: Weltliteratengeplauder
■ Gombrowicz' argentinische Streifzüge
Also, warum versuchst du nicht, ein bißchen weniger kultiviert und dafür spontaner zu sein?“ Danke für den Ratschlag, versuchen wir's also, in Gottes Namen. Ohne falsche Ehrfurcht, frei im Urteil, dem Leben verpflichtet, den toten Ewigkeiten abhold...
Der elfte Band der bei Hanser erscheinenden Gesammelten Werke Witold Gombrowicz' enthält vermischte Schriften, die alle in irgendeiner Weise mit Argentinien, dem langjährigen Aufenthaltsort des polnischen Emigranten, zu tun haben. Solchen kleineren und größeren Neben-Schriften kommt im Rahmen einer Gesamtausgabe gewöhnlich die Aufgabe zu, ein zusätzliches Licht auf die Hauptwerke des Autors zu werfen, etwas Ergänzendes beizusteuern, gegebenenfalls etwas Kurioses oder Abwegiges, etwas Bestärkendes und Bestätigendes, oder auch nur verstreute, gedruckte oder ungedruckte Kleinigkeiten, die für den Liebhaber und genauen Leser gleichwohl aufschlußreich sind. In diesem Fall wirft Band Nr. 11 allenfalls ein schiefes Licht auf die angebliche Lebensunmittelbarkeit der Hauptwerke Gombrowicz', die nach gängigem Urteil zur Weltliteratur zählen.
Den Hauptteil des Buches bilden Radioverträge, die Gombrowicz 1958/59 für polnische Hörer verfaßt hat. Er versucht darin, ein Bild Argentiniens und Südamerikas zu entwerfen, und befehdet heftig die verbreiteten Klischees, um an ihre Stelle andere, oft nicht einmal neue Klischees zu setzen. Das beginnt damit, daß er Argentinien nach seinen touristischen Hauptattraktionen erzählt: der höchste Berg, der tiefste Wasserfall, die (beinahe) größte Stadt des Kontinents, wo nicht gar beider amerikanischer Kontinente zusammen. Das geht weiter mit Gombrowicz' Vorliebe, über National- und Regionalcharaktere zu schwadronieren, und endet bei politischen und philosophischen Allgemeinplätzen. Im zweiten Teil des Bandes, wo es hauptsächlich um lateinamerikanische Erotik geht, wird es noch schlimmer. Da werden uns Erkenntnisse mitgeteilt, nach denen es zum Beispiel „in Wahrheit so ist, daß keine Frau in keinem zivilisierten Lande dem Manne alles erlauben darf, und in Europa wie in Südamerika wird das höchste Wort der Frau immer die Liebe, die Ehe sein“. Oder wir werden mit höchstpersönlichen Erkenntnissen konfrontiert, etwa: „Die Lockerheit des Lebens in Südamerika beeindruckt mich, erscheint mir aber gleichzeitig reichlich exotisch.“ Soll man die aneinandergereihten Banalitäten mit den Publikationsorten, das heißt Radiostationen, Tageszeitungen und Illustrierten, entschuldigen? Das hieße, den letzteren unrecht tun.
Vielleicht hat die Prinzipienlosigkeit doch ein Prinzip und die Formlosigkeit, die Gombrowicz proklamiert, doch eine Form. Nämlich die Form der Verkleinerung des Erhabenen, der Zurechtstutzung des Großen, des Ausgleichens und Abwiegelns — zu dem einen Zweck, am Ende dort, wo der höchste Berg beider Kontinente stand, das Ich des Autors auftreten zu lassen, das sich deshalb nicht frei neben den Berg stellen konnte, weil es zu sehr von der eigenen Kleinheit besessen war: Größenwahn des Understatements, so lautet das Prinzip. Der Normalbürger, der Durchschnittsmensch, der Mittelwegsucher, das ist Gombrowicz' geheimer Held, der, man rate, den Namen Ich trägt. Er genießt am liebsten die „vielleicht ein bißchen unmoralische Situation, daß ich, im komfortablen Schiff mit elektrischem Strom, Bedienung, sanitären Einrichtungen, mit Kaffee und weichgekochten Eiern, über die Wasserfläche gleitend, als wäre das nichts, in die Jungfräulichkeit des Urwalds eindringe“. Gombrowicz entpuppt sich hier als Vorläufer des heutigen Exotik-Massentourismus, seine Streifzüge beschränken sich auf das geistige Terrain von Abenteuerspielplätzen (es lebe die „Unreife“!), sein Stil ist der eines abgeklärten Geplauders. „Was soll's, reden wir ein andermal davon“: bis hierher geht unsere Treue zu seinen Maximen. Leopold Federmair
Witold Gombrowicz: Argentinische Streifzüge und andere Schriften. Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler und aus dem Argentinischen von Gisbert Haefs.
C. Hanser Verlag, geb., 216 S.,
34 DM (= zugleich Band 11 der Gesammelten Werke, hrsg. von Rolf Fieguth und Fritz Arnold)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen