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Aufreißen, rauspulen, abgleiten, einführen

■ Soziologen forschen dem Safer-Sex-Macher hinterher/ Wer ist der »Mann ohne Vorbehalte«?/ Marlboro-Mann auf dem Vormarsch

Also, ich weiß es jetzt!« jubilierte unlängst meine Freundin Marlene, und die ist immerhin Diplomsoziologin. »Was weißt Du?« fragte ich. »Na warum«, sagte sie, »bei mir bislang alle Kerle Schwierigkeiten hatten mit dem Dingsda.« »Dem waswo?« fragte ich. »Na, dem Kondom«, sagte sie. »Aber damit ist jetzt Schluß. Mir kommen nur noch Typen über die Bettkante, die hundertprozentig Gummi-erprobt sind.«

Marlene hat nämlich, weil sie Diplomsoziologin ist, aus allen soziologischen Safer-Sex-Studien1 den idealen Kondombenutzer zusammengestellt. »Am schlimmsten«, sagt Marlene, »sind diese Typen, die mit Dir so langsam über den Prozeß der rekursiven Schließung ihre Infrastruktur ausbilden, um mit dem Rücken zur Zukunft ihre Handlungen zu strukturieren [wann trennst du dich von ihr eigentlich? sezza].«

»Bin ich so einer?« fragte ich schüchtern nach [du wohl nie. sezza]. »Quatsch«, sagte sie, »hier geht es um Romantik, und die ist völlig out. Über den Gummi muß man reden, bevor man ihn benutzt. Drüber reden, drüberstülpen. Deshalb benutzen nur ein Drittel aller Romantiker Kondome. Für mich sind die gestorben, genauso wie Leute mit Kabelfernsehen.« »Weil«, so vermute ich, obwohl ich in Soziologie ja kein Diplom habe, »der übermäßige Genuß von Anti-Aids-Spots zu einer Jetzt-erst-recht-Mentalität führt.« »Da ist schon was dran«, sagt Marlene, »Entscheidend aber ist: Männer mit einem passiven Freizeitverhalten und einer entschiedenen Prävalenz für Alkohol und Drogen sind signifikant größere Kondommuffel als ihre kreativ-konsumierenden Kollegen. Hohes Einkommen und hohe Bildung zeichnen den Kondombenutzer aus. Depressive Männer, selbstmordgefährdete Männer kommen nicht mehr über meine Schlafzimmerschwelle [uff, das problem wär gelöst. sezza].«

Letzte Woche hat Marlene mich besucht. Ich hab die Rasierklingen, die Fernbedienung, meine Portweinflasche und die Boleroplatte versteckt und wollte gerade ein lockeres Gespräch über Empfängnisverhütung beginnen, da unterbrach sie mich. »Wie denkst du«, fragte sie, »eigentlich über die Klimakatastrophe und den Nord-Süd-Konflikt?« Zugegeben, ich war perplex und murmelte etwas von »Wird schon irgendwie werden«, aber damit hatte sie mich schon umzingelt: »Wer die gesellschaftlichen Probleme verdrängt«, sagte Marlene, »neigt auch zu einer Unterschätzung des Infektionsrisikos.« Und dabei wedelte sie bedrohlich mit einer dicken, eben erst erschienenen Safer-Sex-Studie. »Geh in die Gewerkschaft, tritt in die Partei ein, du wirst sehen, deine Probleme mit dem Kondom...« In diesem Moment platzte mir der Kragen [oh! stellvertreter-handlung. sezza]: »Ich mache mir überhaupt keine Probleme mit diesem ganzen Dingsda!« brüllte ich sie an, ich mache halbjährlich meinen Aids-Test, und damit basta. Kein Aufreißen mehr, kein Rauspulen mehr, kein Abgleiten.

Marlene war außer sich, richtig rot angelaufen. »Die dem gegenwärtigen Sexualverhalten inhärente Reduzierung ungeschützter insertiver und rezeptiver anal-genitaler Praktiken ist unabhägig von einer Teilnahme am HIV-Antikörpertest« zitierte sie die Dannecker Studie schluchzend und in wahrer Angst um meinen Immunstatus, dann zog sie wutentbrannt von dannen.

Vorgestern glaubte ich ihren idealen Kondombenutzer entdeckt zu haben, auf einer Werbetafel: Es war der Marlboro-Mann. Wenn das Philipp Morris wüßte. Dirk Ludigs

1 Dannecker, M.: Homosexuelle Männer und Aids, Stuttgart 1990; Bochow, M.: Aids und Schwule, Deutsche Aids Hilfe, 1989; Bartelt, B,.: Lernziel Safer Sex, Berlin 1991; Gerhards/Schmid: Intime Kommunikation, Berlin 1991.

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