INTERVIEW: Einwanderkontingente aus Osteuropa
■ Niedersachsens Bundesratsminister Jürgen Trittin (Grüne) zur Regelung für Flüchtlinge
taz: Eine „Einwanderungspolitik, bei der durch Quoten und Kontingente eine Perspektive festgestellt wird“, hat jetzt Bundespräsident Richard von Weizsäcker gefordert. Stehen jetzt das Staatsoberhaupt und die Grünen Seite an Seite?
Jürgen Trittin: Herr von Weizsäcker greift hier ohne Zweifel einen Vorschlag auf, den ich und andere Grüne seit längerem immer wieder zur Diskussion gestellt haben. Dabei haben wir aber ausdrücklich immer von einer Quotenregelung für Einwanderer und nie von einer Quotenregelung für Flüchtlinge gesprochen.
Selbst in der rot-grünen Vereinbarung wird die BRD nicht als „Einwanderungsland“ bezeichnet. Der Bundespräsident noch vor Rot-Grün in Niedersachsen?
Das stimmt nicht. In unserem letzten Kabinettsbeschluß zur Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik ist ausdrücklich festgehalten, daß die Bundesrepublik faktisch den Zustand eines Einwanderungslandes erreicht hat, ohne sich dem politisch zu stellen.
Diskutiert werden aber in diesem Beschluß „Zuwanderungsquoten für die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge“. Streben jetzt auch die Grünen statt „Offener Grenzen für Menschen in Not“ kleine Ouoten an?
Ich wiederhole, es geht um Quoten für Einwanderer und nicht für Flüchtlinge. Flüchtlingselend kann nicht quotiert werden. Wer vor Bürgerkrieg, vor rassistischer, politischer Verfolgung flieht, hat hier aufgrund des Artikels 16 und der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz, und wir sind im übrigen nicht nur moralisch, sondern auch durch internationales Recht verpflichtet, diese Flüchtlinge bei uns menschenwürdig unterzubringen. Dies wird bei der unseligen Diskussion über Sammellager leider immer unterschlagen.
Aber das Landeskabinett diskutiert doch Quoten, die die Gesamtzuwanderung nicht erhöhen.
Dies ist sicherlich richtig. Hier geht es darum, ob wir weiterhin eine einseitige, auf einer willkürlich konstruierten Abstammung basierende Einwanderungsgarantie für Deutschstämmige aufrechterhalten können. In diesem Bereich muß man wohl zu einer gewissen Begrenzung kommen, um auch anderen, nicht den Kriterien der Deutschstämmigkeit genügenden Menschen eine Perspektive bieten zu können, hierher einzuwandern.
Nach den Worten des Bundespräsidenten ist es gegenwärtig „schwer, zwischen Flucht aus politischer Verfolgung, aus Verelendung oder wegen Kriegsverhältnissen zu unterscheiden“. Da müssen doch langfristig festgelegte Quoten zur Abweisung von Menschen in aktuellen Notlagen führen.
Wir werden natürlich immer eine Konfliktlage, auch immer Grauzonen in diesem Bereich haben. Es gibt hier keine klaren Lösungen, die versprechen immer nur Demagogen. Zentral geht es aber hier um Menschen aus Ost- oder Südosteuropa, die einwandern wollen. Es geht nicht um die Hungerflüchtlinge aus dem Sudan, die ja gar keine Chance haben, hierherzukommen. Diesen Menschen aus Ost- und Südosteuropa, die, ohne verfolgt zu sein, hierherkommen wollen, um ganz legitim eine bessere wirtschaftliche Zukunft zu suchen, muß man eine Einwanderungsperspektive bieten. Dann werden viele dieser Menschen nicht mehr versuchen, unter Berufung auf politische Verfolgung hierher einzuwandern. In anderen westeuropäischen Ländern gibt's gegenwärtig Diskussionen um „Einwanderungsprobleme“, nur in der Bundesrepublik wird statt dessen ständig über das Asylrecht angegriffen. Interview: Jürgen Voges
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