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Ich bin keine anderer

■ Ein Gespräch mit dem Schauspieler Armin Mueller-Stahl über Jim Jarmusch, die Ex-DDR, Frank Beyer und Fassbinder

taz: In Jim Jarmuschs neuem Film „Night on Earth“ spielen Sie einen New Yorker Taxifahrer, einen ausgewanderten Deutschen aus Dresden, der Helmut Grokenberger heißt. Der Name klingt echt. Wer ist Helmut Grokenberger?

Mueller-Stahl: Das habe ich Jim Jarmusch auch gefragt. Der Name klingt so deutsch und dann auch wieder nicht. Jarmusch lachte und sagte, hier, das ist Herr Grokenberger. Da stand er, ein Produzent, der deutsche Co-Produzent von Down by law und Stranger than paradise.

Welche Vorgeschichte hat der fiktive Helmut? Man erfährt nur, daß er aus Dresden kommt und ein Clown war.

Im Drehbuch war er Verleger. Ich schlug vor, aus ihm einen Musicalclown zu machen. So war er nach allen Seiten offen. Schließlich besteht die Qualität eines Regisseurs wie Jim Jarmusch im Überschreiten der Grenze zwischen Realität und Absurdem. Vom Tag zur Nacht, vom Leben zum Tod. Da schien mir der Clown geeigneter.

Ich habe mir also eine Geige in den Koffer gesteckt und zwei Flöten in die Tasche, bin nach New York gefahren und dachte, mal sehen, was draus wird. Vierzehn Nächte haben wir gedreht. Am Tag, als wir ankamen, stieg ich in den Fahrstuhl des Hotels, und der Fahrstuhlmann sagte: The war just started. Der Golfkrieg begann, und ich setzte mir die rote Nase auf und spielte einen Clown. Ich habe eine Geschichte darüber geschrieben: Man fährt Taxi, bläst Flöte und probiert seinen Clown, und dann hört man am Nebentisch Herren sprechen. Hast du Football gesehen? Ja, ich habe Football gesehen. Und was hast du gesehen? Ich hab' mir Krieg angeguckt. Man guckt sich Krieg an wie Football oder eine Show, und man sitzt dazwischen mit dem Gefühl der roten Nase.

Haben Sie im Taxi improvisiert?

Die Dialoge zwischen Yoyo und seiner Schwägerin standen fest, die Dialoge der Generation von Jarmusch. Er ist ein guter Beobachter seiner Generation. Wir haben dann beim Proben erfunden, uns fiel eine Menge ein. Zum Beispiel das Wort cool. It's cool — so sagt man in Amerika, Sie kennen das bestimmt, Helmut sagt also: It's cool. Und Yoyo: No, it's cool, und dann begreift Helmut, was es bedeutet. Wir hatten eine Menge solcher Szenen, und Jarmusch war ganz nervös, weil er soviel weglassen mußte. Aber ich war ganz happy. Es sind fünf kleine Kunstwerke in einer Taxe geworden.

Haben Sie auch schon Geschichten im Taxi erlebt?

Ich habe nie gesagt: Bitte steigen Sie aus, ich fahre selbst. Obwohl ich das manchmal gerne tun würde. Aber diese kurzen intimen Beziehungen, das gibt es. Vor allem in anderen Ländern, wenn der Taxifahrer auch ein Ausländer war. Man fragt: Woher kommen Sie denn? Zwei Ausländer in einer Stadt, oft eine merkwürdige Geschichte, ein Akt der Verbrüderung. Wir sind zwei Fremde, ich fühle mich zwar nicht unbedingt als Fremder, denn ich habe in der Stadt ja meine Leute, mit denen ich einen Film drehe, aber diesen merkwürdigen Zusammenhalt gibt es trotzdem. Häufig geht es von den Taxifahrern aus. Sie fangen an. Wo kommen Sie her? Oh, Germany, ich habe einen Bruder da. München? Nein, Hamburg. Ah, Hamburg. Aber München: Oktoberfest. Die Taxifahrer sind ja oft selbst Leute, die auf der Wanderschaft sind, auf der Reise, die keinen geraden Weg gehen, sondern Kurven. In Los Angeles zum Beispiel haben alle Taxifahrer mit dem Film zu tun: Drehbuchschreiber, Kameramänner, Regisseure. Manchmal kennen sie einen. Wenn man sich in eine Taxe setzt, wird die normale Grenze zwischen Menschen oft überschritten.

