: "So einfach ist das nicht" / Interview mit Robert Gernhardt
Bernt Engelmann beschuldigt den Frankfurter Satiriker und Zeichner, ein „Werbefuzzi“ gewesen zu sein. Damit ist ein weiterer vorgeblicher Kritiker des kapitalistischen Systems in den Verdacht geraten, mit diesem System paktiert zu haben. Seit der Kapitalismus Ende 1989 weltweit zusammenbrach und Deutschland sozialistisch wiedervereinigt wurde, häufen sich die Fälle der Verstrickung westdeutscher Intellektueller in die Werbepraktiken des entfesselten Konsumterrors. Robert Gernhardt gibt solche Verwicklungen zu. Ist er deshalb ein Werbefuzzi? Unser Interview zeigt: Die Methoden, mit denen wir unsere Vergangenheit aufarbeiten, müssen noch erfunden werden.
Das (hier leicht gekürzte) Gespräch erscheint in 'Titanic‘ (12/91) — die 'Wahrheit‘ dankt für die Abdruckerlaubnis.
Bernt Engelmann hat Sie während der Entgegennahme des Johannes- R.-Becher-Preises einen Werbefuzzi genannt. Waren Sie das?
Robert Gernhardt: Ich bin kein Sophist. Aber wenn ein Werbefuzzi jemand ist, von dem die Werbung Informationen abgezogen hat, dann war ich einer. Wenn die Werbung alle Mittel genutzt hat, alle Treffen, die wir hatten, wenn sie das alles in ihrem Sinne strukturiert hat, dann bin ich ein Werbefuzzi gewesen.
Haben Sie jemals einen Vertrag mit einer Werbeagentur abgeschlossen?
Einen längerfristigen Vertrag?
Zum Beispiel.
Nein.
Es gibt Zeugen, die einen solchen Vertrag gesehen haben wollen.
Das war mit Sicherheit kein längerfristiger Vertrag. Aber wenn es so was gibt, dann muß es auf den Tisch. Allerdings haben mich Unterschriften nie interessiert.
Sie haben also nie wissentlich für die Werbung gearbeitet?
Arbeiten würde ich das nicht nennen. Arbeit ist doch problembezogen und lösungsorientiert. Von all dem konnte bei mir im Zusammenhang mit der Werbung nie die Rede sein.
Aber sie hatten Kontakte zur Werbung?
Sicherlich, die hatte doch jeder im kapitalistischen System. Die Werbung war ja nirgends zu übersehen — ob man nun eine Zeitung aufschlug oder aus dem Haus ging.
Wir meinen, ob die Werbung Kontakt mit ihnen aufgenommen hat.
Im nachhinein würde ich das als Kontakte bezeichnen, ja.
Damals sahen Sie das anders?
Das war doch nicht so, daß da die Werbung anrief und offen sagte: „Wir sind die Werbung, machen Sie uns dies und das!“
Sondern?
Also, bei mir war das so, daß ich mich gerade in einer sehr schwierigen Lebenssituation befand, da ich mich als freier Schriftsteller auf dem kapitalistischen Markt durchzusetzen versuchte, ohne die üblichen Kompromisse mit Verlegern einzugehen, was ja zugleich bedeutet hätte, Kollegen wegzudrängen. Und da, ich hatte seit dem frühen Morgen nichts gegessen, rief mich ein ehemaliger Klassenkamerad an und lud mich zum Mittagessen ein.
Ein Werber?
Ja. Aber das wußte ich damals noch nicht. Während dieses Mittagessens jedenfalls habe ich ihm sehr unmißverständlich gesagt, wie kritisch ich der Ausbeutung des Menschen, der Verschwendung der Ressourcen und dem ganzen Konsumterror gegenüberstand.
Wann war das?
1968 oder 1969.
Sonst wurde nichts besprochen?
Dies und das. Und irgendwann fragte mich mein Freund — damals hielt ich ihn jedenfalls noch für meinen Freund —, ob ich für Körpergeruch wäre. Ich verneinte natürlich. Ich war damals gegen Körpergeruch und bin es heute auch noch — daran hat auch der Wandel nichts geändert.
Und was bezweckte diese Frage?
