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INTERVIEW„Jetzt stecken wir unabsehbar im irakischen Schlamassel“

■ Interview mit Peter Galbraith, Autor eines Berichts über „Kurdistan in the Times of Saddam Hussein“, der im Auftrag des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats in den nächsten Tagen veröffentlicht wird.

taz: Das Regime Saddam Husseins scheint von den Sanktionen kaum berührt. Werden die Sanktionen unterlaufen? Und wenn ja, wie läßt sich dies verhindern?

Galbraith: Dem Irak gelingt es, die Sanktionen auf verschiedenen Wegen zu umgehen. Erstens exportiert es große Mengen von Baumaterialien zu Schleuderpreisen an den Iran. Über den Haj-Omran-Paß, wo das größte Lager von Baustoffen ist, das ich je gesehen habe, werden ganze Fabrikteile in den Iran transportiert. Dann werden die Sanktionen auch an der Grenze zu Jordanien unterlaufen, und im geringeren Ausmaß an der türkischen Grenze. Als Resultat dieser Exporte kann sich Saddam den Import von Lebensmitteln und anderen Gütern zur Unterstützung seiner Geheimpolizei und der Republikanischen Garden in der Nähe von Bagdad leisten. Diese Exporte reichen natürlich nicht dazu aus, auch noch das Leiden der irakischen Bevölkerung zu lindern. Auf diese Weise kann er die Sanktionen genügend unterlaufen, um seinen repressiven Apparat an der Macht zu halten und gleichzeitig kann er die Sanktionen als Ursache für die Misere der irakischen Bevölkerung darstellen.

Wie lassen sich denn die Sanktionen besser überwachen, wenn die USA Jordaniens Kooperation beim Friedensprozeß im Nahen Osten benötigt und derzeit auch wieder an einer Verbesserung des Verhältnisses mit dem Iran interessiert ist?

Jordanien fühlt gerade die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen seiner Haltung im Golfkrieg, ist durchaus von den USA abhängig und dürfte deswegen mit diplomatischem Druck zu beeinflußen sein. Ähnliches gilt für den Iran. Zuerst müßten diese Länder jedoch für das Unterlaufen der Sanktionen öffentlich an den Pranger gestellt werden.

Wie sieht die wirtschaftliche und politische Situation in Kurdistan aus? Wie ist das Verhältnis zwischen den irakischen Truppen und den kurdischen Peshmerga?

Die Situation der Kurden im Irak ist äußerst prekär, sowohl vom humanitären als auch vom politischen Standpunkt aus betrachtet. Es gibt da heute noch 600.000 Kurden, die kein Dach über dem Kopf haben, deren Dörfer und Kleinstädte von den irakischen Truppen zerstört worden sind. Die verteilten Lebensmittel erreichen längst nicht alle Leute. Der kommende Winter wird diese Härten noch verschlimmern. Politisch gesehen leben rund 80 Prozent der Kurden in befreiten Gebieten und damit außerhalb der Reichweite der irakischen Regierung. Diese Situation hängt jedoch davon ab, ob das Mandat zur alliierten Luftunterstützung dieser befreiten Region aufrechterhalten wird. Das irakische Regime hat bereits Ausflüge in dieses befreite Territorium unternommen, die, wenn sich nicht bald gestoppt werden, leicht zu einer neuen Offensive führen könnten. Außerdem sind die Kurden politisch zerstritten. Deswegen liegen neue Angriffe der irakischen Truppen und eine neue Flüchtlingswelle an die iranische beziehungsweise türkische Grenze durchaus im Bereich des Möglichen.

Was ist denn aus den Verhandlungen der Kurden mit dem Regime Saddams über eine Teil-Autonomie geworden?

Es gibt da tiefe Spaltungen zwischen den kurdischen Parteien. Mazoud Barzani, der Chef der „Kurdischen Demokratischen Partei“, ist für ein solches Abkommen mit Bagdad, während Jalal Talabani, der Anführer der „Patriotischen Union von Kurdistan“ mit Nachdruck dagegen ist. Beide behaupten, ohne die Einwilligung des anderen keine eigenmächtigen Entscheidungen treffen zu wollen. Dennoch befürchten viele Kurden, daß Barzani mit Saddam ein separates Abkommen schließen wird, was die irakisch-kurdische Front auflösen und die Kräfte Talabanis militärisch verletzbar machen würde.

Ihr Bericht schlägt eine „begrenzte Militärhilfe zur Verbesserung der Selbstverteidigungskräfte“ der kurdischen Guerillas vor. Wie soll das politisch und im Rahmen des UN-Mandats gehen, wenn das US-Verteidigungsministerium gegen jede Form der neuen Einmischung ist und auch die Türkei Widersprüche gegen ein solches Vorgehen anzumelden hätte? Sehen Sie hier nicht die Gefahr, damit ein neues Afghanistan zu schaffen?

In den achtziger Jahren hatten wir die sogenannte „Reagan-Doktrin“ nach der wir Aufständischen gegen kommunistische Regimes zur Hilfe kamen. Viele dieser von uns unterstützten Aufstände hatten militärisch nie eine rechte Chance. Der Aufstand der Kurden dagegen ist selbst ohne unsere Unterstützung in einer viel stärkeren Position als alle der anti-kommunistischen Rebellionen, die wir in den achtziger Jahren unterstützten. Die Kurden arbeiten nicht nur völlig offen in ihrem Territorium zusammen, sondern kontrollieren auch die Städte. Dies ist ein wichtiger Unterschied. Selbstverständlich bräuchten wir dazu die Kooperation der irakischen Nachbarn. Obwohl dies theoretisch auch allein mit Syriens Einwilligung zu machen wäre, sollte dem auch die Türkei zustimmen. Ich glaube, daß dies sogar ohne die Verletzung der UN-Restriktionen möglich ist. Die Koalition hat während des Golfkriegs in Kuwait und im Süden Iraks große Mengen irakischer Militärausrüstungen erobert, die als unbestreitbarer Besitz der irakischen Bevölkerung den Irakern — sprich den Kurden — zurückgegeben werden könnten. Diese Militärhilfe sollte dabei allein der kurdischen Selbstverteidigung dienen. Wenn die irakische Armee einen neuen Angriff auf Kurdistan durchführt, sind dem dort mehrere Millionen Menschen ausgeliefert. Die Kurden haben zahlreiche leichte Waffen, sie haben Panzer und Haubitzen erorbert und bräuchten deswegen vor allem Training in der Benutzung dieser schweren Waffen sowie Munition und Ersatzteile.

Einige Stimmen fordern von den USA die Zerstörung von Saddams Hubschrauberflotte und die Ausrüstung der Kurden mit Stinger-Abwehrraketen...

Schon die jetzt von der Koalition ausgeübte Kontrolle des Luftraums über dem größten Teil Kurdistans beinhaltet ja den Abschuß irakischer Hubschrauber, die hier eindringen wollen. So lange die Koalition diese Kontrolle ausübt, sollte sie die Leute am Boden natürlich nicht mit Flugabwehrwaffen versorgen.

Halten Sie es für möglich, daß die Kurden in diesem Winter wieder auf unseren Bildschirmen erscheinen und George Bush in seinem Wahlkampf verfolgen werden?

Dies ist ein Problem für die Politik. Grundsätzlich haben die USA und die Welt gegenüber den Menschen, die sie mit der Militäraktion gegen den Irak in Gefahr gebracht haben, eine moralische Verpflichtung. Dies gilt für die Kurden, die nach dem Schlag gegen Saddam Hussein als Unterdrückte selbstverständlich einen Aufstand wagten und die als Iraker vom Präsidenten der Vereinigten Staaten am 15. Februar auch noch ausdrücklich zum Sturz Saddam Husseins aufgerufen wurden. Und dann blieb unsere Unterstützung aus.

