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Fusion als Chance oder Bedrohung

Die „feindliche Übernahme“ von Hoesch durch Krupp läßt das Kapital verschmelzen und die Belegschaften erstarren. Ein Streitgespräch zwischen zwei Betriebsräten der IG Metall  ■ UND WALTER JAKOBS

taz: Herr Steegmann, Sie sitzen im Aufsichtsrat der Krupp-Dachgesellschaft. Dort muß dem Kauf der Hoesch-Aktien durch Krupp-Chef Gerhard Cromme noch zugestimmt werden. Die Hoesch-Belegschaft erwartet, daß die Krupp-Arbeitnehmerbank den Cromme-Coup ablehnt. Wie werden Sie abstimmen?

Theo Steegmann:Ich gehe davon aus, daß die Arbeitnehmervertreter nur unter ganz bestimmten Bedingungen zustimmen werden — zum Beispiel wenn zugesichert wird, daß alle Standorte erhalten bleiben.

Strikt nein sagen — wie von den Hoeschianern gefordert — werden Sie zur Fusion aber nicht?

Steegmann: Grundsätzlich nein sage ich zur Fusion nicht, denn ich teile nicht die Position der Hoesch- Kollegen, die sagen, wir wollen und können alleine bleiben. Es ist im vergangenen Jahrzehnt immer wieder versucht worden, die westdeutsche Stahlindustrie neu zu ordnen. 1982 hatten die beiden Aufsichtsräte von Hoesch und Krupp den Zusammenschluß zur Ruhrstahl AG schon beschlossen, der danach in letzter Minute doch noch scheiterte. 1983 folgte dann die Konzeption der sogenannten Stahlmoderatoren, die eine Vereinigung von Thyssen mit Krupp vorsah. Wir alle setzten dem die Forderung nach Vergesellschaftung entgegen, doch praktisch vorangekommen sind wir in dieser Richtung keinen Schritt. Auch deshalb halte ich die Position des Alleingangs für falsch, jedenfalls soweit es den Stahlbereich der beiden Konzerne betrifft. Bei einem Alleingang im Stahlsektor haben in den kommenden Jahren weder Krupp noch Hoesch eine Chance.

Herr Wolf, verfolgen Sie in Dortmund einen chancenlosen Weg?

Hans-Otto Wolf: Wir haben nie den Zwang zur Kooperation geleugnet. Ein Alleingang von Hoesch steht dem aber überhaupt nicht im Wege. Im Gegenteil, es gab in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche über Kooperationsmöglichkeiten, doch bei dem Cromme-Coup geht es nicht um Kooperation...

Die Kooperations- und Fusionsgespräche zwischen den Stahlbereichen von Krupp und Hoesch sind immer wieder an Eifersüchteleien der Vorstände gescheitert. Jetzt gibt es möglicherweise eine Zwangsehe, aber die könnte doch die Ziele von damals verwirklichen und sich damit als zukunftsträchtig erweisen?

Wolf: Nein, denn jetzt sollen zwei Konzerne fusioniert werden. Dabei geht es nicht um sinnvolle Kooperationen in einzelnen Konzernbereichen, sondern um Übernahme, um die Beherrschung des einen durch den anderen. Für Hoesch könnte es im Einzelfall viel effektiver sein, mit anderen als mit Krupp gleichberechtigte Kooperationen einzugehen.

Steegmann: Die Position „Fusion — nein, Kooperation — ja“ ist eine Scheinvariante, jedenfalls für den Stahlsektor. Im Stahlbereich kommen große technologische Veränderungen auf uns zu. Mit dem sogenannten Dünnbettgießverfahren wird die Stahlproduktion revolutioniert. In fünf Jahren wird diese Technik, die — einfach ausgedrückt — das Gießen von Blech ermöglicht und damit heute noch wichtige Walzaggregate überflüssig machen wird, produktionsreif sein. Das erfordert Investitionen in Milliardenhöhe. Sowas umzusetzen, ist auf Kooperationsbasis überhaupt nicht denkbar. Solche Entscheidungen setzen einen gemeinsamen Vorstand voraus, der über die Investitionen und die Optimierung der bestehenden Anlagen entscheidet. Das Reden von Kooperation ist da nur ein Ausweichmanöver.