Das sollte ich erst sehr viel später begreifen. Damals stellte mein Freund es so dar, daß es da eine Initiative gegen Körpergeruch gebe und ob ich da mithelfen könne mit Diskussionbeiträgen oder Vorschlägen. F. K. Waechter hätte sich auch schon bereiterklärt mitzumachen. Das gab für mich eigentlich den Ausschlag. Waechter war eine der integersten Figuren in der damaligen antikapitalistischen Szene. Wenn der dabei war, konnte es sich um nichts Unsauberes handeln.
Laut Engelmann war aber gerade das der Fall. Ihre Mitarbeit galt letztendlich der „Bliss“-Kampagne. Der Auftraggeber war die Werbeagentur GGK. Und dahinter stand das Geld des Kosmetikherstellers Schwarzkopf, der ein neues überflüssiges Produkt auf den Markt bringen wollte.
Das hat sich mir Ende der Sechziger anders dargestellt. Da dachte ich noch, ich könnte aufklärend in Sachen Körpergeruch wirken. Ich richtete meine Botschaften...
Sie meinen Anzeigen...
...Heute weiß ich, daß es Anzeigen waren. Aber damals begriff ich meine Texte als Botschaften, die ich direkt an die arbeitende Bevölkerung richtete, weil für die das Geruchsproblem viel virulenter ist als für die müßiggehende Klasse. [...]
Aber es gibt das Zentralwerbearchiv in Potsdam, wo seit dem Wandel alles gesammelt wird, was sich in den Kellern und Ablagen der aufgelösten Werbeagenturen erhalten und gefunden hat. Und schon der erste Blick auf irgendein „Bliss“-Motiv zeigt unmißverständlich, daß da geworben wird: Foto, Headline, Text, Produktabbildung, Produktname, schließlich der Slogan: „Unmöglich, diese Frische loszuwerden.“
Der war von Waechter! Ich war nur für den Text unter dem Foto zuständig, und das waren aufklärerische Texte, daran halte ich auch heute noch fest. Um die schreiben zu können, mußte ich ein ganzes Buch über den Schweiß lesen und darüber, wie die Körperbazillen die Schweißsekrete zersetzen und dadurch erst den Geruch erzeugen. Das habe ich dann auch der arbeitenden Bevölkerung mitgeteilt. Ich konnte darin nichts Böses sehen. Das, was sonst noch alles auf der Seite stand, hat mich nie interessiert, solange die Botschaft selber korrekt rüberkam. Ich hielt es für wichtig, daß die Arbeiterin und der Arbeiter nicht nur ideologisch harmonierten, sondern auch geruchsmäßig. Um so geschlossener konnten sie dann dem System gegenübertreten. Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß meine Arbeit unter den damaligen Verhältnissen nicht veröffentlicht werden konnte.
Sehen Sie sich als Opfer der Werbung?
Mir stellt es sich so dar. Aber ich verstehe auch jene, die das anders sehen. Allerdings glaube ich nicht, daß jemand, der nicht im Paranoiasystem des Konsumterrors gelebt hat, beurteilen kann, wer die Täter und wer die Opfer waren.
Haben Sie Geld von der Werbung genommen?
Die Werbung hat mir Geld gegeben. So viel ist richtig.
Und Sie haben es behalten?
Das war unumgänglich. Andernfalls wäre doch aufgeflogen, daß ich nicht für die Werbung gearbeitet habe.
Wie ist das zu verstehen?
Naja, die Strukturen waren derart absurd, daß es mir heute schwer fällt, mich verständlich zu machen. Wenn Sie so wollen, war ich innerhalb der Werbung ein Scheinarbeiter, der zugleich das System beliefert und unterlief. Nur so konnte ich das Schlimmste verhindern.
Zum Beispiel?
Ende der Sechziger beispielsweise war eine Agentur drauf und dran, das internationale Ansehen des großen Steuermannes Mao Tse Tung in den Schmutz zu ziehen, indem sie analog zur Mao-Bibel eine Rote Maggi-Bibel zur Maggi-Vertreterschulung verfassen lassen wollte.
Sie sollten sie verfassen?
