: Andächtige Zuschauer in den Himmel
■ „Den Gottlosen die Hölle“, Montag, 16.12., 22.10Uhr, ZDF
Schon vor einiger Zeit hatte Peter Scholl-Latour in der damals noch kommunistisch regierten Sowjetunion im Islam einen wesentlichen Unruhefaktor ausgemacht und in ihm eine lebendige Kraft gegen den Marxismus gesehen. Es ist nur konsequent, daß er nunmehr im Getöse des zerfallenden „Sowjetreiches“ erste „Sturmzeichen“ einer islamischen Renaissance zu vernehmen glaubt. Das Ganze wird dem von exotischen Bildern gebannten und von den profunden Kenntnissen des Experten immer wieder beeindruckten Zuschauer unter dem abschreckenden Titel Den Gottlosen die Hölle als Dreiteiler präsentiert, sowohl in Stil als auch in der Botschaft eine Fortsetzung der Reihe Das Schwert des Islam.
Kaukasus, Tatarstan und die zentralasiatischen Republiken Usbekistan und Tadschikistan: wieder wird eine ganze Region und deren Bewohner in Scholl-Latours allumfassenden Mantel der Religion gehüllt. Gesellschaftliche Zusammenhänge, ökonomische Bedingungen, Beziehung zwischen den Geschlechtern, Entwicklungsstand der Wissenschaften und der Erziehung — in den von Scholl-Latour porträtierten und mehrheitlich von Muslimen bevölkerten Ländern spielt der Einbruch der Moderne praktisch keine Rolle. Statt dessen kommt dem Besucher an jeder Ecke das Gespenst des Islam entgegen. Ein Islam, der fremd und bedrohlich wirkt, die Allmacht Gottes auf Erden.
Scholl-Latour, so scheint es, ist stellenweise selbst so fasziniert von diesem Mysterium, daß manche seiner Aussagen und Wertungen, kämen sie aus dem Munde eines Muslim, gleich als fundamentalistisch abgetan werden würden. Jedenfalls dürften sie wohl kaum die beste Sendezeit im Fernsehen besetzen und dabei beanspruchen, Millionen von Zuschauern endlich die Wahrheit über den Islam zu verkünden.
So aber wird wieder mit journalistischer Raffinesse die vermeintliche Kluft zwischen muslimischen und christlichen Völkern hervorgekehrt — in der ehemaligen Sowjetunion ist es die zwischen Slawen und den Turkvölkern. Die Polarisierung zwischen Christentum und Islam wird zum alles erklärenden Deutungsmuster.
Scholl-Latour weiß weder etwas über die fanatischen Glaubenskämpfe zwischen Orthodoxen und Katholiken in Rußland und in der Ukraine zu berichten, noch können seine Ausführungen und Prophezeiungen den Drang der Turkvölker erklären, der „slawischen“ Gemeinschaft unabhängiger Staaten beitreten zu wollen. Daß gerade Aserbaidshan in diesem Jahrhundert eine Hochburg islamischer Reformer war, wird nicht erwähnt.
Das Ärgerlichste aber ist die Tatsache, daß das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit solchen Beiträgen, die als „wesentliche Ergänzung und Vertiefung aktueller Berichterstattung“ angepriesen werden, Vorurteile noch einmal verstärkt. Doch das bietet natürlich den Vorteil, sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem Fremden bequem entziehen zu können. Zafer Senocak
Wer dennoch schauen mag, wie's weitergeht: Sendetermine der weiteren zwei Teile: 23. und 30.Dezember, jeweils um 22.10 Uhr.
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