Ausländer raus, damit keine Skins kommen

■ Eine Dahlemer Bürgerinitiative bekämpft auf ihre Weise den Rechtsextremismus/ Die Asylbewerber sollen gar nicht erst in ihrer Gegend wohnen/ 48 Asylbewerber wurden schnell zum Verlassen der Villa einer Dahlemer Kirchengemeinde bewegt

Berlin. Von der U-Bahn Podbielskiallee aus in Richtung Grunewald erinnern die Straßennamen an die Idylle deutscher Wälder: »Vogelsang«, »Hirschsprung«, »Im Dol«. Den Deutschen zieht es in den Wald, hier kommt er zu sich selbst. Wo vor 100 Jahren die ersten Berliner aus der Großstadt und Masse ins Grüne flohen, steht heute Villa an Villa, umgeben von kleinen Parks und Gärten, an deren Zäunen oder Mauern Fichtenbäume Sichtschutz bieten. Die Straßen und Alleen sind menschenleer — hier und da führt eine Frau ihren Jagdhund aus.

Ruhe liegt über der Siedlung. Hinter einer alten Villa im Hirschsprung 35 stehen im Garten noch Klappstühle und Tische, der Rasen ist eingetreten, im Gras liegen zwei Federballschläger. Ein Polizist kreuzt die Straße und klingelt an der Gartenpforte, rüttelt dann an der Haustür — sie ist abgeschlossen. Der Hüter von Recht und Ordnung kommt zu spät. Heute morgen sind die letzten der 48 hier untergebrachten Asylbewerber zum Landeseinwohneramt Berlin gebracht worden. Schon eine halbe Stunde später waren ihre Daten geprüft und ausgestattet mit einer »vorläufigen Aufenthaltsgenehmigung«. Dann wurden die Asylbewerber wieder einmal zu neuen Wohnquartieren, verschiedenen Berliner Asylbewerberheimen, gebracht. Die schnelle Bearbeitung auf den Ämtern war erstaunlich, zumal ein Asylbewerber zur Zeit bei den Berliner Behörden oft mehrere Tage anstehen muß, bis sein Antrag bearbeitet wird. Doch die Zeit drängte, denn in Dahlem hatten Bürger mobilgemacht.

Drei Wochen nur haben 48 Asylbewerber aus Hoyerswerda in dieser Villa der evangelischen Landeskirche gewohnt, eine kurze Station auf ihrer Odyssee durch Deutschland. Die Flüchtlinge, größtenteils aus Ghana, Bangladesch und Angola, hatten ursprünglich in Berlin und in Westdeutschland Asyl beantragt und waren von dort aus nach Hoyerswerda gekommen. Nach den Anschlägen durch rechtsextremistische Gruppen Ende September haben Mitglieder der »Berliner Koalition der autonomen Flüchtlingsbewegung« diese Asylbewerber nach Berlin geholt und zur Dahlemer Kirchengemeinde gebracht.

Dort stießen sie auf das Entgegenkommen der beiden Dahlemer Pastoren Schulze und Weiß-Lange. In einem Rundschreiben riefen sie am Tag der Deutschen Einheit »Christen und Demokraten« in der Gemeinde dazu auf, der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit in Deutschland entgegenzuwirken und durch Spenden und Solidarität das »stellvertretende ‘Kirchenasyl‚« zu unterstützen. Die Flüchtlinge wurden in der Villa des verstorbenen Bischofs Scharf untergebracht und von einer Gruppe Kreuzberger Autonomen betreut. Man versorgte die Asylbewerber durch private Spenden; zahlreiche Anrufer bekundeten ihre Unterstützung.

Anders jedoch viele Dahlemer, die nun in unmittelbarer Nähe mit den Flüchtlingen lebten: »Man hat uns einfach übergangen. Jetzt haben wir dies Gesocks vor der Tür«, erzählt eine empörte Dahlemerin auf der Straße. Daher habe man sich wehren müssen und eine »Bürgerinitiative« gegründet — ein wenig stolpert die Frau über das Wort. Bürgerinitiative »zur Verhütung des Rechtsextremismus« liest sich dieses Anliegen in dem von Werner Tratzsch verfaßten Protestschreiben, adressiert an die Berliner Parteien, den Innensenator, den Fraktionschef der CDU und an die Kirchengemeinde. Werner Tratzsch ist pensionierter Vizepräsident der Landeszentralbank und verbringt seinen Lebensabend in einer großen, quadratisch-soliden Villa mit Jagdhauscharakter, die von einem kleinen Park mit Mauer umgrenzt unweit des Kirchengrundstücks liegt. Sein Haus — wie das etlicher anderer Bankangestellter — steht auf dem ehemaligen Grundbesitz der Deutschen Reichsbank, der von den Dahlemern hinter vorgehaltener Hand als »Banker-Meile« bezeichnet wird.

Hinter den Sprechanlagen steckt geballte Angst

Besonders empört ist Werner Tratzsch über die Bitte der Kirchengemeinde, notfalls gegen Übergriffe von rechtsextremistischen Gruppen ein »menschliches Schutzschild« für die Asylbewerber zu bilden. »Schutzschild« nennen sich die Wachen für Asylheime, die Anwohner in Hamburg, Buchholz und Köln gebildet haben. Tratzsch sieht hierin einen Aufruf zu illegalen Protestaktionen und malt sich mit Blick durch die schmiedeeisern vergitterten Fenster seines Hauses ein drohendes »Bürgerkriegsszenario« direkt vor seiner Haustür aus. Dabei werde »bewußt in Kauf genommen, ein Wohnviertel neonazistischen Gewaltaktionen auszusetzen«. Außerdem habe man mit den Autonomen »Kreuzberg nach Dahlem« geholt.

Werner Tratzsch scheint gewohnt zu sein, daß man ihm recht gibt. Zu dem Flugblatt will er sich nicht mehr äußern, »bösartige Verdrehungen« habe es in den Medien gegeben von »solchen Linksintellektuellen, die zwar nur zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber die durch ihre Verbindungen in den Medien die ganze Öffentlichkeit beherrschen«. Für Nachfragen aus der Öffentlichkeit bleibt die schwere Eichentür der Villa Tratzsch deshalb geschlossen.

Auf der anderen Seite der Straße wohnt in einem Backsteinbau aus den frühen 80ern eine russische Emigrantenfamilie. Ihr Grundstück grenzt direkt an die Villa des verstorbenen Bischofs. Auf ein Klingeln an der Gartenpforte erscheint in der Haustür ein junger Mann mit goldumrandeter Spiegelglasbrille. »Die stören!« — erklärt er und deutet mit dem Daumen nach rechts in Richtung Villa. »Die gehören hier nicht hin. Man kann sie in Westdeutschland ansiedeln, wo Platz ist, aber hier gehören sie nicht hin.« Die Leute hier seien Professoren, Richter, Ärzte — Leute, die was zu sagen haben...« Kontakte zu den Asylbewerbern habe er bis jetzt nicht gehabt, auch nicht zu den Autonomen und den Mitarbeitern der Kirche — »die waren die Schlimmsten, die haben den ganzen Tag auf der Veranda oder im Garten gesessen und Lärm gemacht«. Jetzt sind sie weg, das findet er gut und wippt siegesbewußt von den Hacken auf die Fußspitze, die Arme über der Brust gekreuzt. »Es hat ja viel gekostet, sich so ein Haus zu bauen«, sagt er und spricht von »Wertminderung« durch die Anwesenheit der Asylbewerber. In den 70er Jahren ist die Familie aus der UdSSR ausgewandert und hat nach einigen Jahren Aufenthalt in der DDR den Sprung über die Mauer in den Westen geschafft. Die Eltern sprechen auch heute kaum Deutsch. Während ihr Sohn sich unterhält, gucken sie mißtrauisch durch den Spalt der halb geöffneten Haustür.

Schuld an der Aufregung seien nur die da drüben. Jetzt deutet der Daumen des Russen nach links, wo in der anderen Hälfte der mühsam erkauften Reihenvilla Frau Wagner wohnt, die sich als Gemeindehelferin für die Asylbewerber engagiert. Mit anderen Dahlemer Familien sammelt sie Unterschriften für einen Gegenbrief an den Innensenator, in dem Solidarität mit den Asylsuchenden aus der Bischofsvilla bekräftigt wird. 150 Unterschriften sind bisher zusammengekommen. Ausländerfeindlichkeit, so stellen diese Dahlemer Bürger fest, finde man nicht nur in sozialen Unterschichten. Sie äußere sich hier lediglich auf elegantere Weise.

In Sachen »Kirchenasyl« haben die Gegner dieser Aktion sich in einem Akt paradoxer Intervention zu den Bedrohten erklärt. »Man traut sich ja nicht mehr auf die Straße, wo die Neger da sind.« Warum nicht? — »Na, also hören Sie mal...« Mit erbostem Schnauben hält die Spaziergängerin sich an der Hundeleine fest, an deren anderem Ende ein Dackel schnuppernd zerrt. Ihr Argument: »Daß die so schwarz sind...« Gegen Ausländer habe sie nichts, im Gegenteil. Sie spreche fünf Sprachen und sei schon durch die ganze Welt gereist. Dabei habe sie sich ein Bild gemacht: Die auf den Philippinen sind frech, die Afrikaner arbeiten nicht, die Moslems waschen sich nicht...

Hinter den Gitterzäunen der spätkapitalistischen Festungen steckt offenbar geballte Angst. Das kollektive Sicherheitsbedürfnis manifestiert sich in Alarmanlagen, Patentschlössen und videoüberwachten Eingangspforten. In Dahlem, wo über 15 Prozent der Erwerbstätigen in gehobenen Beamtenpositionen und als Richter arbeiten und weitere 20 Prozent gutsituierte Selbständige sind, verhindert man den Rechtsextremismus, indem das Objekt des Hasses von der Bildfläche verschwinden soll. Man spricht von »kulturellem Fremdverstehen« und versteht angeblich die Asylbewerber gut genug, um zu wissen, daß sie in ihrer Heimat besser aufgehoben seien. Hier, wo mit dem eigenen Haus auch die soziale Identität gezimmert wurde, wird jeder Fremde zum Störfaktor.

»Wissen Sie, wir wollen unsere Ruhe haben!« schnarrt eine Stimme durch die Sprechanlage. Um die Ecke wohnt »in der Halde« ein weiterer Gegner der Bürgerinitiative. Sein Namenskürzel W.M. am Türschild will er nicht entschlüsseln und die Tür auch nicht öffnen. Aber seinen Beruf nennt er: Jurist. »Um das Ausländerproblem sollen sich die Politiker kümmern«, ist seine Meinung. Und: »Wo sich überall in der Welt die Menschen die Köpfe einschlagen, wie sollen denn wir hier mit Leuten aus so anderen Kulturen Frieden halten«, tönt es durch den Schutz der Sprechanlage. Wohin mit den Asylbewerbern? Da wird der Jurist etwas ratlos, spricht von Entwicklungshilfe und beschleunigten Asylverfahren. Hier jedenfalls, so auch seine Meinung, sind die Asylbewerber am falschen Platz.

Für ihn und viele andere Nachbarn der Villa ist der Fall erledigt, seitdem die Asylbewerber die Villa wieder verlassen haben. Langsam kehrt im Hirschsprung Ruhe ein. Für Pfarrer Schulze hinterlassen die Ereignisse jedoch einen bitteren Nachgeschmack. Hatte er in seinem Rundschreiben noch gehofft, daß die aus Hoyerswerda kommenden Asylbewerber in Dahlem als Gruppe aufgenommen und eine Zeitlang dort in Frieden leben könnten, denkt er inzwischen, daß ihre rechtliche Anerkennung und Unterbringung in verschiedenen Asylbewerberwohnheimen für alle Beteiligten die beste Lösung sei. Die unzureichenden sanitären Anlagen in der Villa und der begrenzte Platz stellten auf Dauer keine zumutbaren Wohnbedingungen für die Flüchtlinge dar. In Verhandlungen mit der Innenverwaltung hat die Gemeinde erreicht, daß auch diejenigen Asylbewerber, die ursprünglich in Westdeutschland um Asyl ersucht hatten, in Berlin bleiben dürfen und nach Volksgruppen aufgeteilt in verschiedenen Wohnheimen untergebracht werden.

Weder Innensenator Heckelmann noch Fraktionschef Landowsky haben öffentlich Stellung zu dem Rundschreiben der Initiative um Werner Tratzsch bezogen. Jedoch ist die schnelle Umquartierung der Asylsuchenden wohl nicht zuletzt dem Einfluß zuzuschreiben, den die Dahlemer »Initiative gegen Rechtsextremismus« gegenüber diesen politischen Freunden im Senat geltend gemacht hat. Für die Asylsuchenden bleibt auch nach ihrer rechtlichen Anerkennung als Asylbewerber die Situation ungewiß. Ihre Aufenthaltsgenehmigung gilt bis Anfang Januar, dann müssen sie ihre Aufenthaltsgenehmigung in einem neuen Antrag verlängern lassen. Simone von Stosch