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V O N W O L F G A N G S C H E N K

Friedensfreunde ohne Vergangenheit

Um den Stasi-Spitzel Dirk Schneider ist es ruhig geworden. Diejenigen innerhalb der AL, die seine Haltung als Ständiger Vertreter der DDR jahrelang unterstützt hatten, halten sich jetzt fast alle im Hintergrund und warten schweigend ab. Andere sind empört, stellen Fragen über Einzelheiten seiner Agententätigkeit. Die Namen aller im Bereich der AL tätigen Stasi-Leute sollen offengelegt werden. Welchen Schaden haben Schneider und vermutlich weitere Agenten Mielkes wem zugefügt?

Fragen über Fragen, die im parlamentarischen Raum in der Regel den Ruf nach einem Untersuchungsausschuß laut werden lassen. Als es darum ging, alle Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf eine eventuelle Stasi-Tätigkeit zu überprüfen, waren es auch AL-Parlamentarier, die einen solchen Untersuchungsausschuß forderten. Nun geht es aber um den eigenen Verein. Da ist nicht viel von der Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Stasi-Unterwanderung der AL zu hören. Die politische und moralische Aufarbeitung aber wäre Sache der AL. Um ein Beispiel zu nennen: Wer hatte eigentlich den Nutzen davon, Schneider und seine Freunde wahrheitswidrig zum »Linken Flügel der AL« und seine (zumeist aus der AL vertriebenen) politischen Gegner zum »rechten Flügel« zu stilisieren? Wieso glaubten neunmalkluge Funktionäre, auf diese Weise als Goldkind in der Mitte ihre innerparteiliche Machtposition ausbauen zu können, obwohl sie damit in Wirklichkeit immer größere »Rücksicht« auf die Gruppe um Schneider nehmen mußten?

Die Unfähigkeit zur linken Vergangenheitsbewältigung ist jedoch nicht allein auf die AL beschränkt. Gerade jene »progressiven Gruppen« in der früheren Bundesrepublik, die sich in der Rolle der Antifaschisten und Friedensfreunde gefielen und als solche viele Jahre auch den Zeitgeist mitgeprägt hatten, gehören seit der Wende in Osteuropa zu den großen Schweigern.

Immer dann, wenn es um die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit im Westen ging, warnten sie berechtigterweise vor dem Vergessen. Ihr eifernder Antifaschismus hatte aber häufig bloß das eigene Seelenheil vor Augen oder war lediglich antikapitalistisch-sozialistisch motiviert. Er diente also keineswegs der generellen Verteidigung der Menschenrechte.

Immer dann, wenn diese Gruppen zur Unterdrückung der demokratischen Opposition in Osteuropa Stellung nehmen sollten, lautete deshalb ihre Devise: leugnen, wegschauen oder gar rechtfertigen.

Fällt es den Berliner Jungsozialisten, der »Friedenskoordination« (Friko), Teilen der Evangelischen Akademie Berlin (West), vielen Funktionären der GEW und anderer DGB-Einzelgewerkschaften, diversen Pfarrern, Ärzten, Juristen und Friedensinitiativen wirklich so schwer, sich an ihre verzerrten Wahrnehmungsmuster zu erinnern? Es scheint, daß viele aus diesem Milieu nun für sich die Tugend des Aussitzens auf diversen Pöstchen entdecken und der Verdrängung den Vorzug vor dem Erinnern geben. Jetzt sind sie es plötzlich, die nicht gewußt haben wollen, daß es »so schlimm in der DDR« war. Sie möchten über ihre früheren ideologischen Verbohrtheiten in einer Zeit hinwegsehen, in der in Deutschland ein Stück diktatorischer Vergangenheit trotz entgegenstehender Interessen bestimmter Kreise aufgearbeitet wird.

Die Verteidigung demokratischer Grundwerte und der Menschenwürde setzt die Glaubwürdigkeit des eigenen Denkens und Handelns voraus, gerade gegenüber Menschen, die von einem Schwarzweißdenken ins andere überzuwechseln drohen. Eine »alternative Vergangenheitsbewältigung« im Stil der fünfziger Jahre wäre deshalb für unsere demokratische Zukunft insgesamt von größtem Schaden.

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