KOMMENTARE: Pompöses „Als-ob“
■ Der Dresdner Parteitag und die Vergangenheit der Ost-CDU
Die CDU vor der Aufarbeitung ihrer Ost-Geschichte? Nichts als Worte, möchte man meinen, nachdem Kohl, Schäuble und Rühe zum Auftakt des Dresdner Parteitages ihre ausgewogenen Erklärungen zum besten gegeben haben. Doch selbst mit Worten wurde in Dresden vorsichtig hantiert. Die wenigen schneidenden Sätze im Redemanuskript der neuen Kohl-Stellvertreterin Angela Merkel beispielsweise, mit denen sie einen Ämterverzicht für Blockparteifunktionäre fordert und die gängige Umdefinition von Unterdrückern zu Freiheitshelden kritisiert, fielen am Ende der sanften Zensur zum Opfer.
An der Differenz von Ausgesprochenem und Unausgesprochenem wird deutlich, wo derzeit in der Frage der Aufarbeitung die Trennungslinie zwischen opportunen und parteischädlichen Ansichten verläuft: Beredte Klagen über schuldhafte Verstrickungen der ehemaligen Blockpartei — immer abgefedert durch selbstkritisch-zurückhaltendes Verständnis angesichts der Zwänge des Systems — sind erlaubt. Der kritische Bereich beginnt dort, wo von den belasteten Parteigenossen und christlichen Funktionären des alten Regimes konkrete und damit überprüfbare Konsequenzen gefordert werden. Erwünscht und in Dresden praktiziert ist der pompöse Gestus des „Als-ob“. Sich vor der Vergangenheit drücken, während man vollmundig deren Aufarbeitung beschwört — das ist die Dresdner Maxime der CDU, die sich nur graduell, nicht qualitativ von der Praxis der SED-Nachfolgepartei PDS unterscheidet.
Spätestens seit dem gescheiterten Rühe-Vorstoß vom Sommer, als der glücklose CDU-Generalsekretär brachial und flächendeckend die Erneuerung der Ost-Landesverbände auf den Weg bringen wollte, weiß die CDU-Zentrale, daß sie gegen das Beharrungsvermögen der Altkader nicht ankommt. Wie wenig das Votum des Kanzlers in seinen Ost-Domänen zählt, hat jüngst die Fink-Wahl in Brandenburg noch einmal deutlich gemacht. Mit entschlossener Einflußnahme riskiert die Zentrale nur den weiteren Einflußverlust im Osten.
Um die fragile Einheit der Partei zu wahren, bleibt dem Konrad-Adenauer-Haus derzeit gar nichts anders übrig als der „behutsame Umgang“. Die Bonner CDU-Strategen mögen das als Preis für die rundum erfolgreiche Vereinnahmung der Blockpartei im Einheitsjahr verbuchen. Ansonsten dürfen sie hoffen, daß das Image der Gesamtpartei durch die Kette erfolgter und bevorstehender Abgänge — hier ein Gies, da ein Duchac — nicht allzusehr belastet wird. Daß die Union allerdings — wie Volker Rühe in Dresden optimistisch dröhnte — aus der Debatte um die eigene Vergangenheit gestärkt hervorgehe, dafür gibt es derzeit wenig Anzeichen. Matthias Geis
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