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Outen ja, aber nicht hier und nicht heute

Rosa von Praunheim erwies mit seinem RTL-Auftritt der Ghettoisierung der Homosexuellen einen Bärendienst  ■ Von Elmar Kraushaar

Eine Geschichte: Ende Juli lädt die bis dato unbekannte britische Schwulengruppe Frocs (Faggots rooting out closed sexuality) zur Pressekonferenz. Ihr Versprechen: wir nennen 200 Namen, 200 Prominente, die lesbisch/schwul sind. Zum verabredeten Termin sind alle da, rappelvoll, selbst der verlangte Eintritt wird bezahlt. Dann platzt die Bombe: Frocs- Mitglied Shane Broomhall verrät nichts und reibt den Medienvertretern ihre „Heuchelei“ unter die Nase: Keine Schlagzeile, wenn es um Gewalt und Diskriminierung gegen Homosexuelle geht, aber beim Blick unter die Bettdecke wollt ihr alle in der ersten Reihe sitzen. Eine schöne Geschichte.

Und eine wahre, schaut man in die Zeitungen der vergangenen Woche. Nachdem Rosa von Praunheim auf dem Heißen Stuhl von RTLplus Hape Kerkeling und Alfred Biolek geoutet hat, überschlagen sich die Aufmacher. Die Meute ist spitz geworden, möchte mehr wissen über die alten Bekannten im neuen Licht, möchte weitere Namen, Daten und Gesichter. Der Unterleib ist angesprochen, das Unterbewußte. Alle schalten auf stur und hören beim Wörtchen „homosexuell“ nur noch „sexuell“. Die vertrauten Personen müssen schleunigst entfremdet werden, mit dem gebündelten Interesse für ein augenscheinlich anderes Sexualverhalten muß man sie sich vom Leib halten. Bestes Beispiel: als im letzten Jahr der Schauspieler und populäre Garant für bestes Bayerntum, Walter Sedlmayr, nach seiner Ermordung öffentlich als Homosexueller entdeckt wurde, wurde eiligst jegliche Nähe weggeschrieben und dafür ein Sexmonster konstruiert. Eine schöne Bescherung. Mithin keine rosa Zeiten für den einzelnen Prominenten und nicht für den einzelnen und jeden gewöhnlichen Homosexuellen. Nicht viel bleibt mehr von ihm, reduziert auf ein unbekanntes Segment und damit erfolgreich abgespalten vom großen Ganzen. Was bleibt ist tumber Voyeurismus in den Massenblättern, ist in den aufgeklärten Kreisen die Rede vom Bekenntnis zur „sexuellen Identität“ (taz vom 14.12.91). Was ist das?

Daß es so kommt, haben die ersten Outing-Aktivisten nicht gewollt. Als vor mehr als zwei Jahren radikale Teile der US-amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung damit begannen, prominente Homosexuelle zu enttarnen, sahen sie sich nur noch mit dem Rücken zur Wand. Vom Outing als neuer politischer Strategie war die Rede in einer schier ausweglosen Situation. Aids und seine Folgen bestimmten die Lage, die Krise. Tausende starben und sterben noch, vor allem schwule Männer. Mit der ersten Kenntnisnahme von Aids versagte die offizielle Politik, nachdem sich die trügerische Gewißheit herausschälte, daß die Krankheit sich auf jene beschränkt, die man gemeinhin abschieben konnte als „Risikogruppen“, als quantité négligeable. Die moralische Unterstützung blieb ebenso aus wie die finanzielle, es fehlten Gelder für Behandlung und Betreuung, für Aufklärung und Forschung. Die öffentliche Meinung nachverurteilte die Opfer, anstatt ihnen Beistand zu gewähren. „Wir sind im Krieg“, resümierte der Autor und Schwulenaktivist Larry Kramer. Die Mobilmachung hieß Outing. Daß es damit zuvorderst anders ausging als geplant, war das Risiko. Nicht die Geouteten nahmen die Herausforderung an und stellten sich der eingeklagten Solidarität, dafür machten die Medien ihr Geschäft, mit heuchlerischen Moralpredigten, mit kompromittierenden Bettgeschichten, mit Tratsch und Sensationen. Dabei war auf Seiten der Outer und Outing-Befürworter nicht die Rede vom individuellen Sexualleben, hatten sie doch dazu aufgefordert, daß sich Prominente öffentlich auf die Seite derer stellen, denen sie solange vertrauten, wenn es darum ging, ihr Privates zu organisieren. Sie sollten nicht mehr nur schwul sein in der Sicherheit des Ghettos, sondern auch in der öffentlichen Rede und in der politischen Diskussion.

