: Durchfall schon vor der Premiere
■ Warum das Ensemble der Opera Piccola nicht mehr will, aber muß / „Verzeihung!“
„Wir schämen uns“, sagt der Sprecher des Ensembles, „das wird horrormäßig“, und meint die Premiere der Rossini-Oper heute abend im Schlachthof. Orchester miserabel, Kulisse lächerlich, Dirigent unfähig: solchen Kalibers sind die Vorwürfe, die der Sänger Peter Dirk Mülder im Namen aller seiner KollegInnen erhebt. „Aber spielen müssen wir heute trotzdem“, sagt Mülder, „die Verträge zwingen uns. Es tut uns leid.“
Das wird ein Abend. Jahre des konsequenten Undanks und Mißerfolgs hat die Opera Piccola Bremen, zuletzt ganz ohne Publikum, überdauert, und jetzt soll sie von innen zerfallen? Petrus von Herberstein, der sich ihr „künstlerischer Leiter“ nennt, wankt unter den Angriffen, fällt aber nicht: „Das überrascht mich. Die wußten doch alles vorher.“ Tatsächlich ist das seltsamste Opernunternehmen der Welt, welches, wie Kenner wissen, mindestens so lange währen wird wie die guten Geschäfte derer von Herberstein im Österreichischen, schon lange im Gerede.
Eigentlich besteht die Opera Piccola nur aus einem Briefkopf in Schönschrift. Daß es dem Herberstein, seit er die künstlerische Leitung des Briefkopfs innehat, immer wieder gelingt, SängerInnen aus aller Welt für seine Projekte einzusammeln, das kommt von aller Welt Elend. „In den USA zum Beispiel sind Auftritte wahnsinning schwer zu bekommen“, sagt Mülder. Jobs in Europa sind überaus gefragt; notfalls kommen die Leute für gar kein oder wenig Geld.
Martin Dillon zum Beispiel: Er hatte aus einem Inserat der amerikanischen „Opera News“ erfahren, daß ein bremisches Opernhaus, Piccola oder so, singers and directors suchte. Dillon zahlte allein für den Flug von Philadelphia hierher 644 Dollar. Der Aufenthalt hat ihn bisher, sagt er, dreitausend Mark gekostet. An Gage stehen ihm dagegen, laut Vertrag, je 200 Mark für insgesamt vier Auftritte zu, zusammen 800; die Probenarbeit tat er unbezahlt. Den anderen erging es nicht besser. Sie kommen aus Island, Australien oder auch China; ihre Schwäche ist, daß sie Bühnenpraxis brauchen. Wohl deshalb haben allesamt einen Passus unterschrieben, in welchem Herberstein sich einräumt, ihnen, sollte das Unternehmen mißlingen, überhaupt nichts zu bezahlen.
Im Falle von Michael Lohse, Korrepetitor, hat Herberstein gezeigt, daß er im Notfall auch das Mißlingen nicht braucht, um die Gage zu verweigern: Unlängst feuerte er Lohse nach Wochen der Arbeit und verweigert ihm den Lohn. Herberstein zur taz: „Ach, wenn jemand sich nicht entsprechend benimmt...ich bin auch oft gefeuert worden. Oft genug!“
Günther Mörtl, Regisseur aus Wien, ist nach der ersten Hauptprobe von selbst gegangen und will bloß noch seinen „Namen da raushaben“. Schon das Orchester sei grausam gewesen, ergänzt Mülder, der Sänger: „Ein Dutzend Schüler, dazu zwei Greise, Friedhofsgärtner dachten wir erst, mit ihren Geigen dabei. Es klang furchtbar.“ Unter diesem Eindruck begann das Ensemble, bislang überzeugt, Herberstein befehlige ein Opernhaus, endlich doch zu verzagen — für den künstlerischen Leiter ein Fall von Insubordination: er kündigte kurzerhand allen auf einmal. Das Ensemble konterte mit einer Betrugsanzeige und ist jetzt, wiewohl widerwillig, wieder im Spiel.
Allerdings fehlt seither, samt Korrepetitor, das Klavier. „Da hat Herberstein“, sagt Mülder, „sein kleines Kinder-Casio von zu Hause mitgebracht. Auf dem will er im Ernst die Rezitative begleiten.“ Das können die Armen, die so spät aufrührisch geworden sind, nicht begreifen: „Der kauft sich“, sagt Lohse, „bloß um den Dirigenten zu spielen, eine Scheinwelt zusammen.“
Kann sein, daß sie jetzt in den Fugen knarzt: Der Schlachthof, der nun um seinen Ruf als Veranstaltungsort fürchtet, will die Premiere von La Scala di Seta (heute 20 Uhr) nur zulassen, wenn Herberstein die Saalmiete von rund tausend Mark im voraus bezahlen kann. Manfred Dworschak
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