Haben Sie eine Lieblingssequenz in „Night on Earth“?

Sie sind alle auf ihre Weise besonders. Die Absurdität reizt mich, Jarmuschs Umgang mit dem Tod. In der Rom-Episode zeigt er einen Menschen, der fast schon tot ist. Er atmet noch, reißt die Augen auf, man weiß nicht, ist er schon drüber, ist er noch nicht drüben? Oder die Pariser Episode: sie ist wie ein Windzug, so zieht sie vorüber. Ich habe Muster gesehen davon, und einmal vergißt Béatrice Dalle, die die Blinde spielt, die Augen zu verdrehen, und plötzlich kamen zwei schöne Augen zum Vorschein.

Für mich besteht die Qualität von guten Leuten, Filmemachern, Schriftstellern, in der Bereitschaft, etwas aufzugeben von dem, was wir zu sehen gewohnt sind. Die Übertragung von Dingen, die über das Normale hinausgehen, die Beobachtung kleiner Dinge. Ambrosius Pierce, Salinger. Oder Cees Noteboom — den lese ich gerade.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Jim Jarmusch?

Ich kannte ihn gar nicht. Wir drehten in Toronto, ich ging ins Kino und wollte mir einen Film mit Philippe Noiret und Liv Ullmann ansehen. Aber da begann ein Schwarzweißfilm, offenbar hatten sie das Programm geändert. Ich wollte gerade rausgehen, da sagte mir der Kartenabreißer: Gucken Sie sich den mal an. Nach drei Minuten war ich fasziniert; es war Down by Law. Am nächsten Tag war ich eingeladen; als ich mich am Schluß von der Gastgeberin verabschiedete, sagte ich: Übrigens habe ich gestern einen wunderbaren Film gesehen, Down by Law. Da sagte sie: Sie haben den ganzen Abend neben Jim Jarmusch gesessen. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört. Dann kam ein Anruf, ob ich mit Jarmusch drehen wolle, und ich habe unbesehen zugesagt.

War es für Sie etwas Besonderes, einen Ex- DDRler zu spielen? Gab es da einen autobiographischen Zug?

Auch. Natürlich. Das ist die Realität. Da kommt einer aus einer fremden Welt und weiß nicht, wie die Automatik funktioniert. Aber was mich mehr interessiert hat, war der Tragikomiker. Wenn ich male, werden es in letzter Zeit immer mehr Clowns. Die lustige Ernsthaftigkeit, das beschäftigt mich, diese Clownswelt liegt mir. Der Moment, in dem man sich die Realität selbst schafft.

Ich weiß nie genau, wo ich eigentlich hingehöre, in die ernste oder die komische Welt. Manchmal ist dieser Beruf so albern, manchmal ist er so interessant. Marlon Brando behauptet, er sei so langweilig wie das Straßenbahnfahren. Aber das stimmt nicht, das Straßenbahnfahren kann sehr spannend sein. Theater und Film ist ein furchtbar eitles Geschäft. Die Frage ist, wie man diesen Beruf uneitel und zur Sache kommend ausüben kann. In Amerika sind all diese Muskelspiele ausgeprägter, schon durch das Starsystem. Die Leute sind stolz auf ihre Stars, aber es ist viel Fake dabei. Das gibt es hier nicht in dem Maß.

Man sagt, Sie sind der einzige deutsche Star.

Wer? Ich? Ich bin kein Star. Ich will auch keiner sein. Ein Star ist jemand, wegen dem oder der man ins Kino geht. Das will ich nicht sein. Ich möchte kleine Rollen spielen, große, unterschiedliche, was mir Spaß macht.

Vor „Night on Earth“ haben Sie zwei sehr wichtige Rollen gespielt, den ungarischen Nazi Mike Laszlo in Costa Gavras' „Music Box“ und danach den nach Baltimore emigrierten Juden Sam Krichinsky in Barry Levinsons „Avalon“. War Helmut Grokenberger eine Art Ausgleich?

Ja, irgendwie ja. Und doch enthält diese Figur von beiden etwas. Sie hat ja ihre Tiefe. Aber man kann nicht alles in einer Reihe sehen.

