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DIE SEELE DER FUSSKRANKEN HAUSFRAU

■ Die zukünftige Geschäftsführerin des Studienkreises für Tourismus, Dr. Felizitas Romeiß-Stracke, setzte sich in einem Vortrag auf der Jahrestagung des deutschen Reisebüroverbandes kritisch mit den...

Die zukünftige Geschäftsführerin des Studienkreises für Tourismus, Dr. Felizitas Romeiß-Stracke, setzte sich in einem Vortrag auf der Jahrestagung des deutschen Reisebüroverbands kritisch mit den „Aposteln eines Sanften Reisens“ auseinander. Einige Anmerkungen zu diesem medienwirksamen Verriß.

VONEDITHKRESTA

Mega-hart rüttelte die Münchner Soziologin und Freizeitforscherin Romeiß-Stracke am Selbstverständnis der Vertreter eines Sanften Tourismus. Mit pseudosoziologischen Eklektizismen von Habermas, über Beck und Markl, bis hin zur Aufklärung verweist sie die „Apostel eines Sanften Tourismus“ ins treudeutsche Biotop weltfremder Ideale. „Die Idee des Sanften Tourismus geht zurück auf in der deutschen Seele tief verwurzelte Geistesströmungen.“ Oh, romantische deutsche Seele, in Waldlehrpfad, Kräuterlehrgarten und Beobachtungsstand für bedrohte Vogelarten findest du dich also wieder? Natürlich nicht, denn „das spontane und mit großen Gefühlen verbundene Genießen von Natur, das Heulen beim Sonnenuntergang am Berg, das euphorische Hineinstellen in den Wind — es wird mit erhobenem Zeigefinger zurückgestupst auf den Informationsrundgang im Naturlehrpfad“.

Die Sehnsucht nach dem Eins- Sein mit der Natur, weiß Frau Romeiß-Stracke, wird von den „Oberlehrern der Ökologie“ nur in „vorgekosteten Häppchen verabreicht“. Zugegebenermaßen ein harter Schlag für die Natursehnsucht. Die Bewegung des Sanften Tourismus, doziert die Professorin weiter, „war zunächst einmal eine Gemeinschaft zur Bewältigung der Angst.“ „Das ökologisch aufgeklärte Individuum läßt sich beherrschen von der diffusen Angst, daß überall Schad- und Giftstoffe kichern und wie der Teufel im Mittelalter ihr Unwesen treiben.“ Was läge daher in der „modernen Risikogesellschaft“ näher, als sich zur „Angstgemeinschaft“ zusammenzuschließen, die emotionale Sicherheit verspricht. „Mehr oder weniger unausgesprochene Verhaltensnormen können eine Rigidität der Bruderschaft im Herrn erreichen [...] und der Exorzist klappert mit den Marmeladedöschen, die es zum Frühstück im Hotel nicht mehr geben soll.“ Wunderbar. Die Freizeitforscherin entlarvt das hausbackene, hausgemachte und darüber hinaus noch ängstliche Wesen der sanft-touristischen Bewegung gnadenlos.

Die Kleingärtneridylle unter Beschuß

Damit untergräbt sie zugleich die „Definitionsmacht“ (Gütesiegel, blaue Flagge etc.), die sie der Bewegung immerhin zugesteht. Den „relativ erfolgreichen Aufbau einer Herrschaftsposition, von der aus jeder technische oder ökonomische Teufel gezwungen werden kann, sich mit ökologischem Weihwasser zu besprengen“. Denn, so fragt sie weiter, „wer wagt es heute noch zu sagen, daß er nicht Sanften Tourismus will“. Niemand, nicht einmal Frau Romeiß-Stracke: „Sanfter Tourismus ist notwendig — aber anders als bisher.“ Er darf natürlich kein Sandkorn im Getriebe einer perfekt geschmierten Urlaubsmaschinerie sein. Und das ist er mit dem Ruf nach überschaubaren, in die Lebensräume integrierten Entwicklungen. Klein, klein also, die Professorin möchte aber gerne groß, groß. Denn ihr geht es auch um „die Seele der fußkranken Hausfrau aus Böblingen, selbst wenn sie in Massen auftritt“. Und: „Die will eben fliegen.“ Um auch auf deren vermeintliche Wünsche eingehen zu können, müssen den Ökopädagogen die Federn gerupft werden. Damit der moralisch erhobene Finger endlich unten bleibt. Und Frau Romeiß-Stracke fährt dafür heftige Geschütze auf: eine wissenschaftlich verbrämte Diffamierungskampagne gegen die Kleingärtneridylle und für den Ausbau des Großflughafens.

Es geht also um die Massenhaftigkeit des Tourismus, um das „Management der Menge“, für die der Sanfte Tourismus, überwiegend im Jugendbereich angesiedelt, natürlich keine Lösungsvorschläge bietet. Frau Professor sieht die Lösung „in Neubau und Vergrößerung, durch Konzentration und durch intensivere Nutzung“. Denn wenn Ökologie nicht Menschenverachtung heißen soll, also die „Gelbbauchunke nicht wichtiger als der Mensch genommen wird“, so käme man um eine vorurteilsfreie Betrachtung von großflächigen und spezialisierten Freizeit- und Urlaubsanlagen nicht umhin. „Und die modernen Herausforderer“, sprich Investoren, stehen auch schon vor der Tür: Center Parcs, World Tourist Center etc. Von diesem „modernen Tourismus“ verstünden die wenigsten Planer etwas, erklärt die forsche Soziologin, was läge daher näher, als sich in Abwehr zu flüchten. Völlig aufgeklärt und im Strom des Zeitgeistes plädiert sie für die bislang in der Tourismuskritik verteufelten Großanlagen.

