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Zur Ho-Chi-Minh-Straße

■ Die Taxifahrerin (2): Monolog hinter der Scheibe

Flughafen Tegel. Was ist denn hier los? Seit einer Viertelstunde stehe ich an Ihrem Halteplatz und warte auf eine freie Taxe. Kriege meine Zeit schließlich nicht geschenkt. Da muß sich aber noch einges ändern, Mädchen, wenn Sie Regierungsstadt sein wollen. Was, Sie wollen gar nicht? Das erzählen Sie mal bei uns in Bonn, da kriegen Sie glatt 'ne Prämie.

So, ich muß in den Osten — wenn man das noch so sagen darf — na ja, wir sind ja hier unter uns. In die Ho-Chi-Minh-Straße. Haha, das stell man sich mal vor, ich und in die Ho-Chi-Minh-Straße. Der Name war mir immer schon ein Greuel, ich habe meinen Kommilitonen damals schon prophezeit, daß sie auf dem falschen Dampfer sind. Und das muß ja wohl dem letzten Schwachkopf mittlerweile auch klargeworden sein. Die da drüben können doch noch nicht mal einem anständigen Vortrag folgen, da kommt noch viel Kleinarbeit auf uns zu.

Mensch, ist das voll hier, hier kommt man ja gar nicht voran, wann wird denn endlich dieses blöde Brandenburger Tor aufgemacht? Der Diepgen läßt sich auch alles gefallen, obwohl, mit dem kann man wenigstens reden. Bei seinem Vorgänger müßte ich jetzt wohl mit dem Fahrrad rüber.

Sagen Sie mal, was machen denn die ganzen türkischen Händler hier am Reichstag? Gibt ja kein gutes Bild ab für diese Stadt. Waas? Die verkaufen russische Militärabzeichen?? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wie sind die denn daran gekommen? Ein dickes Geschäft? Und warum stehen unsere deutschen Jungs nicht hier? Soll doch genug Arbeitslose geben. Daß die im Osten alle pennen, ist mir klar, aber wenigstens im Westteil muß es doch ein paar Clevere geben. Aber wer hier früher schon schlau war, ist wohl abgewandert. Hätte ich auch getan. In so einer Stadt konnte man doch nicht leben, in diesem Sammelbecken von Asozialen, zwielichtigen Gestalten und Möchtegernkünstlern. Wie der Diepgen die alle rauskriegen will, ist mir ein Rätsel. So kann man nicht Deutschland repräsentieren. 80 Prozent der Bevölkerung sind Nieten und der Rest scheintot.

Ob ich einen Stadtplan dabei habe? Na hören Sie mal, Sie sind doch die Taxifahrerin. Ach so, Sie haben einen, das ist ja sehr beruhigend. Sind Sie vielleicht auch aus dem Osten? Dann nichts für ungut, jeder fängt mal an. Ach so, aus dem Westteil. Berliner Taxifahrer waren mir schon immer suspekt, von wegen Original, vor allem die Nachtfahrer, fast alles zwielichtige Gestalten ohne Benehmen.

Ja, hier können Sie halten. Schreiben Sie mir eine Quittung über 40 Mark, ist ja nicht mein Geld. Für den Rest kaufen Sie sich eine Tasse Kaffee, damit Sie wieder nach Hause finden. Barbara Freisleben

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