Während der Dreharbeiten zu „Avalon“ fiel die Mauer. Sie beschreiben das in Ihrem Buch „Drehtage“, auch dieses Nacheinander von einer Täterrolle und dann der Rolle eines zumindest potentiellen Opfers dieses Täters. Mittlerweile gibt es im wiedervereinigten Deutschland Diskussionen über Täter- und Opferschaft in der ehemaligen DDR, über dieses zugleich Täter- und Opfersein, wie Frank Beyer es beschrieben hat. Wie erleben Sie, nach Ihren Erfahrungen mit diesen Rollen, die aktuelle Debatte?

Das ist zweierlei. Die Frage nach Tätern und Opfern müssen Sie Mueller-Stahl stellen, die Rolle ist etwas anderes. Dennoch trägt natürlich jede Figur Züge von mir. Sie sieht aus wie ich, bewegt sich wie ich, spricht wie ich. Allerdings unterschiedlich. Helmut Grokenberger guckt mit hochgezogenen Augenbrauen: so [macht es vor]. Weil er sucht. Der starke Mike Laszlo guckt so, heruntergezogen, er guckt die Leute an, manchmal nur in ein Auge seines Gegenübers: so [macht es vor]. Anders die spielerische Figur des Sam Krichinsky, der die Lebenstricks kennt, aber am Ende im Altersheim sitzt und sich mit dem Erinnern beschäftigt. Eine komisch-traurige Figur, die mir sehr nahe war; auch mein Großvater kam 1914 aus Rußland.

Zur Frage Opfer-Täter. Für mich ist sie nicht neu. Als ich noch in der DDR gelebt habe, war ich sehr populär. Und ab 1976 wurde ich plötzlich wie jemand behandelt, der Aussatz hat. Bis zum heutigen Tage erlebe und erinnere ich Geschichten, wenn ich nach Ost-Berlin komme. Ich habe gerade in einer Buchhandlung Unter den Linden eine Lesung gehalten, die Buchhandlung war im selben Haus, in dem Konrad Wolf gewohnt hat. Ich hatte 76 die Biermann-Petition unterschrieben. Konrad Wolf rief mich an und bat mich, zu ihm zu kommen. Zu ihm kam ich hoch, weil er ja eine integre Figur war. Ich hatte gerade für das Fernsehen eine Figur gespielt, in Das unsichtbare Visier[eine Serie, 1975/76], eigentlich eine Stasi-Figur, aber ich habe daraus einen Kundschafter gemacht, beinahe eine James-Bond-Figur. Ich sprach also mit Konrad Wolf und war maßlos enttäuscht, denn eigentlich ging es darum, daß ich die Unterschrift zurücknehme. Wenn nicht, könne der Film Weihnachten nicht herauskommen.

Ich sagte zu Wolf, wenn ihr den Film nicht zeigen könnt, dann ist das euer Problem, nicht meins. Soweit die Geschichte. Sie ist aber noch nicht zu Ende. Ich höre, daß der Markus „Mischa“ Wolf in seinem Buch — ich hab's noch nicht gelesen — etwas von „so einem schwerwiegenden Fall wie Armin Mueller-Stahl“ schreibt. Dabei ging das natürlich von der Staatssicherheit aus; schließlich spiele ich eine Stasi-Figur, und die Stasi hat diese Figur übrigens geliebt. Er, Mischa Wolf, schreibt heute, er habe sich nie einverstanden erklärt, wie Konrad Wolf mit der Biermann-Petition umgegangen ist. Er hätte sich ihn stärker gewünscht. Ich weiß aber, daß er selbst darum gebeten hat, ich sollte die Unterschrift zurückziehen. Das sind jetzt die Fragen: Wo stilisiert er, Mischa Wolf, sich als Opfer? Wo plündert er das Moralkonto seiner Familie? Das ist diese Mischung, diese Verbrämung, sind die Ungenauigkeiten, die heute rumgehen. Die wirklich Schuldigen dürfen wieder regieren. Die Kleineren kriegen die Prügel. Das geht natürlich nicht ab, ohne daß man das mit Schmerzen liest und mit Beteiligung. Die Geschichte Anderson — Biermann: Natürlich können wir nicht alles unter den Teppich kehren.

Auf der anderen Seite: Wann wird jemand wirklich schuldig? Anscheinend war er käuflich, der Anderson. Aber was haben sie wirklich getan? Wo haben sie Leute ans Messer geliefert? Es kommt darauf an, was man konkret nachweisen kann; die Stasi- Akten sind nicht die Bibel. Es gibt eine unglaubliche westliche Arroganz von Leuten, die nun glauben, Richter spielen zu können, obwohl sie sich keinen Deut besser verhalten hätten. Sie sind die gleichen Menschen, genauso feige und genauso angepaßt. Es gibt ganz wenige mit Zivilcourage. In meinem ganzen Schauspielerdasein ist mir nur ein mutiger Kollege begegnet.

Das heißt, was Biermann gemacht hat, Sascha Anderson öffentlich anzuklagen, finden Sie falsch?

Nein. Ich bin zwar anders als Biermann. Biermann war immer der Lauteste. Aber es muß immer einen Lautesten geben. Jede Gesellschaft hat ihren Lautesten. Wir brauchen diese Warnrufe. Wir sind ja vielfach taub. Wir sind ja bereit, uns unentwegt zu Helden zu stilisieren. So war es vorher, es gab die Leute, die von ihrem Heldentum im Nazireich schrieben, und sie waren es nachweisbar nicht. Heute wieder: 16 Millionen Widerstandskämpfer gegen 16 Millionen Fortsetzung auf Seite 16

Fortsetzung

Stasi-Mitglieder. Ich bin dafür, daß Biermann so ist, wie er ist.

Aber die Frage ist trotzdem: Ist eine Verbindung zur Stasi generell schon ein Verbrechen, oder kommt es auf die Taten an? Das ist ja auch das Anliegen des Films Music Box: zu unterscheiden zwischen den wirklich Schuldigen und falschen Verdächtigungen. Und immer sitzt die Justiz mit auf der Anklagebank. Die Amerikaner haben die Naziverbrecher rübergeholt, um mit ihnen die Kommunisten zu schlagen, und nach 40 Jahren haben sie sie nicht mehr gebraucht. Dann erst haben sie sie angeklagt.

Was halten Sie von der Idee eines Tribunals, wie Friedrich Schorlemmer und andere es vorschlagen? Ist das geeigneter für die öffentliche Diskussion als etwa der Mauerschützenprozeß?

Der Mauerschützenprozeß muß schon sein. Auf einen anderen Menschen zu schießen, da muß es doch eine Hürde geben, so etwas zu machen. Dazu gehört schon eine große Skrupellosigkeit. Zweitens glaube ich nicht, daß man Grenzer werden mußte, wenn man es nicht wollte. Es mußte auch keiner zur Stasi gehen. Stasi-Mitglied sein — andere bespitzeln: es ist schon eine korrumpierte, widerwärtige Haltung. Nur, ich kann ja nicht ausschließen, daß wir zwischen lauter widerwärtigen Leuten leben.

Der letzte Film, den Sie in der DDR gedreht haben, war Geschlossene Gesellschaft von Frank Beyer, und der erste wichtige Film in der BRD war Fassbinders Lola . Beides systemkritische Filme, aber kritisch gegenüber verschiedenen Systemen. Ging das so schnell? Was war das für ein Bruch?

Frank Beyer spricht über die Absurdität, Fassbinder hatte auch immer einen Schuß Absurdität. Aber letzten Endes interessierte er sich für die Realität nur am Rande. Das Normale war für ihn nur ein Baumuster für die Geschichten in seinem Kopf. Frank Beyer ist mehr das Kind seiner Umwelt, ein präziser Denker, der sich mit realistischen Mitteln an das Übersteigen der Grenze gemacht hat. In Geschlossene Gesellschaft fährt eine Familie in Urlaub, es kommt raus, was sie alles unter den Teppich gekehrt haben. Sie zerfetzen sich gegenseitig, weil sie sich nie die Wahrheit gesagt haben. Auch in diesem Film steckt die poetische Kraft des Nicht-Erklärbaren, des nicht ganz Realen. Weil das, was ist, nicht alles ist?

Völlig richtig. Die Hoffnung liegt außerhalb dessen, was man im Film sieht.

Fassbinder dagegen war sehr spielerisch. Er bestand nur aus Bauch, aus Emotion. Er liebte das Risiko nicht nur, er brauchte es. Er hatte viele Unterstützer. Anders wäre es gar nicht möglich gewesen, daß er mit 36 Jahren schon 42 Filme gemacht hat. Der Tod spielte eine gewaltige Rolle bei ihm. Er hat sein Leben inszeniert, und man hat immer morgens geguckt: Ist er noch am Leben? Und eines Tages war er nicht mehr am Leben. Er ist auch über die Grenze gegangen. Eines Tages war es vorbei. Ich glaube, er hat es gewußt. Er hat immer gesagt: Das Leben ist die Fülle, nicht die Länge.

