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ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Nichts soll bleiben, wie es ist

Michael Jackson rutscht endgültig ab ins Kinderzimmer. Das Cover seiner neuesten LP ist eine einzige Reise in die phantastische Welt der Siebenjährigen, mit Libellen und Ziegenböcken, weißen Elefanten, bunten Pfauen, Hund mit Krone, Liliputaner aus dem Varieté, Achterbahn und Piratenschädel: Jacko goes wonderland.

So sieht es aus. Aber nichts da, der Kleine weiß genau, was er tut. Mit besessenem Ehrgeiz will er all den Superlativen noch eins draufsetzen, die er bislang geliefert hat. 110 Millionen Jackson-Platten werden derzeit weltweit abgesetzt, das vorletzte Album Thriller ist mit 45 Millionen Exemplaren die meistverkaufte Platte aller Zeiten. Auch die Arbeit an der eigenen Person wird hartnäckig weiterverfolgt. Nichts soll bleiben, wie es ist: nicht die Hautfarbe, nicht das Geschlecht, nicht das Gesicht, nicht das Alter. Und während andere sich für die neue PR zum neuen Produkt ein neues Kostüm basteln lassen, pappt Jackson seinen rechten Arm in Gips.

Derart gerüstet geht es musikalisch auf Dangerous gleich ordentlich los. Im Opener Jam kiekst und röhrt das Genie drauflos und beweist erneut sein Talent wie kaum ein zweiter, black music und harten Rock zusammenzubringen. Genauso steht's mit dem ersten Höhepunkt des neuen Werks, Black or white, das die Intention des ganzen gleich mitliefert: „It don't matter if you're black or white“: Mit dem elfminütigen Video zum Stück, einer grandiosen Bilanz der neuesten Clip-Technik, wird die Message des 33jährigen Schwarzen aus Gary/Indiana dann bebildert: Jackson rast durch die diversen Ethnien, verbindet alle mit Musik und Tanz und landet schließlich in der Unwirtlichkeit der Metropole, um als erotisch-aggressiver Panther alles zusammenzukloppen. Und dann wird der Große wieder ganz klein. Sakral geht es weiter mit Will you be there, ein Chor der Engel singt, geht über zum Gospel, und Jacko heult Rotz und Wasser. Das ist der Kitsch, den er liebt, und auch in Schmerz und Angst sind alle vereint.

Der Blick des millionenschweren Romantikers auf die Welt ist insgesamt eher düster. Von Obdachlosen singt er, von unheilbaren Krankheiten, von der Gewalt auf der Straße und der Polizei, also Why you wanna trip on me, es gibt Wichtigeres als meine Person. Um die wesentlichen Dinge will Jackson sich kümmern, sollen auch die anderen sich kümmern: Heal the world. So heißt seine neue Hymne — fast ein Remake seines alten Benefiz-Hits We are the world und fast genauso gut. Im Universum des isolierten Traumtänzers setzt Jacko auf die Kraft der Gemeinschaft, des Miteinander. Das alte Thema der schwarzen Künstler also, variiert, aber nicht neu, denn neu geht nicht, wenn sich das Problem und die Lösung immer gleich stellen. Ganz gewagt wird Jackson mit In the closet, da wartet jeder auf das Coming-out des schwulen Stars. Schließlich ist closet einschlägig besetzt, die US- Schwulenbwewegung ging mit Out of the closet schon in den Siebzigern auf die Straße. Doch der junge Mann enttäuscht und hält es wie weiland Marcel Proust, aus dem „he“ wird eine „she“, Jackson bleibt weiter im Schrank.

Dangerous hält die Waage, die von Kritikern diagnostizierte Mischung aus Genie und Wahnsinn kippt nach keiner Seite. Der Musiker in Jackson ist nach wie vor ein verdammt guter, seine Musik kommt mit eingebautem Spätzünder. Das war schon bei Off the wall so, bei Thriller, bei Bad. Das entwickelt sich ganz behutsam, braucht viel Zeit, offene Ohren und einen Körper, der sich reingibt. Dann wird auch diesmal wieder alles gut, ob die Verkaufszahlen es bestätigen oder nicht. Später muß man — den ganzen Rummel, die Schlagzeilen und den Firlefanz abgezogen — fraglos wieder eingestehen: Michael Jackson ist einer der Größten.

Michael Jackson: Dangerous. (Epic/Sony)

NICHTSSOLLBLEIBEN,WIEESIST

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