piwik no script img

Keine Kinderknarre im KaDeWe

■ Statt Kleinkaliber für die Kleinkinder gibt es heute die »Junta« für die ganze Familie

Das Geschäft mit dem Krieg macht auch vor den Kinderzimmern nicht halt« hatte die taz anläßlich der diesjährigen Spielwarenmesse in Nürnberg berichtet und empörte sich über Soldatenpuppen, Plastik-MGs und Computer-Wargames. Besonders bedenklich: »Operation Desert Storm« in Bausätzen. Mit dem wirklichen Krieg sollten Kinder auch nicht über den Umweg des Spiels im Berührung kommen. Denn das Spiel hat gerade im modernen Computerkrieg unschuldig zu sein wie das Kind. Wo sich die Grenzen zwischen »Wirklichkeit« und »Spiel« aus der Perspektive des Angreifers und Zuschauers erschreckend vermischten, bemühte man sich um strikte Trennungen. Kein Gedanke daran, daß diese Vermischungen im realen Krieg nicht nur die Tötungsbereitschaft der Soldaten herabsetzten, sondern zuweilen sogar kriegsverhindernd wirkten. Manche ihrer für die Kriegsführung unentbehrlichen Laptops setzten amerikanische Soldaten dadurch außer Gefecht, daß sie sie für Videospiele zweckentfremdeten. Während den Soldaten daraufhin das Videospiel verboten wurde, versuchten einige Zuschauer energisch, dem so banal auf dem TV entweihten Tod eine ästhetisch angemessenere Form zu geben. Sie schalteten den Fernseher aus und fanden sich vor dem Kosmos-Kino zu einer rituellen »Kriegsspielzeugzerstörungsaktion« ein. Vor allem grüne, sozialistische oder bürgerbewegte Frauen zertrümmerten die Wasserpistolen und Spielzeugsoldaten ihrer Söhne und Brüder. Denn: »Kindliche Phantasie treibt manchmal schlimme Blüten.« Doch so ganz sicher waren sich die Abrüsterinnen nicht gewesen. Nicht das Kriegsspiel an sich sei gefährlich, sondern seine Technisierung: »Es reicht auch ein Stock, um Krieg zu spielen.«

Die erwähnte Aktion gehörte zu den Randerscheinungen. Im allgemeinen hatten PazifistInnen gegen Kriegsspielzeug nichts einzuwenden. Ruth Thon vom Münchner Mütterzentrum, das zum Golfkriegsende noch eine Kinder-Demo organisiert hatte, meint: »Meine Kinder haben alle Pistolen. Das ist schon okay. Es ist gerade für Kinder wichtig, ihre gesunden Aggressionen ausagieren zu können. Eltern, die Spielzeugpistolen und anderes ihren Kindern verbieten, erzeugen bei ihnen nur Angst und Schuldgefühle.« Der Zukunftsforscher Robert Jungk sieht sogar positive, wirklichkeitsbewältigende Aspekte des gescholtenen Zeugs: »Man soll nicht so tun, als wären Kinder etwas, was man nur immer beschützen muß, nur astrein, nur ja keine Schatten.«

Die Kritik des Kriegsspiels hat sich relativiert. »Billiges Plastikzeugs« wird zwar immer noch häufig abgelehnt, weil's nicht »natürlich« sei, Computerspiele stehen eher im Kreuzfeuer. Etwas auswendig gelernt klingen nachdenkliche Benutzer-Sprüche, die am letzten Samstag im SFB-Jugendmagazin Moskito zu hören waren: »Muß man ja wissen, daß man Menschen damit tötet«, fand ein kleiner Junge. Ein anderer betonte den Unterschied zwischen Computerspielen, in denen man Familien retten muß und solchen, in denen aus weniger einsichtigen Gründen Leute erschossen werden.

Die Spielzeugwirklichkeit scheint dem Stand der Forschung allerdings hoffnungslos hinterherzuhinken. Die Realität in den Kinderparadiesen der Berliner Kaufhäuser sieht ganz anders aus, als besorgte KritikerInnen vermuten. Lang muß man suchen, um bei Hertie am Halleschen Tor überhaupt ein paar Spielzeugwaffen zu finden. Nur fünf realitätsfern gestaltete Westernrevolver hängen wenig beachtet abseits der umlagerten »Steiff«-Stände. Wie man Kinder mit solch anachronistischem Gerät von den viel besser gestalteten Waffen, die jeder Tabakladen an der Ecke inzwischen anbietet, weglocken möchte, bleibt ein Hertiegeheimnis. Panzer oder auch nur moderne Laserwaffen, mit denen manch Kreuzberger »Kid« auf blöde Erwachsene schießt, sucht man vergebens. Zwar gibt es noch ein paar »naturgetreu im Maßstab 1:24« gestaltete »Dino Riders Action Figures«, doch die Dinosaurier mit ihren futuristischen Kanönchen an den Flanken und wackeren Kriegern auf dem Rücken wirken eher wie Relikte vergangener Zeiten. Nur eine Oma schaut interessiert auf »Monocolonicus mit Mako, dem Rulonier«, den »Suvolophus mit Lukus« und den imposanten »Pachyaphalosaurus«.

Die Kinder beachten nur die zweidimensionalen Geschlechtsgenossen jener Mischungen aus Archaik und Moderne. Die Videoschirme mit Fantasy-Spielen sind umlagert. Fehlanzeige bei naturgetreuen Zweit- und Dritt-Weltkriegs-Spielen. »Kriegsspielzeug« gilt dem KaDeWe offensichtlich als zu proletenhaft. Die zahlreichen Kampffliegermodellbaukästen von Revell imponieren durch Naturtreue, werden jedoch beim wilden Spiel eher zerbrechen; kleine Cowboyfiguren kann man an zwei Händen abzählen. Die einzigen richtigen Soldaten formieren sich zu einer Blaskapelle. Keine einzige Pistole wartet auf die Kleinen. Es dominiert die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens: Zur Fischer-Technik gehört inzwischen ein Klein-Computer und an unzähligen Laptops können die Kleinen sich einen Lebensstartvorsprung erarbeiten. Wehmütig denkt man dabei an die hübsch formulierten guten Vorsätze der DDR, die in ihrer Verfassung das Kinderrecht auf »Freude und Frohsinn« als Staatsziel formulierten.

Familienspiele, die für Entspannung vom kapitalistischen Alltag sorgen, sind übrigens in den fünften Stock ausgelagert. Besonders beliebt: »Die Bosse — wer macht den meisten Profit« oder »Junta — Wer bringt die meisten Subventionsgelder auf sein Schweizer Konto«. Bei »Star Quest« führen aufrechte »GSG19«-Kämpfer »Säuberungsaktionen« gegen »Chaoskrieger« durch, die die Welt bedrohen. Auf der Rückseite des »Ass«-Spiels mit dem Namen »C'est la vie« steht vorsichtshalber gleich »Achtung Satire!«. Hier konkurrieren die MitspielerInnen um ein WG-Zimmer und müssen Mitbewerber ausstechen. Wer am glaubwürdigsten denunziert, am besten lügt und besticht, darf es sich schmunzelnd im Häuschen bequem machen. Ihr »Achtung Satire!«-Schild hatten zwei freundliche Obdachlose, die am Wittenbergplatz ihre Gedichtheftchen verkauften, wohl vergessen. Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen