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Margret mit dem Holzscheit

■ Freitag nacht zwischen »Twin Peaks« im Ecstasy und »Karaoke« im Schwuz

Mit einem Griff fische ich noch eben die schwarze Augenklappe aus meinem Arzneischränkchen — sicher ist sicher; wer weiß schon, was einen heute abend so alles erwartet —, schlüpfe in mein altes Flanellhemd und die abgewetzten Original-Westernstiefel, dann eile ich, »Wer ist was in Twin Peaks« in der Tasche und Vorfreude auf Special Agent Dale B. Cooper im Bauch, aus dem Haus. Es ist Freitag nacht. Es ist Twin-Peaks-Party im Ecstasy.

Kaum um die dunkelste Ecke Schönebergs gebogen, werde ich auch schon einer unübersehbaren Menschenmasse gewahr, blicke staunend über Trauben junger Menschen, die, offensichtlich alle vom TwinPeaks-Virus infiziert, mit klappernden Zähnen auf den Einlaß ins Ecstasy warten.

Zehn Mark Eintritt, denn umsonst ist der Tod, dann empfängt uns drinnen ein perfektes Merchandising-System mit Twin-Peaks-T-Shirts und Agent-Cooper-Kapuzenjacken, ein dichtes Gewühl und das erhebende Gefühl, »total trendy« zu sein. Mit rührender Liebe zum Detail haben die Ecstasy-Betreiber den halben Tiergarten in ihre Hallen gekarrt. Eichenlaub verbirgt den harten Noppenboden, Holzscheite versperren Blick oder Gang, und ein ausrangiertes Tarnnetz der Nationalen Volksarmee verleiht dem Milieu das notwendige Holzhackerambiente.

Schade nur, daß das Berliner Publikum, dröge wie stets, die Charade nicht so richtig mitspielt. Alltäglich gewandet in allen faden Schwarztönen, die die Szene zu bieten hat, schiebt und quetscht man sich gekonnt lässig durchs Dickicht der Stätte, hält gewohnheitsmäßig Hof und höchstens mal schamhaft Ausschau nach den versprochenen Donuts. Die bleiben an diesem Abend aber ebenso unauffindbar wie ein großer Video-Beam oder der Mörder von Laura Palmer.

Ich finde ein kleines, bescheidenes Plätzchen fernab des wogenden Treibens und teste gerade probeweise meinen Durchblick via Mini-Monitor auf Folge zehn der David Lynch- Meisterserie Twin Peaks, da geht ein Raunen durch den vollen Saal. Und dann wird es tatsächlich um einige mühsam erzwungene Phone leiser, als endlich Special Agent Dale B. Cooper kaffeetrunken auf den wenigen Bildschirmen des Saales erscheint.

Aber, welche Enttäuschung! Die Faszination von Twin Peaks, hier geht sie kläglich unter! Versinkt im fortwährenden Kreuzen und Queren all derer, die, in Ermangelung eines geeigneten Stand- und Sichtortes, nicht seßhaft und etwas orientierungslos umhertreiben und das — den Kultwert des Ereignisses gehässig ignorierend — vorzugsweise angeregt plaudernd tun.

Auch die TV-Kids mit hartem Sitzfleisch, die sich bereits zur Dämmerstunde die kostbaren besseren Plätze gesichert hatten, enttäuschen. Dichtgedrängt, gebannt und regungslos starren sie auf die Mattscheibe, saugen die flimmernden Bilder gänzlich handlungsunfähig in sich auf. Stöhnen nicht, jubeln nicht, rühren sich nicht.

Gerade betritt in Twin Peaks Margret mit ihrem Holzscheit das »RR Diner« und spricht — hier ist das kaum verständlich! — ihren wunderbaren, rätselhaften Satz: »Mein Scheit hat etwas Wichtiges zu sagen!«, da sehe ich undeutlich einen hünenhaften Kellner mit einem winzigen Blech Cherrypies an mir vorüberziehen. Trugbild oder Wahrheit?

Ahnungslos repetiert der FBI- Profi Cooper: »Die Eulen sind nicht, was sie scheinen« — und die Versprechungen des Ecstasy sind es wohl auch nicht. Die Technik zeigt ihre Überforderung — oder Lustlosigkeit —, indem sie eine Viertelstunde nach dem obligatorischen Cliff-Hanger immer noch nicht den Knopf zum Abschalten der RTL-Werbung gefunden hat. Der multivisionäre Anpfiff zum Abrollen der aktuellen Bundesliga-Ergebnisse läßt mich endgültig an Flucht denken.

Ich schenke mir Blue Velvet und den DJ Roland, pfeife auf das versprochene Special-FBI-Food und schubse mich, enttäuscht und mit letzter Kraft, auf die Straße.

Aber einmal den Berliner Fernseh- Ereignissen auf der Spur, lasse ich so früh noch nicht locker, schmeiße mich flugs in die U-Bahn und wenig später in die Karaoke-Party des FAB- Ablegers »Läsbisch-TV« im Schwuz.

Lipstick on your Collar trällert gerade eine Unverzagte auf der Karaoke-Bühne, und die wahre Gitte singt ein letztes Mal den Subkult-Feger Lampenfieber, da tobt der Saal »vor dem Schritt ins Nichts« und ich finde meine gute Laune wieder. Dancing Queen und Your the one that I want. »Yma« singt mit »Sumac« besser als im Theater des Westens, und Barbra Streisand kommt gleich zweistimmig daher. Moderatorin Gabi findet — ganz rosenthalerisch — »Das war läsbisch!«, schmeißt die Pumps und ihre letzten Skrupel von sich, und turnt mit Twist and shout die Massen an.

In meinem Holzfällerhemd absolut wrong-dressed wage ich es nicht, meine Jacke auszuziehen und stehe kurz vorm Kollaps, als Claudette aus Keiner-Weiß-Woher von ihren Freundinnen auf die Bühne gehievt wird, tapfer It's my party schmettert und damit Susanne aus Bayreuth inspiriert, die so ihr musikalisches Coming-Out feiert.

Ab jetzt hat die Technik ihre liebe Not. Sie spult und spult, was das Zeug hält, und es gibt kein Halten für niemand mehr. Nicht einmal für die Dekoration, die beim großen Finale in die Knie geht, als alle gemeinsam gröhlend anstimmen: »Uh, sagt Frau Beyer zu mir, uh, es ist stärker als wir...«

Stärker als meine Nerven allemal, und so schwanke ich, immerhin schon nach BVG-Betriebsschluß, etwas Karaoke-trunken nach Hause. Dort angekommen brühe ich erst einmal einen starken Kaffee, schmeiße die Stiefel von mir und mich vor den Videorekorder.

Und dann ziehe ich mir doch noch kiloweise Donuts und alle TwinPeaks-Folgen« am Stück rein, bis der Tag endlich eine neue Perspektive bringt und ich von dem Gedanken ablassen kann, doch noch eine Karaoke- Karriere zu beginnen.

Es blinzelt der Tag schon durch die Jalousien, da fische ich statt meiner Zigarettenschachtel die schwarze Augenklappe aus der Tasche und denke müde, aber glücklich: »Ooh, what a night!« Klaudia Brunst

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