Was können die USA außer der Verstärkung der Sanktionen und begrenzter Militärhilfe noch gegen Saddam Hussein unternehmen?

Der dritte und wichtigste Teil einer Strategie gegen das irakische Regime sollte die öffentliche Anklage Saddams und seiner Helfer wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Gerade in Kurdistan gibt es zahlreiche Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit: die Deportation von bis zu 180.000 Frauen, Kindern und nicht kampffähigen Männern in den Süden Iraks, wo sie umgebracht wurden; den Einsatz von chemischen Waffen; die Zerstörung von Dörfern und Städten; die von der Geheimpolizei ausgeführten Folterungen. Dazu die Kriegsverbrechen im Irak. So ein Anklage würde ein deutliches Signal an das irakische Militär aussenden, daß Saddams Strategie, die Sanktionen zu überdauern, zum Scheitern verurteilt ist; daß er und sein Regime nie Mitglied der internationalen Gemeinde werden können. Es würde auch endlich deutlich gemacht, daß die USA sich Saddam wirklich entledigen wollen, was bisher keinesfalls so klar ist. Nach der sehr passiven Rolle der USA im März haben viele Iraker bis heute den Eindruck, daß die USA im großen und ganzen immer noch einen schwachen Saddam an der Macht bevorzugt.

In welcher Form halten Sie ein solche Anklage für erstrebenswert?

Als ein vom UN-Sicherheitsrat nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse aufgezogenes Tribunal beispielsweise. Ohne ein solches internationales Tribunal könnte auch vor einem US-Gericht Anklage gegen Saddam Hussein erhoben werden. Schließlich hat der US-Kongreß nach unserer Verfassung die Verpflichtung, auf die Einhaltung internationalen Rechts zu drängen, das hier in jedem Fall verletzt wurde. Da es schwierig werden dürfte, seiner Person habhaft zu werden, geht es hierbei selbstverständlich in erster Linie um das politische Signal. Nach Saddams Sturz wäre natürlich seine Anklage im Irak der richtige Weg.

Wenn wir heute mit dem Abstand von fast einem Jahr auf den Golfkrieg zurückblicken, gibt es die Kritik, im März nicht bis Bagdad durchmarschiert zu sein und Saddam ein Ende bereitet zu haben; und die Kritik, hier statt mit Sanktionen überhaupt mit militärischen Mitteln eingegriffen zu haben. Wie sehen sie diese Argumente heute im Rückblick?

Diejenigen, die sich am 17. Januar gegen den Krieg ausgesprochen haben, befürworteten ja nur eine andere Taktik zur Vertreibung Saddams aus Kuwait durch Sanktionen. Wenn man sich heute Saddams Verhalten besonders während der Rebellion in Kurdistan anschaut, muß klar sein, daß er alles getan hätte, um in Kuwait zu bleiben. Deswegen glaube ich, hätten wir in jedem Falle zu einem späteren Zeitpunkt Gewalt anwenden müssen. Ein Argument der Kriegsgegner im Januar war jedoch, daß man nur in den Krieg ziehen sollte, wenn man dazu bereit ist, sich auch den unbeabsichtigen Folgen eines Krieges zu stellen. Eine dieser vorhersagbaren — wenn auch nicht von der Bush-Administration antizipierten — Konsequenz waren die Volksaufstände. Deswegen hätten wird den Job nach dem Einsatz von Gewalt dann auch zu Ende bringen sollen. Stattdessen haben wir mittendrin aufgehört; der Mann, den wir mit Adolph Hitler verglichen haben, ist immer noch an der Macht; wir wissen, daß er seine nuklearen Ambitionen nicht aufgeben wird; und so stecken wir denn auf unabsehbare Zeit in dem irakischen Schlamassel mit drin. Interview: Rolf Paasch in Washington

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