Der Fall Katharina-betr.: "Katharina kehrt aus Amerika zurück", taz vom 19.11.91 / -betr.: "Verantwortungsethik", Kommentar von Götz Aly, taz vom 12.11.91

betr.: „Katharina kehrt aus Amerika zurück“, taz vom 19.11.91

Zum dritten Mal ist in diesem Artikel die Aussage der Eltern Scharpf zitiert worden, daß die Leukämie bei ihrer Tochter nach der bisher durchgeführten Chemotherapie nicht mehr nachzuweisen sei. Das ist in diesem Stadium der Behandlung der Normalfall; man muß jedoch berücksichtigen, daß mit den derzeitigen Möglichkeiten schon eine Leukämiezellmasse von 100 Millionen Zellen (im Gesamtkörper) nicht nachweisbar ist. Sobald aber in diesem Stadium die Therapie abgebrochen wird, vermehren sich diese Zellen erneut, und in einigen Wochen wird die Leukämie auch im Knochenmark wieder nachweisbar sein. Deshalb wird — basierend auf den Erfahrungen, die bisher gemacht worden sind — die Chemotherapie mehrere Monate über den Zeitpunkt, zu dem im Knochenmark keine Leukämiezellen mehr nachweisbar sind, hinaus fortgesetzt.

Die Kinder — und auch die Eltern— gehen mit der Chemotherapie einen schweren Weg. Leider ist es zur Zeit der einzige Weg, mit dem eine Heilung möglich ist. Nur hieraus rechtfertigt sich diese Form der Behandlung.

Die Anwender von naturheilkundlichen Behandlungsmaßnahmen haben demgegenüber keine Erfolge vorzuweisen, so daß ein verantwortungsbewußter Arzt die Anwendung solcher Maßnahmen ablehnen muß. Für jeden, der sich auch nur ein bißchen mit der Leukämiebehandlung bei Kindern auskennt, ist das weitere Schicksal dieses Mädchens klar.

Ich hoffe nur, daß die taz auch darüber berichten wird; nicht um meine Meinung bestätigt zu bekommen, sondern weil zumindest andere Betroffene daraus lernen können. Es ist modern, die „Schulmedizin“ zu kritisieren, und manchmal auch berechtigt; gerade dieser Fall ist aber ein eklatantes Beispiel dafür, daß manchmal die einzige Alternative zur Schulmedizin Bauernfängerei ist. Dr.Herbert Otten, Kinderarzt, Köln

betr.: „Verantwortungsethik“, Kommentar von Götz Aly,

taz vom 12.11.91

Als ich vor etlichen Jahren das Buch Kopfkorrektur von Monika und Götz Aly und anderen las, war ich sehr beeindruckt davon, wie Eltern sich fachkundig gemacht hatten, um ihr behindertes Kind nicht einfach auf Gedeih und Verderb der herrschenden Schulmedizin auszuliefern, sondern verantwortungsbewußte und gut fundierte Entscheidungen im Interesse ihres Kindes treffen zu können.

Um so empörter war ich, im Kommentar desselben Götz Aly „zum Streit um die chemotherapeutische Behandlung des Kindes Katharina Scharpf“ zu lesen: „...Und vor dieser Frage stehen Katharinas Eltern. Ihr Kind hat Leukämie. Diese Krankheit ist tatsächlich nur so zu behandeln, wie die Ärzte der Universitätsklinik Ulm es versucht haben.“ (Herv.d.Verf.) Welches Maß an Kompetenz besitzt Götz Aly, um sozusagen von einer höheren Warte unter den verschiedenen Behandlungsansätzen einen als den „tatsächlich“ einzig richtigen abzusegnen? Es muß von den Eltern Scharpf als Schlag ins Gesicht empfunden werden, nicht nur von bestimmten Ärzten, Juristen und Behörden als „verantwortungslos“ abgestempelt zu sein, sondern zudem von einem Redakteur der taz belehrt zu werden, daß sie ihr Kind der „einzig richtigen Behandlung“ entzögen. Und dies, obwohl aus Reportage und Interview in derselben Zeitung ganz andere Informationen zu entnehmen sind!

Unverständlich ist mir ferner das Verständnis für die handelnden Behördenvertreter und Ärzte. So heißt es über letztere: „Aber auch diese Akteure handeln verantwortungsethisch — nicht willkürlich. Sie sind fest davon überzeugt, das Leben von Katharina so — und nur so — zu retten.“ Woher weiß Götz Aly das so genau, daß er diese Aussage —ebenso wie die oben zitierte— als Quasi-Tatsachen-Festellung treffen kann? Stehen hinter dem so rigorosen Setzen auf die Chemotherapie nicht auch ganz handfeste Interessen, wie die der Pharmaindustrie, die in andere Richtungen gehende Forschungen erschwert; oder die von Ärzten, die nichts anderes gelernt haben und nun ihre Pfründe verteidigen?

In einer Zeitung wie der taz hätte ich jedenfalls anderes erwartet, als einen derartig vordergründigen und zugleich anmaßenden Kommentar. Monika Hoffmann, Werther