Wolf: Bei der von Cromme angestrebten Fusion werden die Obergesellschaften verschmolzen. Durch das Zusammengehen zweier großer Konzerne ist eine Optimierung keineswegs zwingend. Es treten zum Beispiel Führungsprobleme — siehe Daimler und AEG — auf, die man dort im nachhinein erst mühsam durch die Schaffung von übersichtlicheren, kleineren Entscheidungseinheiten zu heilen versucht hat. Der Stahlbereich macht bei Hoesch im übrigen nur noch 25Prozent aus. Ein Konzept hat Cromme weder für den Konzern noch für den Stahlsektor vorgelegt. Wenn es eine Lösung gäbe, die eine Standortgarantie von sagen wir 20 Jahren beinhaltete, fiele die Bewertung vielleicht anders aus.

Bei Standortgarantie würde sich Ihre Position zur Fusion wandeln?

Wolf: Ich spreche jetzt nicht nur von den Stahlerzeugungsstandorten, sondern auch von den Standorten im Sauer- und Siegerland, also von allen Standorten.

Steegmann: Das gilt natürlich auch für alle Krupp-Standorte.

Nun sollten wir uns hier nicht in die Tasche lügen. Es geht bei der Fusion um die Realisierung sogenannter Synergieeffekte. Es wird Arbeitsplatzverluste geben, zum Beispiel durch die Zusammenlegung der Verwaltung. Die Betriebsräte der Krupp-Stahl AG und die IG- Metall in Bochum haben ja schon dagegen protestiert, daß die Verwaltung der Stahl AG nicht nach Dortmund — quasi als Ausgleich für die Fusion — gehen dürfe. Hier kämpfen die Belegschaften schon gegeneinander.

Steegmann: Keiner der Arbeitnehmervertreter bei Hoesch und Krupp ist so blauäugig, zu glauben, es gebe keine Arbeitsplatzverluste. Wenn wir von der Sicherung von Standorten reden, dann meinen wir den Produktionsstandort, nicht jeden einzelnen Arbeitsplatz. Die Dortmunder haben in dem Zusammenhang Angst um ihre Flüssigphase, um die wir in Rheinhausen 1987/88 ebenfalls gekämpft haben.

Wieviel Arbeitsplätze hängen da dran?

Steegmann: Bei Krupp sind es an den Standorten in Rheinhausen, Huckingen und Bochum insgesamt etwa 10.000 Arbeitsplätze.

Und in Dortmund?

Wolf: Ebensoviele. Für mich als Arbeitnehmervertreter geht es darum, Arbeitsplätze in den Regionen zu sichern. Das heißt nicht unbedingt, daß die Arbeitsplätze, die die Leute heute innehaben, gesichert werden, sondern es geht um zukunftsträchtige Arbeitsplätze an allen Standorten. Wir wollen keine Wanderungsbewegungen, sondern das Kapital und — damit die Arbeitsplätze — muß zu den Menschen kommen. Ich habe den Eindruck, daß jetzt, zum Beispiel in der Frage über den Verwaltungsstandort im Stahlbereich, innerhalb der Arbeitnehmerschaft ein Konflikt geschürt wird, damit sich ein Dritter freuen kann.

Die Fusion birgt große Risiken, der Alleingang aber auch...

Steegmann: Ich sage noch einmal, und das gilt für den Stahlbereich: Es gibt weder für Krupp noch für Hoesch eine Chance zum Alleingang. Was der Hoesch-Vorstandschef Neukirchen und die Hoesch-Betriebsräte dazu sagen, halte ich für unverantwortlich.

