KOMMENTAR: Verharmlosen als Strategie
■ Wie aus Stasi-Opfern neue Schuldige gemacht werden
Die bösen Stasis haben immer die anderen. Die sitzen bei der CDU, bei der Treuhand und bei den Koko-Seilschaften. Da schreit die linke Öffentlichkeit auf. Bei uns aber ist alles anders: Wir haben die guten Stasi-Leute und brauchen deswegen nichts bewältigen. Erst schwieg man, nun hat man man sich auf eine neue Strategie eingestellt: man verdrängt nicht, man verharmlost. Der Prozeß ist flächendeckend. Ein Liebling der Szene kann ohne empörten Aufschrei zu seiner Stasi-Mitarbeit erklären, die DDR sei ihm so egal gewesen, daß eine Stasi-Mitarbeit nur eine besondere Form der Nichtbeachtung der staatlichen Existenz gewesen sei. In der 'Titanic‘ wird subtil verfremdet der Terror der Stasi verharmlost. Die taz druckt diesen Beitrag kommentarlos nach. In einer SFB-Kolumne dürfen sich jahrelang verfolgte Schriftsteller anhören, sie wollten sich mit den Hinweisen auf ihre Bespitzelung durch die Stasi bloß interessant machen, weil sonst keiner ihre Gedichte lese. Lutz Rathenow wird nachgeworfen, er habe doch auch mit der Stasi zusammengearbeitet und sich »regelmäßig mit denen getroffen«: Es wird verschwiegen, daß die Gespräche das Ergebnis von Verhaftungen und Vorführungen waren. All dies geschieht in flapsiger und witziger Sprache. Doch ganz nebenbei werden damit Menschen fertig- und Opfer zu Schuldigen gemacht.
Was ist feiger und erbärmlicher: das schuldbeladene Schweigen der Nazi-Väter oder die verharmlosende Rotzigkeit, mit der die Allianz der Stasi-Täter und ihrer Fans die brutalste Erblast der DDR bewältigen? Die westdeutsche Linke ist dabei, die letzten Reste von Glaubwürdigkeit zu verlieren. Der Vorwurf eines Vertreters der autonomen Zeitschrift 'Prowo‘, die taz hätte den AL- Politiker Dirk Schneider fertiggemacht, ist dabei nur ein Tief-, nicht der Endpunkt. Hatte zuvor nicht der gute Stasi-Spitzel Schneider jede Menge anderer Menschen fertiggemacht und deren Leben zerstört, bevor die taz über sein erbärmliches Wirken berichtete? War man sich hierzulande nicht zumindest in der Empörung gegen jede Art von Bespitzelung durch bundesdeutsche Verfassungsorgane einig? Es ist höchste Zeit — auch wenn es noch so witzig daherkommt —, sich einem verqueren antikapitalistischen Gestus zu verweigern, mit dem ein neuer Schulterschluß mit den alten Stasi-Spitzeln betrieben wird. Gerd Nowakowski
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