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Spontan-Theaterkasse

■ Der Senat ist noch immer nicht überzeugt vom »Last-Minute«-Kartenverkauf

Anfang September dieses Jahres hatte Rita Kurzbach eine originelle Geschäftsidee: Am Bahnhof Friedrichstraße eröffnete sie ihre Last-Minute-Theaterkasse. Ihr Vorhaben: Karten, die an den Theaterkassen liegengeblieben waren, in den letzten Stunden vor Vorstellungsbeginn (16 bis 20 Uhr) doch noch zu verkaufen — zum halben Preis plus zwei Mark Gebühren. Die Theater zeigten sich interessiert bis begeistert, die Kulturbehörden weniger. Die Staatstheater durften sich an dieser Aktion nicht beteiligen, weil der Senat Einnahmeeinbußen befürchtete.

Die ersten hundert Tage der Theaterkasse für Kurzentschlossene sind vergangen. Wie sieht die Situation heute aus? Die Initiatorin zeigt sich optimistisch: »Dieses Angebot hat sich bei den Theaterbesuchern langsam herumgesprochen und wird auch genutzt. Aber natürlich fragen die Kunden auch nach Veranstaltungen der Staatstheater und sind enttäuscht, daß ich ihnen diese Karten nicht anbieten kann.«

Rita Kurzbach hat die Hoffnung allerdings noch nicht aufgegeben und steht in ständiger Verbindung mit dem Kulturausschuß und der Senatsveraltung. Sie meint: »Ich verstehe das Argument des Senats und des Berliner Bühnenvereins immer weniger. Die Gespräche mit den Kunden zeigen mir, daß es sich überwiegend um Leute handelt, die sonst gar nicht ins Theater gehen würden, weil sie sich die normalen Eintrittspreise nicht leisten können.«

Hier sieht die Leiterin der Theaterkasse auch eine soziale Aufgabe: »Den Standort der Kasse habe ich ganz bewußt gewählt. Gerade hier im Osten ist die finanzielle Hemmschwelle für kulturelle Veranstaltungen besonders hoch. Die Preise stehen in keinem Verhältnis zum Einkommen. Dieser Service ist für mich auch ein Beitrag dazu, kulturelle Mauern einzureißen.«

Noch mehr aber denkt Rita Kurzbach an den Vorteil der Bühnen: »Ich arbeite selbst für ein Theater. Mir geht es um die Interessen der Theater, nicht um eigenen finanziellen Vorteil. Schließlich ist es jedem Theater selbst überlassen, wieviel Karten es mir anbietet. Das kann jedes Theater täglich neu entscheiden. Es gibt kein festes Kontingent, das mir zur Verfügung gestellt werden muß.«

Hier nennt sie ein fitkives Beispiel, wie es funktionieren könnte: »Nehmen wir an, ein Theater hat 400 Plätze, davon sind 200 im Vorverkauf weg. Man rechnet, und das ist dann Erfahrung, vielleicht noch 100 Verkäufe an der Abendkasse. So ist es sicher kein Verlust, wenn man mir etwa 20 Karten zur Verfügung stellt, die ich zum halben Preis verkaufe. Diese Karten hätte, wie auch die 80 verbleibenden an der Abendkasse, sonst niemand gekauft. Es ist also ein Vorteil für das Theater, wenn es einige Karten wenigstens noch zum halben Preis verkaufen kann.« Dieses Beispiel zeigt auch, daß der Vorverkauf von dem Angebot in letzter Minute unberührt bleibt. Die Theater geben lediglich aus dem Kontingent der Abendkassen Karten ab.

Georg Tryphon vom »intimen theater« in Kreuzberg bestätigt die Erfolge: »Im Moment verkaufen wir durch diese Kasse sicherlich zusätzlich. Um Genaues zu sagen, ist die Zeit zu kurz; aber ich nehme an, daß der Verkauf für Kurzentschlossene noch zunehmen wird.«

Unterstützung erhält Rita Kurzbach jetzt auch durch eine Stellungnahme des Berliner Ensembles, das sich nicht an die Weisungen des Senats hielt und sich am Last-Minute- Verkauf beteiligte. In einem Bericht des BE heißt es: »Durch die Abgabe von Last-Minute-Karten kann eine Erhöhung der Besucherzahlen erreicht werden. Insbesondere werden zudem Publikumsschichten erreicht, die zuvor nicht oder kaum zum Besucherkreis des Berliner Ensembles gehörten!«

Auch die Bedenken des Senats, Besucher könnten auf einen billigen Platz spekulieren und deshalb den Verkauf an der Abendkasse nicht nutzen, teilt das Berliner Ensemble nicht: »Da jedoch der Last-Minute- Kasse ausschließlich Karten angeboten werden für Vorstellungen, die nie zufriedenstellende Besucherzahlen erreichen (darunter Stücke mit einer Auslastung zwischen 15 und 20 Prozent), kann nahezu ausgeschlossen werden, daß Besucher aus spekulativen Gründen Karten über den Last- Minute-Service buchen.«

Der Bericht des Staatstheaters bestätigt Rita Kurzbachs Vermutungen: »Über Last-Minute werden Karten zum reduzierten Preis vertrieben, die sonst gar nicht mehr abgesetzt werden könnten. Mit Blick auf vergleichbare Auslastungsquoten läßt sich zusätzliches Publikum und somit eine Erhöhung der Einnahmen ablesen. Falsch wäre zu meinen, der Besucher, der seine Karte über Last-Minute bezog, hätte dem Haus 50 Prozent Einnahmeverlust gebracht. Richtiger und zutreffend ist, daß die 50 Prozent, die der Last-Minute-Besucher entrichtet, eine über den üblichen Kartenvertrieb nicht zu erzielende Einnahme sind.«

Eine Einschränkung macht der Bericht allerdings: »Das gilt wohlgemerkt ausschließlich bei solchen Vorstellungen, die aufgrund ihrer geringen Auslastung für eine solche Handhabung in Frage kommen.« Dazu Rita Kurzbach: »Das ist ja wieder der Vorteil der Theater: Für ausgelastete Vorstellungen bekomme ich eben keine Karten.«

Warum also tut sich der Senat in Berlin noch immer so schwer mit diesem System, das nicht nur im vielzitierten New York, sondern zum Beispiel auch in Hamburg bereits funktioniert? Bei diesem Konzept trägt doch ganz augenscheinlich nur Rita Kurzbach das Risiko.

Im Idealfalle wären alle Berliner Theater ausverkauft und sie säße ohne ein einziges Kartenangebot in ihrer Kasse. Rita Kurzbach: »Das wäre natürlich das Ziel jedes Theaters und ganz ideal. Wenn das eintreffen würde, würde sich eine Last-Minute- Kasse erübrigen. Aber bis dahin halte ich sie für notwendig und sinnvoll sowohl für die Theater als auch für das Publikum.« Ingrid Straumer

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