Einen bitteren Beweis für die dem Outing in der Aids-Krise zugrunde liegende Idee bekamen die Aktivisten in den letzten Wochen geliefert. Was der Tod von Tausenden von Schwulen nicht vermocht hatte und auch nicht die erzwungenen Bekenntnisse von Prominenten, die in Schach gehalten wurden mit dreckigen Schlagzeilen, das erreichte das Geständnis des populären Basketballspielers Earvin „Magic“ Johnson. Nachdem der heterosexuelle Sportler die Öffentlichkeit über seine HIV-Infektion unterrichtet hatte, brach eine Welle der Aufmerksamkeit und Bestürzung los. Präsident Bush gestand Fehler in der Aids-Politik und berief das Idol in seine Nationale Aids-Kommission, die Medien zeigten sich gerührt und starteten endlich mit den so lange prüde vermiedenen Aufklärungskampagnen. Hierzulande outete bislang keiner, die Not ist nicht so groß. Die Debatte verblieb im Rahmen theoretischer Erörterungen. Schenkt man den wenigen Äußerungen der verschiedenen Fraktionen der Lesben- und Schwulenbewegung Glauben, gibt es keine Mehrheiten für Outing. Einzig Rosa von Praunheim nahm die Outing-Herausforderung — falsch verstanden — an und nutzte sie zum spektakulären Auftritt. Seine Verantwortungslosigkeit dabei, die keine Zusammenhänge kennt und kein politisches Bewußtsein, verkleistert der Filmemacher damit, daß er sich — vermeintlich radikal und in völliger Überschätzung — auf die Rolle des „einsamen Wolfs“ und des „Buhmanns der Nation“ (taz vom 14.12.91) kapriziert. Das ist Wortgeklingel, so schön wie seine an gleicher Stelle formulierte Vulgäranalyse zur Lage der Homosexuellen hierzulande. Gewalt gegen Schwule, Gefahr von rechts, Diskriminierung am Arbeitsplatz und — neues Stichwort — Aids: Das Standardrepertoire für jeden Aktivisten so wie für Praunheim. Das gehörte schon dazu, als er 1970 den Film Nicht der Homosexuelle ist pervers... drehte, für den ihm jeder Verdienst ebenso gebührt wie den anderen, die zum Film beigetragen haben und zu seinen Folgen, deren Namen aber schon längst aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden sind.

Die von Praunheim rekapitulierten Standards sind so richtig wie untauglich. Sie sind ihm so genehm wie großen Teilen der Bewegung. Im Beharren auf derlei Schlagworten steckt das fatale Bemühen, die Opferrolle als konstitutiven Teil der Identität zu bewahren. Daraus folgert zwangsläufig — auch von Praunheim — falsch: „Die meisten Schwulen reagieren passiv und verängstigt.“ Das ist nicht wahr, nicht in der jetzigen Situation und auch schon lange vorher nicht mehr. Damit werden alle Anstrengungen und Errungenschaften der letzten 20 Jahre unterschlagen, und die Verdienste der vielen Mutigen ersatzlos gestrichen, die sich nicht so spektakulär aufbereiten wie Praunheim, deren Engagement dafür um so nachhaltiger wirkt.

In dieser falschen Analyse mit den so kurzen Schlagworten wird aber auch der Blick verstellt auf die aktuelle Situation der gesellschaftlichen Randgruppe. Ihre einstige Unterdrückung in der Klammer zwischen Krankheit und Kriminalisierung hat sich, nach einer langen Phase der Strategie des Schweigens, längst verfeinert und einer geflissentlichen Toleranz den Platz freigemacht. Dazu gehört die Reduktion auf den Status der „sexuellen Minderheit“; dazu gehört die unbewußte Hinnahme, daß sich das Problem der männlichen Homosexualität mit der Krankheit Aids selbst erledigt; dazu gehört auch die politische Bereitschaft, den Status des Homosexuellen zu legalisieren in der Anerkennung seiner Paarbildung nach heterosexuellem Vorbild. Diese veränderte Situation verlangt ein neues Denken und Handeln. Hierbei muß Outing als ein Instrument der politischen Auseinandersetzung bedacht werden und zur Disposition stehen, wenn es an der Zeit ist. Doch die Zeiten sind nicht so, nicht hier und nicht heute.

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