: Vukovar war eine reiche Stadt
Die internationale Medienmacht hat über die Kriegsverbrechen in und um Vukovar bisher kaum berichtet/ Großbritannien lieferte Splitterbomben ■ Von Dunja Melic
Glaubt man den Bildern aus Vukovar, die in diesen Tagen — kommentarlos vom Belgrader Fernsehen übernommen — über die bundesdeutschen Bildschirme flimmern, so könnte man meinen, daß die Bevölkerung über 80 Tage lang in ihren Kellern vegetierte, weil rechtsextremistische Kroaten sie nicht fliehen ließen. Es wäre schön, wenn sich alle Lügen aus Belgrad, die nur allzugern im konfliktscheuen und verantwortungslosen Westen Gehör finden, so leicht widerlegen ließen wie diese. Vukovar wurde seit Mitte Juli fast pausenlos bombardiert und beschossen. Selbst die Serben, die während der Belagerung die Stadt verlassen wollten, wagten dies nicht mehr, da bereits zu diesem Zeiptunkt die meisten ZivilistInnen bei Besorgungen des Allernotwendigsten außerhalb der Schutzräume verletzt oder getötet wurden. In der Endphase der Belagerung blieben die Alten, Frauen und Kinder — von den Verteidigern versorgt — nur noch in den Kellern. Selbst die Toten konnten nicht mehr begraben werden.
Die Verbrechen der serbischen Soldateska und der satrapischen kommunistischen Oligarchen — die angeblich eine Minderheit schützen—, haben die Welt bisher wenig interessiert. Obwohl die Kriegsherren gegen die Genfer und Haager Konventionen eklatant und wiederholt verstoßen haben, wurden aus diesen „Städten der Gerechtigkeit“ die Verbrechen nicht einmal als solche benannt. Die Berichterstattung der Medien vermied bisher die Bilder von Babys, Kindern und zitternden Alten, die in den Kellern nicht nur — wie in Tel Aviv während des Golfkrieges — um die Vernichtung ihrer Städte und Dörfer bangen müssen, sondern sie mit Grauen erleben. Nicht einmal als Gedankenspiel kam den Erfindern der „Neuen Weltordnung“ die Idee, daß die kroatischen Städte ebenso Abwehrraketen gegen einen rücksichtslosen Gegner brauchen könnten wie vordem Israel. Vielmehr haben die Briten — wie dieser Tage eine Anfrage im britischen Parlament ergab— unmittelbar vor dem Waffenembargo gegen Jugoslawien der kriegführenden Partei in Belgrad die geächteten Splitterbomben verkauft, die in Vukovar so „erfolgreich“ eingesetzt wurden.
Vukovar war eine blühende Stadt. Das heißt: Sie hat über Jahrzehnte mehr erwirtschaftet, als sie selbst verbrauchte, und damit — wie fast ausschließlich die kroatischen und slowenischen Städte und Gemeinden — den jugoslawischen Bundeshaushalt finanziert, darunter die Armee, von der sie heute zerstört wurde. Indirekt finanziert Kroatien und auch der Westen weiterhin den Krieg gegen Kroatien, weil nur die Belgrader Zentralbank Zugang zu den Bundesfinanzen und Einnahmen — auch im Ausland — hat. Das sieht dann so aus, daß meine Telefonrechnungen mit Kroatien weiterhin zur Hälfte nach Belgrad abgeführt werden.
Es ist dieses Wissen um die Herkunft der Macht, die sie zur Kapitulation zwang, die die Bevölkerung von Vukovar aufrechten Ganges aus ihren Kellern kommen ließ. Der unbeirrbar stolze Blick der Dame, die sich noch offensichtlich gekämmt und gepflegt hatte, bevor sie vor den bankrotten Kriegsverbrechern erschien, trug ein Zeichen eines anderen Sieges in sich: der Moral, Kultur und Würde. Im belagerten Vukovar — unzählige Aussagen und Dokumente belegen dies — hat es zwischen Kroaten, Ungarn, Slowaken, Ruthenen und Serben viel Solidarität gegeben. Angesichts der Vernichtung der gesamten Existenzgrundlage und des unbeschreiblichen Leides aller, hat jeder jedem geholfen, hat deshalb unter diesen alptraumartigen Bedingungen vieles doch noch funktionieren können: die Versorgung von Zivilbevölkerung und Verteidigern, die sofortige Behandlung der Verwundeten. Deshalb haben die Verteidiger von Vukovar so würdevoll ihre Waffen abgegeben, denn sie wußten, daß sie sich einem moralischen Verlierer ergeben, der dies auch weiß.
Die oligarchische serbische Schicht von Vukovar — durch demokratische Wahlen im letzten Jahr entmachtet — verließ die Stadt bereits im Frühsommer. In der serbischen Presse heißt das „Genozid“ — wobei bis heute von ihr noch kein Übergriff auf die ehemaligen Potentaten belegt werden konnte. Wie im Fall unzähliger slawonischer Dörfer mit gemischter Bevölkerung (in der ganzen Region machen die Kroaten 70 Prozent aus, zehn Prozent stellen zahlreiche andere ethnische Gruppen und 20 Prozent Serben, wobei viele Serben erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Höfe und Häuser der vertriebenen Volksdeutschen und Ungarn angesiedelt wurden), zogen sie mitsamt ihren Familien aus, um gemeinsam mit einer unbarmherzigen Soldateska „ihre Dörfer und Privilegien“ zurückzuerobern. Diese „Freischärler“, die Lord Carrington als legitime Vertreter der serbischen Minderheit empfängt (man schätzt, daß sich zwei bis drei Prozent der serbischen Bevölkerung in Kroatien, die wiederum zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, im „Aufstand“ befinden), haben unbeschreibliche Massaker an Kroaten, Ungarn, Slowaken, Italienern und auch Serben verübt. Mehr als Kroaten hassen sie noch die Serben, die nicht mitmachen. Ein Teil der auswärtigen Verteidiger von Vukovar rekrutierte sich aus den Reihen jener jungen Leute, die die Massaker an ihren Familien überlebten. Sie waren naturgemäß die mutigsten Kämpfer und nicht die radikalen HOS-Truppen des Dobroslav Paraga, die erst, als Vukovar schon zum Mythos des Widerstandes geworden war, aus Zagreb nachrückten.
Die wenigsten von ihnen haben die Eroberung überlebt. Den rein kroatischen Vorort von Vukovar, Borovo Naselje, hat die Armee den „Freischärlern“, die sich Cetniks nennen — eine Formation, die wegen ihrer unbeschreiblichen Blutrünstigkeit im Zweiten Weltkrieg ebenso berüchtigt war wie die damaligen kroatischen Ustascha-Schlächter — überlassen. Hier wurde bis zum bitteren Ende gekämpft.
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