Wolf: Wir müssen jetzt mal klarstellen. Was Neukirchen für Hoesch erklärt, ist nicht in jedem Falle meine Position...

Die Hoesch-Betriebsräte sagen, wir können alleine bleiben, und Theo Steegmann hält eine solche Aussage für unverantwortlich.

Wolf: Wir halten einen Alleingang für verantwortbar. Es sind schon erhebliche Umstrukturierungen im Hoesch-Konzern unternommen worden, die uns zukunftsfähig machen. Demgegenüber enthält die Fusion eine Reihe von unabsehbaren Risiken für die Regionen. Krupp hat Stahlstandorte in Rheinhausen und Huckingen, dort zusammen mit Mannesmann, und bemüht sich um die Übernahme des Stahlkomplexes in Eisenhüttenstadt. Da könnte zum Beispiel die Stahlbasis in Dortmund schnell das Nachsehen haben. Deswegen ist es unverantwortlich, in der jetzigen Phase Chancen zu suggerieren, die nicht da sind, denn langfristige Standortsicherungen liegen nicht auf dem Tisch. Standortgarantien sind aber ein wesentliches Schutzelement.

Entscheidungen über Produktionsstandorte wird das Management im fusionierten Unternehmen unter Ertragsgesichtspunkten fällen. Dicht gemacht werden die maroden Werksteile, ganz gleich ob Krupp oder Hoesch über der Eingangstür steht. Firmenidentitäten spielen da gewiß keine Rolle.

Wolf: Eine kostengünstige, technisch optimale Produktion bedeutet noch lange keine Sicherheit für die Standorte. Da spielen auch noch andere infrastrukturelle Faktoren — zum Beispiel die Verkehrsanbindung — eine Rolle.

Steegmann: Um das mal offen zu sagen: in Dortmund herrscht die Sorge, daß zum Beispiel die Erzzulaufkosten in Dortmund höher sind als am Rhein in Duisburg. Und das geht natürlich in die Rechnung mit rein. Bei einem Stahlvorstand im fusionierten Unternehmen spielt dieser Aspekt gewiß eine Rolle, wenn es in den nächsten zehn Jahren um Investitionsentscheidungen im Hochofenbereich geht. Diese Sorge kann ich verstehen.

Wolf: Diese Sorge haben nicht nur wir, sondern alle diejenigen, die in der kommunalen Wirtschaftspolitik eine Rolle spielen. Stürbe die Flüssigphase in Dortmund, wäre eine ganze Region bedroht.

Herr Steegmann, Sie verweisen auf die Chancen einer Fusion, Herr Wolf spricht von der Bedrohung. Sie beide gehören der IG Metall an, Sie beide kommen vom linken Flügel der Sozialdemokratie. Wenn Sie sich schon nicht einig sind, wie sollen dann die Belegschaften beider Unternehmen an einem Strang ziehen. Wie kann da ein gemeinsamer Weg der Arbeitnehmer gefunden werden. Welche Vorstellungen haben Sie?

Wolf: Das ist eine Frage der langfristigen Perspektiven. Es kann nicht so gehen, daß 1992 eine gemeinsame Gesellschaft gegründet wird, ohne daß klar ist, was das bedeutet. Darauf kann sich keine Gewerkschaft einlassen.

Steegmann: Das sehe ich auch so. Aber solange eine Seite überhaupt nicht bereit ist, über die Fusion als solche zu diskutieren, kann über effektive Strategien auf Seiten der Arbeitnehmer kaum geredet werden. Wir sind da quasi handlungsunfähig. Ich gehe davon aus, daß die Fusion kommt und daß sie unter bestimmten Voraussetzungen auch sinnvoll sein kann. Wenn wir gedanklich davon ausgehen könnten, einmal gemeinsam in einem Unternehmen zu landen, gäbe es eine Reihe von gemeinsamen Forderungen, für die wir auch gemeinsam auf die Straße gehen könnten...

