher noch die Handwerker das Regiment. Und die recht trüben Stuben machen einen ziemlich überheizten Eindruck. Auf dem begrenzten Gelände am Treptower Park läßt sich nicht allzuviel »üben«. Nicht mal für die Jäger, die »schnelle, hochbewegliche Truppe für den Kampf in Wald und Ortschaften«, die ohne Panzer und größeres Gerät auskommt.
Draußen in Lehnitz heben seine »Landser«, wie es Grumblies liebevoll herausrutscht, mit »großer Freude« Erdlöcher aus und grillen Würstchen. Überhaupt würden die Wehrpflichtigen »freundlich auftreten und die Zähne zusammenbeißen«. Konflikte zwischen den Ostlern und Westlern gebe es überhaupt nicht, höchstens mal »Anpflaumereien wie in der Kneipe, die sind landsmannschaftlicher und nicht politischer Art«. Die Bundeswehr hat eben schon immer auf demonstrative Harmlosigkeit gesetzt.
Auch mit dem ehemals entmilitarisierten Umfeld hat Grumblies anscheinend keine Probleme. »Ich gehe mit der Uniform sogar in die Kneipe, wenn auch nicht gerade ins finsterste Kreuzberg. Die Uniform gehört jetzt zum Stadtbild«.
Erst beim Thema Wehrpflicht ist Schluß mit dem Schönreden gegen die große Krise. Da muß Grumblies — selbstverständlich nur »persönlich« — einräumen, daß eine kleine berufsmäßige »hochmobile Eingreiftruppe« eigentlich adäquater wäre. Denn die sei »präsenter und schlagkräftiger«. Eigentlich. Denn an der Wehrpflicht solle doch bitte solange wie möglich festgehalten werden. Schließlich ist die abgegriffene Lebenslüge der Bundeswehr vom vaterlandsdienlichen Staatsbürger in Uniform so ziemlich das einzige, an dem sich ein deutscher Militär in dieser Umbruchzeit noch orientieren kann. Hans-Hermann Kotte
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