Vakanter Stuhl

■ Das Ende der UdSSR bietet die Chance einer Reform des UNO-Sicherheitsrates

Vakanter Stuhl Das Ende der UdSSR bietet die Chance einer Reform des UNO-Sicherheitsrates

Seit Freitag ist der Apparat des sowjetischen Außenministeriums den Weisungen der russischen Regierung unterstellt und wird auch — zunächst für einen Monat — von ihr finanziert. Was danach kommt, so der sowjetische Gesandte in Berlin, Igor Maximytschew, „liegt allein in Gottes Hand“. Es geht darum, ob der „Freundschaftsbund“ sich auf eine gemeinsame Außenvertretung einigen kann oder ob Rußland und die anderen Nachfolgestaaten der UdSSR ihre eigenen Wege gehen werden. Wie die Antwort auch ausfällt, die Konsequenzen werden für die internationalen Beziehungen erheblich sein — auch und gerade auf UNO-Ebene.

Unter Gorbatschow hatte die sowjetische Politik eine entschiedene Wendung hin zu der Weltorganisation vollzogen. Entsprechend den Prämissen des „Neuen Denkens“ war ihr die Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Probleme zugedacht, die nach der neuen sowjetischen Doktrin nicht mehr als Klassen-, sondern als Menschheitsfragen begriffen wurden. Über ihren ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat ebneten die Sowjets der „Internationalisierung“ politischer Konflikte den Weg. Daß sie damit im Golfkrieg eine wenig glückliche Hand hatten, tat dieser „Wende“ keinen Abbruch.

Es gibt drei mögliche Varianten, wem der sowjetische Sitz im Sicherheitsrat zufallen wird. Denkbar ist, daß er über längere Zeit vakant bleibt, Diese Lösung wäre angesichts der akuten Aufgaben des Sicherheitsrats — heute in Kambodscha, morgen in Jugoslawien — fatal. Eine zweite Variante bestünde darin, dem Anspruch Rußlands stattzugeben und die russische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion im Sicherheitsrat anzuerkennen. Diese Variante hat die größten Verwirklichungschancen. Damit wäre aber die Möglichkeit vertan, supranationale Zusammenschlüsse in den Sicherheitsrat aufzunehmen und so einen Schritt weg vom Nationalstaatsprinzip und der damit verbundenen Privilegierung weniger Großmächte zu tun. Die Aufnahme des „Freundschaftsbundes“ in den Sicherheitsrat könnte einen politischen Raum öffnen, innerhalb dessen statt der französischen und britischen eine einheitliche europäische (EG-) Vertretung gebildet und den afrikanischen und lateinamerikanischen Staatenorganisationen weitere ständige Sitze zugebilligt werden könnten. Eine solche Reform würde die Tendenz zur weltweiten Regionenbildung und damit das Potential der Kooperation und Kriegsverhütung verstärken. Aber diese Konsequenzen zu bedenken, ist wohl in der „Stunde“ der neuen Nationalstaaten zu viel verlangt. Christian Semler