Wolf: ...ja aber nicht erst, wenn der Schritt vollzogen ist, sondern das muß alles vorher klar sein.

Steegmann: Das sehe ich auch so. Nur, wir müssen dann endlich mal dazu kommen, gemeinsame Forderungen zu formulieren. In der Situation sind wir aber noch nicht. Für mich gehörten die Sicherung der Standorte und die Sicherung der Montanmitbestimmung in der künftigen Obergesellschaft in einen solchen Forderungskatalog. Wir könnten uns auch auf die Forderung aus Dortmund einigen, die Westdeutsche Landesbank (West LB) anzugehen, ihren Anteil auf 25,01 Prozent an Hoesch aufzustocken. Auch die Krupp-Kollegen würden es begrüßen, wenn die öffentliche Hand über die Landesbank einen größeren Einfluß auf die Fusion hätte. Derzeit wird von den Hoesch-Kollegen leider immer so getan und geredet, als seien nur sie durch die Fusion betroffen. So kann man keine Solidarität herstellen.

Wie denn? Was könnten Sie, was kann die IG Metall jetzt tun?

Wolf: Wir werden uns nicht am regionalen Egoismus orientieren. Wir wollen ein gemeinsames Vorgehen. Noch ist die Zwangsfusion nicht gelaufen. Bevor entschieden wird, müssen die regionalen Arbeitsplatzauswirkungen und die Standortgarantien vertraglich fixiert werden.

Würden Sie unter diesen Bedingungen einer Fusion zustimmen, Herr Wolf?

Wolf: Ich kann nur noch einmal sagen, daß eine Fusion auf der obersten Konzernebene nicht sinnvoll ist. Das schließt aber Kooperationen auf Teilgebieten in den verschiedenen Gesellschaften nach dem Konzept von Hoesch-2000 nicht aus. Das Hoesch-2000-Konzept wird von Dr.Cromme in keiner Weise kritisiert. Im Gegenteil, er will es sogar übernehmen.

Ist der Zug in Richtung Fusion nicht längst abgefahren?

Steegmann: Ich sehe das so. Die Fakten sind geschaffen. Was man vielleicht noch verhindern kann, ist der völlige Durchmarsch. Für die IG Metall hat dieser Konflikt über den Einzelfall hinaus immense Bedeutung. Wenn es nicht gelingt, zwei solch gut organisierte und erfahrene Belegschaften auf einen gemeinsamen Nenner zu kriegen, dann sehe ich für andere Bereiche, zum Beispiel für die Automobilindustrie, wo sich ähnliches abzeichnet, große Probleme.

Wolf: Der Zug ist deshalb noch nicht abgefahren, weil die Interessensstruktur der an diesem Prozeß Beteiligten gar nicht so homogen ist. Cromme hat 24,9Prozent, mehr nicht. Die anderen Aktienbesitzer setzen Bedingungen, die Cromme erst noch erfüllen muß. Darunter fallen die Banken, die Sicherheiten für die Rückzahlungsfähigkeit der gewährten Kredite haben wollen. Dagegen sind die Pensionsvereinigungen und andere Anleger daran interessiert, auch Dividenden in den nächsten Jahren ausgezahlt zu bekommen. Diese Bedingungen sind nur mit industriellen Konzepten zu erfüllen, die langfristig das Funktionieren einer solchen neuen Gesellschaft sichern. Ein solches Konzept hat Dr.Cromme aber noch nicht. Die Darlegungen von regionaler Betroffenheit bis zur Montanmitbestimmung fehlen auch. Dr.Cromme glänzt ja nahezu durch seine Konzeptionslosigkeit. Das reicht von den fehlenden Ersatzarbeitsplätzen in Rheinhausen bis zu seinen undurchsichtigen Beteiligungsabsichten in Eisenhüttenstadt.

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