Natürlich will sie nicht die scheußliche Betonbomberkultur der 60er Jahre, die Teilen der Mittelmeerküste den Garaus machte. Nein, ihr Konzept ist ganzheitlicher, anspruchsvoller. Denn: „Die Urlaubssituation muß die Attribute des Lebensstils möglichst genau beinhalten.“ Im Gegensatz zu den sanften Touristikern sieht Frau Romeiß- Stracke nämlich durchaus die soziale Komponente im Tourismus. Nicht gerade in bezug auf die Bereisten — die kommen in ihren stilvollen Großraumprojekten allenfalls noch als kellnernde Statisten vor, von denen nicht nur ein gefälliges Lächeln, sondern auch ein schneller Blick für die spezifischen Verhaltenskodexe gegenüber den jeweiligen „Life-style- Typen“ gefordert wird — nein, die Soziologin weiß, daß das von Identitätskrisen geschüttelte Individuum im Urlaub soziale „Orientierung und Sicherheit sucht“. Es muß in seinem Umfeld die „Symbole“ (Kleidung, Auto Essen, Frisur etc.) für seine persönliche „Werthaltung und Lebensentwürfe“ wiederfinden.

Eine neues Lebens- und Liebesgefühl?

Dabei ist natürlich selbstverständlich, daß die „fußkranke Hausfrau aus Böblingen“ sich nicht im „Du“ des „City-man mit Designerbrille“ wiederfindet. Nein, sie wird auch im Urlaub im ihr entsprechenden Ferienpark mit anderen Frauen über Kuchenbacken plauschen, allenfalls bei leiser Hintergrundmusik von Howard Carpendale mit einer Pina Colada gewagt am Rand des azurblauen Swimmingpools sitzend. „Der City-man“, im Urlaub durchaus mal in „schriller Radler-Montur anzutreffen“, wird allenfalls aufs „Du“ der hennagefärbten Studentin stoßen. Die will im „Experimentierfeld Urlaub“ auch mal eine „andere Identität ausprobieren“ und tauscht die Birkenstocksandalen gegen gewagt hochhackige Pumps. An der Seite des abends natürlich wieder seriös gestylten City-man stakst sie in die Freiluftdisko und entdeckt ein neues Lebens- und vielleicht auch Liebesgefühl.

Die Urlaubsindustrie braucht die „bewußte Gestaltung von Ambientes für Lebensstilexperimente“, weiß die Professorin. Und für dieses programmierte Zukunftsszenario sei der Reiseveranstalter gefordert. Schließlich hat er es nicht mehr mit schlichten Konsumenten, sondern mit Mega-in-Lebensstiltypen zu tun. „Es liegt auf der Hand“, analysiert Frau Romeiß-Stracke, „daß der Job von Reiseveranstaltern die Mitgestaltung von perfekten Urlaubs- und Freizeitwelten ist — sie sind als ,Produkte‘ einfach leichter aufzubereiten und zu vermarkten.“

Endstation perfekte Scheinidylle

Die Errungenschaften der Industriegesellschaft, für die forsche Professorin die Entlastung von Arbeit, persönliche Freiheit und Mobilität, führen dann schnurstracks ins alltagsästhetisch, life-style-spezifisch aufbereitete Pauschalangebot. In Ferienparks und Freizeit-Center, die der persönlichen Entdecker- und Abenteuerlust schon lange zuvorgekommen sind. Die vor sich hin schlummernden heimlichen Urlaubswünsche der „fußkranken Hausfrau aus Böblingen“ sind schon an deren Urlaubsort angekommen, wenn diese noch unschlüssig in dem auf sie zugeschnittenen Life-style-Reisekatalog blättert. In der „Angstgesellschaft“ wird Sicherheit großgeschrieben. Und soziale Sicherheit gibt, frei nach Romeiß-Stracke, die Geborgenheit einer Großanlage, wo der einheimische Taschendieb draußen bleibt und man sich unter seinesgleichen bewegt.

Frau Romeiß-Stracke perfektioniert wissenschaftlich aufgemotzt hinter Begriffen wie „Risikogesellschaft, Individualisierung, Ästhetisierung, Lebensstil“ den industriellen Massenbetrug an den Reisewünschen. Die Suche nach Authentizität wird wie gehabt mit normierten Erlebnisqualitäten, Scheinidyllen und Konsum abgespeist. Die eloquente Professorin ist sicherlich eine innovative Bereicherung für die Konzepte der Wirtschaft. Man kann nur hoffen, daß die Grundlagenforschung des Studienkreises für Tourismus, dessen Geschäftsführerin Frau Stracke in Kürze werden soll, im eigenen Interesse nicht allein von deren pointiertem Standpunkt beeinflußt wird. Damit der Studienkreis, falls er weiterbestehen sollte, mit seiner Arbeit für die „wichtige Errungenschaft, frei und selbstbestimmt zu verreisen“ (StfT), weiterhin ernst genommen werden kann.

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