: KDV-Prozeß in Athen
■ Griechenland hat immer noch kein Zivildienstgesetz
Berlin (taz) — „Fahnenflucht in Zeiten der Mobilmachung“ lautet die Anklage gegen Pavlos Nathanael, dessen Verfahren heute vor dem Obersten Militärgericht in Athen beginnt. Seit der Zypernkrise im Sommer 1973 befindet sich Griechenland in „Mobilmachung“. Nathanael gehört zu den 50 offiziell gemeldeten „Wehrdienstverweigerern aus nichtreligiösen Gründen“. Er ist der vierte Verweigerer, der binnen fünf Jahren vor dem Militärgericht steht.
Die vorangegangenen Prozesse gingen ganz unterschiedlich aus: Michalis Maragakis verbrachte fast zwei Jahre in Militärgefängnissen, Thanasis Makris wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt und im Sommer dieses Jahres wurde der Totalverweigerer Nikos Maziotis zu 10 Monaten Haft verurteilt. Doch nach der Haft sind die Probleme nicht zu Ende. Als Maragakis auf Einladung von amnesty international in die USA reisen wollte, bekam er keinen Paß. Makris durfte nicht bei Kommunalwahlen kandidieren.
Die Regierung brüstet sich damit, daß das Militärgesetz einen „Ersatzdienst“ vorsieht. Dieser „Ersatzdienst“ ist nichts anderes als ein normaler Wehrdienst ohne Waffe, der aber doppelt solange wie der normale Wehrdienst dauert. Ursprünglich sollte der „Ersatzdienst“ die rechtliche Grundlage für das Vorgehen gegenüber den Zeugen Jehowas schaffen, die sich aus religiösen Gründen weigern, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Heute sitzen in griechischen Militärgefängnissen ungefähr 400 Zeugen Jehovas Haftstrafen von bis zu fünfeinhalb Jahren ab.
Griechische Verweigerer stehen einer oft feindlichen Öffentlichkeit gegenüber. Nach vorherrschender Meinung verbieten die strategische Lage des Landes und die Gefahr von Norden und Osten die Einführung des Zivildienstes. Unterstützung kommt dagegen aus dem Ausland: Europaparlamentarier nehmen an Prozessen teil. Mehrfach ist Griechenland wegen Mißachtung der Menschenrechte verurteilt worden — unter anderem vom Europaparlament. Acht Jahre danach ist Griechenland heute das einzige EG-Mitglied ohne Zivildienstregelung.
Das Thema „Militär“ schreit nach Lösungen. Die Selbstmordrate unter Soldaten steigt ständig: Allein 1990 haben sich nach offiziellen Angaben 23 Soldaten das Leben genommen. Im gleichen Jahr verurteilten Militärrichter einen Soldaten wegen des „Versuchs zur Herbeiführung einer Selbstverletzung und unerlaubter Benutzung der Dienstwaffe“. Die Dunkelziffer derjenigen, die sich trotz der sozialen Folgen, von Militärärzten bescheinigen lassen, daß sie psychische Störungen haben, wird auf 100.000 geschätzt. Nikos Theodorakopulos
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