: „Wir müssen jetzt in die Medien rein!“
Zu Gast bei einem Berliner DT64-Freundeskreis, der das Leben des Jugendradios retten will ■ Von Sabine Jaspers
„Hier ist eine, die will 'nen Artikel über uns schreiben.“ „Super!“ „Nee, von der taz, nich‘ von 'Super‘!“ Alles lacht. Zwischen 30 und 50 junge Menschen haben es sich auf Klappstühlen so bequem wie möglich gemacht. Allmontaglich um 19.30 Uhr treffen sich die Berliner „Freunde des Jugenradios DT64 Berlin e.V.“ im „JoJo-Club“ an der Wilhelm-Pieck-Straße 216 in Ostberlin. Ihr Vereinstreff ist ganz in schwarz gepinselt, an seinen Wänden fristen Lautsprecherboxen ein stummes, staubiges Dasein: Der Clubraum erscheint im Schein der Neon-Röhren so trostlos wie die Lage des Senders, der Ende des Jahres sterben soll.
Doch das Vereinsleben bringt Leben in die rauchige Bude. Zunächst geht's genauso vor sich wie bei den Kaninchenzüchtern oder den „Freunden der alternativen Tageszeitung e.V.“. Mitgliedsbeiträge, Satzungsfragen stehen auf der Tagesordnung. Kann man jemand aus dem Vorstand einfach so austauschen? „Scheißgeschäftsordnungspunkte, in ein paar Wochen ist's eh vorbei“, sagt einer. Ein Argument, das die Diskussion beendet. Claudia Kuhn (20) wird in den Männer-Vorstand hineingewählt.
Das Netzwerktreffen ist Thema. Als die DT64-Redaktion die Abschaltung des Jugendradios simulierte, wurde den Fans klar, daß es DT64 an den Kragen gehen soll. Und seit vier Vertreter der Fangemeinde zu einem Treffen aufgerufen haben, zu dem spontan 700 Leute erschienen sind, gibt's überall in Ost und West Freundeskreise, die sich für DT engagieren. Wieviele Fans es heute insgesamt gibt, wissen die Berliner gar nicht mehr so genau.
Was kann man tun, um einem Sender Gehör zu verschaffen, der in Bonn nicht zu empfangen ist? Benefizkonzerte, Fax-Aktionen, eine Anzeige schalten. Fünf- bis sechshundert Unterschriften hat Olaf Hackbarth (27) in Potsdam-Stadtmitte gesammelt. „Da lief wat auf dem ,Broadway‘“, freut er sich. Applaus belohnt seine Mühen. „,Ramba Zamba‘ liefert kostenlose Musik für Demos“, wirbt einer. Begeisterung. „Demos allein bringen nix, wir müssen in die Medien rein“, mahnt Vorstand Thomas Kahl (29) immer wieder. Vielleicht eine Performance, eine öffentliche Radioverbrennung anläßlich der jugendpolitischen Debatte im Bundestag am 12.Dezember? Oder gar ein Hungerstreik, wie es die Leipziger vorgeschlagen haben? Eine Autobahn ließe sich besetzen, aber das macht nach Thomas' Ansicht „mehr Freunde als Feinde“. Was ist mit dem Berufsverkehr? „Ist ja sowieso Stau.“ Einer soll nach Köln zu einer Talkshow eingeflogen werden, wow. Und wer kommt mit zur nächsten Aktion? Einen Trabi kann man kriegen, um nach Dresden zu fahren, wo eine Mahnwache vor dem Kulturpalast gehalten werden soll. „Ich hoffe, die heißt noch so“, sinniert Thomas.
Inzwischen ist man zum Experten parlamentarischer Abläufe geworden. Die Fans eilen von Fraktionssitzung zu Fraktionssitzung, um die PolitikerInnen in Einzelgesprächen von DT64 zu überzeugen. „Denen ist gar nicht bewußt, was DT64 ist“, sagt Olaf. Claudia erinnert an die psychischen Folgen, an die zunehmende Kriminalität und daß jetzt alle Jugendklubs nach und nach geschlossen werden. Und wie kann man an einen Mann wie Stolpe herankommen? Ist doch Mediensache, „Chefsache“, wie es Kurt Wenz ausdrückt.
Viele Stunden investieren die Fans rund um die Uhr, aber das ist nach ihrer einhelligen Meinung „unwichtig“. Was macht DT64 für sie so einmalig? Für Thomas ist der „Idealismus der Moderatoren, der rüberkommt“ entscheidend. Er hat in Dresden studiert: „Wer einmal dort war, hat DT64 gehört.“ Sucht er heute auf der Skala seines Radios, findet er keine Alternative. Olaf schätzt „die Musik, die er woanders nicht hören kann, denn außer Klassik spielen die alles.“ Doch auch die Wortbeiträge kommen bei DT64 nicht zu kurz, Karsten Zummack (23) freut sich über gute Hintergrundberichte und daß „die Hörer nicht als Idioten behandelt werden“.
Was ist mit der politischen Vergangenheit des Senders? Claudia findet, daß sich die Redaktion gemausert hat: „Die haben denselben Prozeß wie wir durchgemacht.“ Und auch früher schon hätte es kritische Töne gegeben, die die „Revolution beschleunigt“ hätten. Karsten möchte in der Gegenwart die Möglichkeiten der Demokratie testen: „Denn wenn so viele Leute protestieren, müssen doch Entscheidungen verändert werden können, oder?“
Telefonische Kontakte zu den Freundeskreisen: Berlin 4621139, Potsdam 74039, Dresden 2381024. Gespendet werden kann unter dem Stichwort „Sonderkonto“, Tilla Lang, Konto-Nr. 8129-109, Postgiroamt Berlin, BLZ 100 100 10.
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