Hatten Sie Angst vor Fassbinder?

Nein. Das habe ich mir irgendwann abgewöhnt, vor Leuten Angst zu haben. In der DDR hatte ich mich anlegen müssen, war trostlos gewesen. Als ich rüberkam, hatte mich hingesetzt und ein Buch geschrieben [„Verordneter Sonntag“, 1981], ein kompliziertes Buch, so kompliziert, wie ich mich fühlte. Als ich dann hörte, Fassbinder ist ein Teufel, hat mich das nicht beeindruckt, im Gegenteil, ich habe mir richtig vorgenommen, ihn herauszufordern. Angst habe ich schon, das ja: daß ich es nicht schaffe, wegen der Tagesdisposition, oder wenn ich unausgeschlafen bin. Die Angespanntheit in Situationen. Aber diese Eitelkeiten, das imponiert mir nicht. Ich glaube allerdings, Regisseure, wenn sie gut sind, sind sie Monster. Sie brauchen das Gefühl der Macht. Schauspieler nicht. Ich kann mich auch anders durchsetzen.

Diese eitlen, bornierten Regiefritzen haben unser Film- und Theaterleben glanzlos gemacht. Die Schauspieler sind gar nicht schlechter als früher. Wir leisten es uns in Deutschland, keine Stars zu haben; das mag mit unserer Geschichte zu tun haben, daß wir Stars nicht mögen. Aber ohne Stars geht es nicht, gehen die Geschichten nicht. Es gibt hier keine Figur mehr, die eine Legende mit auf die Bühne bringt. Wenn Lawrence Olivier auf der Bühne stand, stand da eine große kraftvolle Figur, der Marathon-Mann, Richard III., Hamlet, alle zusammen. Das Theater heute ist stumpf geworden, abgenutzt, grau. Mein Herz schlägt nicht dafür. Ich gehe meistens raus und lese lieber.

In „Drehtage“ schreiben Sie, es gäbe zwei Sorten Schauspieler. Solche, die immer sie selbst bleiben, wie Dustin Hoffman und solche, die ganz in ihren Rollen aufgehen, wie Robert de Niro. Zu welcher Sorte zählen Sie sich selbst?

Natürlich lieber zu denen, die sich verwandeln. Auch Dustin Hoffman ist nicht gut, wenn er sich einfach nur alt macht und dann einen alten Mann spielt. Die Vorstellung, sich verändern zu wollen, ist das, was zählt. Entscheidend ist immer: Bin ich glaubwürdig? Ob ich einen Mörder spiele oder einen Clown, es ist niemals die Maske, sondern die Frage: ist er überzeugend? Trifft er mich? Berührt er mich? Man ist ja kein anderer. Robert de Niro, wenn er sich vollfrißt, schon. Aber das ist die augenscheinlichste Leistung. Ich spiele gerne extrem unterschiedliche Rollen, Mike Laszlo in Music Box und Sam Krichinsky in Avalon sind solche Extreme. Oder der Bauer in Bittere Ernte und die Majestät in Oberst Redl, die Filme entstanden im selben Jahr; auch das war eine Herausforderung. Wie schaffe ich es, in beiden Rollen glaubwürdig zu sein?

Sie schreiben in „Drehtage“ auch, Schauspieler seien wie blinde Maler: Sie sehen nicht, was sie produzieren. Welche Hilfsmittel gibt es gegen die Blindheit?

Erfahrung. Und Beobachten. Aber passiv, nicht gezielt. Wenn man einen Text gelernt hat, vorher, das ganze Buch und wenn man es dann weglegt, nicht mehr drüber nachdenkt, dann passiert es. Jetzt schlägt der Baum Wurzeln. Ich mache nichts mehr, es beginnt zu arbeiten. Es lagert sich ab, wie Wein, plötzlich kann man damit spielen, man hat es im Körper. So ist es auch mit dem Beobachten. Man geht durch die Straßen und sieht, wie sich jemand bewegt, aber Sie nehmen es nicht wirklich wahr, nicht bewußt, und doch hat man es aufgenommen. Ich zeichne das oft. Zum Beispiel ein Mensch, der beobachtet. Er hat ein Buch in der Hand, spricht ganz intensiv, aber die Augen gehen rechts und links, und doch büchst er aus seinem Gespräch nicht aus, läßt sich nicht ablenken, spricht konzentriert. Ein Bild, das für mich dann später wieder greifbar wird. Wieviele Dinge hat man nicht in seinem Kopf parat, die man im Leben beobachtet hat. Oder Menschen. Ein Nachrichtensprecher zum Beispiel: Wie er sich räuspert, oder er hat einen Versprecher, und er entschuldigt sich. Die Bilder kann man abrufen wie bei einem Computer. Es ist der schlafende Teil dessen, was wir im Kopf haben.

