: Marzahner Skins erwarten mehr Gewalt
■ Jugendsenator Krüger diskutierte mit drei Jugendgruppen aus Marzahn und deren einzigem Streetworker
Berlin. Es wird weiter aufgerüstet in Berliner Jugendbanden. Das berichtete jedenfalls am Mittwoch abend eine Gruppe Marzahner Skinheads — ausgerechnet in der Senatsverwaltung für Jugend. Mit dem Übergriff auf den Lichtenberger Skin Andreas K. vor zwei Wochen an der Ho-Chi- Minh-Straße sei die Serie von Gewalt noch nicht beendet. Genauer wolle er sich dazu aber nicht äußern, teilte der 18jährige Marko mit. »Natürlich ist das Scheiße, was da läuft, aber daran ist doch eine völlig kaputte Politik schuld«, sagt Marko auf die Frage, wie sinnvoll denn Racheaktionen wohl seien. »Aber irgendwann kommt es hier sowieso zum Bürgerkrieg.« Sowohl türkische als auch deutsche Jugendgruppen seien bestens darüber informiert, daß es aus den Beständen der Sowjetarmee momentan für 100 Mark eine Kalaschnikow zu kaufen gebe. »Von den härteren Sachen reden wir gar nicht.«
Drei Jugendgruppen und den einzigen Streetworker aus Hohenschönhausen und Marzahn hatte Jugendsenator Thomas Krüger zu sich geladen. Diskutiert wurde das, was Krüger »aktuelle Probleme der Jugendpolitik« nennt. Deutlich wurde, wie wenig Jugendliche damit am Hut haben. »Die Jugendfreizeitheime sind echt nicht mehr so unser Ding«, erzählte ein 17jähriger aus Hohenschönhausen. Sie wollen sich ihre eigenen Räume schaffen — im Jägerheim in Marzahn, das seit Monaten leersteht. »Warum können wir da nicht reingehen?« Statt dessen sei das Gebäude »irgendeinem Westverein« (Jugendaufbauwerk) zugesagt worden. »Was soll denn das, daß die, die da wohnen, nun wieder außen vor gelassen werden?« Krüger sicherte immerhin zu, gemeinsam mit den Jugendlichen und dem Jugendaufbauwerk einen Kompromiß zu suchen.
Viel Hoffnung der Kids wurde nicht deutlich, als sie dem Jugendsenator von ihren Nöten erzählten — keine Treffpunkte, keine Klubs, keine Leute, die sich um ihre Probleme kümmern. »Geld für Straßenumbenennungen ist da, aber für uns nicht oder was?« maulte ein Jugendlicher.
Der Treffpunkt der Marzahner Skins wurde vor zwei Monaten wegen Personalmangels geschlossen. Jetzt treffen sie sich am Imbiß oder bei Peter in der Wohnung. »In Jugendklubs kommen wir mit unseren Glatzen eh nicht rein.« Immerhin sei jetzt Micha da, sagt einer. Micha ist der einzige Streetworker vor Ort. Seit vier Wochen ist er zwischen den Plattenbauten unterwegs und arbeitet mit unterschiedlichsten Jugendgruppen. Die ersten Verhandlungen zwischen der Skingruppe und dem Bezirksamt über die Rückgabe des Klubs als selbstverwaltetes Projekt, hat er bereits in die Wege geleitet. Er weiß, daß sein Engagement für die Kids ein zweischneidiges Schwert ist, und daß klare Grenzen notwendig sind: »Wenn irgendwann in dem Klub rechtsextreme Organisationen auflaufen, bin ich der erste, der das Projekt für gescheitert erklärt.«
Bedenkliche Formen bei den Skins, von denen zwei noch am Mittwoch einen Prozeß wegen Körperverletzung hatten, sieht er auch. »Aber ich sehe auch Möglichkeiten, mit den Formen neu umzugehen.« Daß kurzfristig keine Einstellungen änderbar sind, weiß er. »Drei bis fünf Jahre habe ich mir als Ziel gesetzt.«
Bei Jugendsenator Krüger hatten die Skinheads ein ganz spezielles Anliegen: Ihre Truppe war vor wenigen Wochen in einer RTL-Sendung aufgetreten und nach eigener Aussage »abgelinkt« worden. Das Team habe sie bewußt mit Alkohol abgefüllt und sei mit zahlreichen Tricks (Beispiel: Zeigt uns doch mal, wie eure Waffen funktionieren) an die Szenen gekommen, die sich gut verkaufen lassen. »Ich rede zwei Stunden und sag' einmal, daß Ausländer rausmüssen, und das wird dann gesendet«, beschwert sich Andy. Bei den Dreharbeiten war es zu einer Prügelei vor einem Wohnheim für Vietnamesen gekommen. Während der Bezirksbürgermeister Anzeige gegen das Kamerateam wie auch gegen die Skinheads gestellt hat, behaupten diese, die Vietnamesen hätten sie angegriffen, und der Auftritt sei ein abgekartetes Spiel gewesen. Dies sei durchaus üblich: Zahlreiche Kamerateams, von Schweden bis Kanada, hätten sie für bestimmte Szenen auch schon bezahlt, berichteten die Skinheads. Jeannette Goddar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen