: „Wir liefern Bremen an die Grünen aus“
■ SPD-Debatte über die große Koalition nur bis zur Abstimmung der Grünen
„Wir liefern das Land Bremen an die Grünen aus“, beschwor die Delegierte des Ortsvereins Burglesum, Heike Witzstock, die Delegierten ihrer Partei: „Es geht nicht mehr um die SPD, es geht um Bremen.“ Sie sei auch für die Ampel gewesen, jetzt aber müsse man mit der CDU reden. Ihr Ortsverein, dem auch die Abgeordnete Brinkfriede Kahrs kommt, hatte dem Sonderparteitag eine Wende vorgeschlagen: “Die Grünen tragen allein die Verantwortung am Scheitern der Ampelkoalition, bevor sie begonnen hat. Das ist die Botschaft, die wir nach außen vermitteln müssen.“ Jetzt müsse mit der CDU verhandelt werden, “um zu sehen, zu welchen Kompromissen die CDU bereit ist.“
Brigitte Dreyer unterstützte diese Intention, für sie sind die Grünen „unzuverlässig“ und nur zu einem „Schlingerkurs“ fähig. Auch Bürgerschaftsabgeordnete Brinkfriede Kahrs plädierte für Verhandlungen mit der CDU: „Ich will ihre Kompromißfähigkeit kennenlernen.“
MdBBü Reinhard Barsuhn berichtete den Delegierten, daß er am vergangenen Samstag abend den Bürgermeister angerufen und ihm den Rücktritt nahegelegt habe. „Ich bin von Anfang an ein Anhänger der großen Koalition gewesen“, gestand er. Die Hoffnung auf Geld durch eine Beteiligung der CDU an der Regierung könne man „der Bevölkerung nicht ausschwatzen“, „geht doch mal auf die Straße und hört, was das Volk redet“, riet er seinen Genossen. Keine Hand rührte sich zum Beifall, als er vom Podium ging.
Konrad Kunick, zurückgetretener Häfensenator, berichtete, am Samstag, er habe schon vor Wochen Henning Scherf gebeten, Wedemeier zu raten, mit der CDU zu verhandeln oder zurückzutreten. „Wie feige“, rief jemand laut dazwischen. Am Samstag abend sei er auf „Kohlfahrt“ mit Mitarbeitern der Bau-und Häfen-Behörden gewesen, um sich ordentlich zu verabschieden. Da habe er das Abstimmungsergebnis der Grünen gehört. „Ist da die Idee geboren?“ rief Wedemeier in den Saal. „Die grüne Partei ist nicht in der Lage, vier Jahre einen Teil der Regierungsverantwortung zu tragen“, erklärte Kunick. Der DGB-Vorsitzende Siegfried Schmidt, von dem Gerüchte kursierten, er wolle für die große Koalition ans Podium gehen, saß neben Heinz Möller auf der Gästebank und schwieg.
Denn schon am Beifall bei den einleitenden Worten des amtierenden SPD-Landesvorsitzenden Horst Isola war die Stimmung im Saal deutlich geworden. Offensiv verlangte Isola eine Entscheidung der Partei und warnte die Delegierten, eine große Koalition werde die SPD „in eine Zerreißprobe bringen, die sie nicht übersteht“.
Wedemeier forderte auch von seinen innerparteilichen Gegnern einen „fairen politischen Stil“, die Abgriffe „guter Freunde“, die „hinter seinem Rücken“ operieren würden, gingen „unter die Gürtellinie“. Hans Koschnick, berichtete der Bürgermeister, sei in Klagenfurt auf der Durchreise von Slovenien nach Kopenhagen am Samstag abend „telefonisch erreicht“ worden. Auf diese Weise habe Waltemathe die Zusage erreicht, daß Koschnick für Sondierungen mit der CDU zur Verfügung stehe. In seinem Brief an die SPD-Delegierten hatte Koschnick gleichzeitig aber betont, daß er für die Ampel gewesen sei.
Verschiedene Delegierte stellten unter großem Beifall klar, daß wesentliche programmatische Ziele der SPD in einem gemeinsamen Regierungsprogramm mit der CDU nicht vorstellbar seien. „Eine Partei, die eine so radikale Frauengegnerin an die Spitze holt“, rief die Juso-Vorsitzende aus dem Bremer Osten, Carmen Emigholz, in den Saal — und der Rest des Satzes ging im tosenden Beifall unter.
Während der Rede von Dieter Klink, kurz vor 23 Uhr, wurde es plötzlich unruhig im Saal, keiner hörte mehr zu. Klink verstand erst nicht, die Unruhe bezog sich aber nicht auf ihn: Einige Delegierte hatten einen Kopfhörer mit dem Radio-Bremen-Programm im linken Ohr und gerade das 158:56-Abstimmungssergebnis der Grünen erfahren. Nachdem das den SPD-Delegierten offiziell mitgeteilt worden war, gab es tosenden Beifall, einzelne Delegierte lagen sich in den Armen.
Innerhalb von zehn Minuten war der Parteitag beendet, der Ampel-Beschluß vom vergangenen Samstag fast einstimmig beschlossen — der SPD war eine Zerreißprobe erspart worden. K.W.
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