In „Drehtage“ erzählen Sie auch von den, ja fast technischen Hilfsmitteln: die Schuhe von Mike Laszlo zum Beispiel oder die Frage, ob der oberste Kragenknopf zu oder geöffnet ist.

Haben Sie mal so einen alten Opa gesehen, wenn er das Hemd sorgfältig zuknöpft, und der Hals ist schon dürrer geworden, aber das Hemd ist weiter? Der Costa Gavras erzählte mir das von seinem Großvater. Solche Beobachtungen machen einen guten Film aus, gute Literatur, ein gutes Drehbuch. Es liegt auf der Straße, man muß nur hingucken, bloß gehen fast alle dran vorbei. Wie trinkt jemand seinen Kaffee? Wie verschieden trinken unterschiedliche Leute Kaffee? Oder wie Sie gerade den Zigarettenrauch aus der rechten Mundecke pusten. So pusten Sie vielleicht nicht immer, aber es fällt mir halt auf. Oder wie Sie die Hand in Ihre Jackentasche stecken. Das hat ja einen Grund. Warum macht man so etwas? Plötzlich macht man so eine kleine Schutzbewegung [verschränkt die Arme].

Schauspielen ist letztlich eine große handwerkliche Arbeit. Sie sind ja nicht die Figur, viele denken, plötzlich ist man die Figur, aber so ist es nicht. Auch Dustin Hoffman nicht. De Niro ja, das ist diese andere Schule. Die leben sich in eine Figur hinein und hören nicht mehr auf, sie zu leben. In seinen jüngeren Rollen finde ich ihn seltsamerweise trotzdem immer ziemlich ähnlich. Gut, aber gleich: In Good Fellas, Schuldig bei Verdacht, Mackknife — er spielt immer dieselbe Figur. Aber daß die Guten und die sehr Guten auch mal schlechter sind oder sogar richtig schlecht, gehört dazu wie bei einem Filmhelden: Olivier ist bekannt dafür, wie sehr er danebenhauen konnte.

Überlegen Sie manchmal, selbst Regie zu führen?

Das ist nicht mehr mein Ziel. Ich trau' es mir zu. Aber wenn man Regisseur werden will, braucht man dafür eine Lebenszeit, eine Entwicklung. Die habe ich nicht. Ein Jahr für den Filmschnitt, ich schreibe dann lieber etwas auf. Aber ich denke schon darüber nach, es gibt einen Stoff, eine Rolle, die ich gerne spielen möchte. Ich habe kürzlich mit Billy Wilder darüber gesprochen, aber er wird es wohl nicht machen, er ist nicht mehr der Jüngste. Es ist auch noch ein anderer Regisseur im Gespräch, und wenn die es beide nicht machen, mache ich es vielleicht selbst. Dazu kommt, daß die Gesellschaft generell nicht bereit ist, es hinzunehmen, wenn einer, der in einem Beruf Erfolg hat, im nächsten erfolgreich ist.

Aber Schauspieler, die Regie führen, gibt es mittlerweile ja viele: Clint Eastwood, Paul Newman, Jack Nicholson, Jodie Foster.

Das ist legitim. Schauspieler verstehen zumindest von Schauspielerei eine Menge. Sie haben ein Gefühl für die Nervosität, sie wissen, wie das ist, wenn man hilflos vor der Kamera steht. Vor der Kamera merkt man, wie nackt man ist. Man fühlt sich manchmal sehr einsam. Was für Ängste hatte ich in Amerika, werde ich das schaffen, sprachlich, körperlich, wie kann ich als Deutscher einen Juden spielen, wird das gehen? Soviele Hürden, die kann ich gar nicht alle beschreiben.

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