Ich habe sie verhindert. Aber sowas war nur möglich, wenn man innerhalb des Systems operierte. Die sogenannten Systemkritiker damals wurden doch nicht ernst genommen. Heute sehe ich das natürlich differenzierter. [...]
Und was ist mit den Ford-17-M- Anzeigen, die Anfang der Siebziger erschienen sind? Da wurde doch ganz eindeutig zum Konsumieren aufgefordert und an so atavistische Instinkte wie Geschwindigkeitswahn und Individualverkehr appelliert. Waren Sie das? [...]
Brecht hat auch Werbung für Autos gemacht. Für Audi, wenn ich nicht irre.
Haben Sie für Ford getextet oder nicht?
Solche Fragen gehen am Kern der Sache vorbei. So eine Anzeige ist niemals das Werk eines Einzelnen. In diesem Falle war es so, daß Waechter und ich eigentlich an etwas ganz anderem saßen und Knall und Fall für Ford eingeteilt wurden.
Und Sie konnten sich nicht weigern?
Wir waren der Mentalität her Subversivisten. Eine eindeutige Weigerung lag außerhalb unserer Denkmöglichkeiten. Wir waren ja im System der repressiven Toleranz groß geworden. Und einem solchen System war nur mit seinen eigenen Mitteln beizukommen — dachten wir jedenfalls damals.
Und wie sah dieser Widerstand im Falle Ford aus?
Wir produzierten lauter unbrauchbare Headlines. An eine erinnere ich mich noch: „Trinker der Winde. Und bequem dazu.“ Das war von Waechter.
Ist die Headline „Granz groß: Der kleine Wendekreis“ ebenfalls von Waechter? Oder von Ihnen?
Das kann ich von meinem heutigen Erkenntnisstand her weder verneinen noch bejahen. Das liegt ja nun schon zwanzig Jahre zurück — kurz darauf habe ich alle Kontakte zur Werbung abgebrochen.
War es nicht eher so, daß Sie nicht mehr angezapft wurden, weil Sie für die Werbung uninteressant geworden waren?
Wie meinen Sie das?
Weil ihre Kreativität nachließ?
In dieser Version kann ich mich nicht ganz wiederfinden — aber ich akzeptiere sie.
Nehmen Sie Bernt Engelmann den „Werbefuzzi“ übel?
Ich habe Bernt Engelmann immer bewundert, also muß ich es auch ertragen, wenn er mich beleidigt. Ich muß ihn jedoch daran erinnern, daß auch er Bücher innerhalb des Systems veröffentlich hat und daß auch seine Bücher verkauft und, natürlich, auch beworben wurden. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß er nicht auch irgendwann zumindest an einem Klappentext mitformuliert hat. Das alles muß aufgearbeitet und klargestellt werden — ohne Zweifel. Aber dann muß wirklich alles auf den Tisch, nicht nur die Spitze des Eisberges. Dem Werber, der gezielt die Hirne verkleisterte, falsche Bedürfnisse weckte und deren Scheinbefriedigung zwecks Profitmaximierung der herrschenden Arbeiterklasse versprach, arbeiten ja unzählige Kräfte zu: Adornogeschulte Soziologen, die in der Marktforschung geendet waren, oder kritische Tiefenpsychologen, die die Akzeptanz von Produkten und Verpackungen testeten. Wenn man die Krake Werbung wirklich vernichten und ihre Wiederkehr für immer verhindern will, dann muß man alle ihre Arme abschlagen und nicht lediglich auf einen willkürlich herausgegriffenen Aspekt einprügeln.
Die Begriffe Schuld und Unschuld lösen sich in diesem Zusammenhang immer mehr auf.
Es gibt diese Begriffe. Ich akzeptiere das. Aber ich persönlich lasse mich nicht auf ein solches Schwarzweiß-Weltbild ein.
Trotzdem haben Sie sich vielleicht in aller Unschuld schuldig gemacht.
Wenn mich jemand schuldig nennt, so akzeptiere ich es, daß er mich aus seiner Sicht so sieht. Aber das muß nicht notwendig meine Sicht sein, so wie sie sich aus meinem jetzigen Erkenntnisstand her ergibt. Man kann das alles sehr einfach sehen. Aber so einfach ist das nicht.
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