: »Alles schreit nach einem Haken«
■ Ein Probeschiß auf dem neuen »Wall-City«-Klo: Geduscht, gefönt und dummbeschallt
Das einstweilen erste Wall-City-Klo der Stadt steht direkt vorm Rathaus Friedrichshain. Wie alle seine zukünftigen Brüder sieht es aus wie der Eingang eines U-Bahn-Fahrstuhls für Behinderte. Mein erster Versuch, das Klo zu testen, scheitert am Stromausfall der vorangegangenen Nacht. Zum Glück ist gerade der Monteur vor Ort. Herbeigerufen durch das im Klo integrierte Funktelefon, das Störfälle sofort an die Außendienstmitarbeiter meldet. Da durch den Stromausfall die Innentemperatur stark gesunken ist, läßt mich der nette Mann für umsonst. Das erspart mir das Kramen nach der Wall-City-Währung: Fünfzig Pfennige am Stück — sonst geht gar nichts.
Die Tür der Toilette öffnet sich nach 15 Minuten automatisch, droht ein Schild an der Außenwand in vier Sprachen. Solchermaßen gewarnt, betrete ich den Innenraum. Hinter mir schließt sich die halbrunde Schiebetür. Ich bin allein. Etwas irritiert durch die ungastliche Kälte, suche ich nach einem Haken für meinen Mantel. Kein Haken. Nichts. Mantel auf den Boden legen? Besser nicht: der trieft vor Nässe.
»So geht das nicht«, denke ich und wende mich an den freundlichen Mann draußen, den das Flair der Zuständigkeit ziert. Ja, sagt er, die Haken haben wir beantragt, aber die vom Bezirksamt haben Angst, daß sich einer aufhängt. Ich heuchle Verständnis, zumal er mir versichert, in Kürze einfach illegale Haken installieren zu wollen: »Im Winter muß man doch die Klamotte ablegen können!«
Zum Trost darf ich dem Reinigungsvorgang beiwohnen. Die Wand hinter dem Klosett schwebt mit bedrohlicher Langsamkeit nach oben. Aus der Naßzelle fährt ein Arm mit einer Klosett-Komplementärform aus, justiert sich über der eben benutzten Schüssel — und mit Hochdruck verrichtet das Wasser sein Reinigungswerk. Das ist ein Grund dafür, daß Fußboden und Wände bis zum Beckenrand naß sind. Anschließend wird — wie ich später feststellen muß — die Brille »angefönt«.
Nachdem der Monteur gegangen ist, beschließe ich, einen weiteren Versuch zu starten. Jetzt für harte Währung — und siehe: ich bin nicht mehr allein. Radio 100,6 leistet mir dröhnend Gesellschaft. Die angefönte Brille muß mit Papier aus dem Einzelblattspender vollständig trockengewischt werden, wenn ich nicht riskieren will abzurutschen. In dieser fatalen Lage schreit alles in mir nach einem Haken. Nun gut, es geht auch so, nur hab' ich alle Hände voll zu tun.
Kaum sitze ich, leuchtet direkt vor meinen Augen die Sensortaste mit der Aufschrift »Tür auf«. Auch das trägt nicht zu meiner inzwischen dringend notwendigen Entspannung bei.
Die Spülung faucht wie eine Anakonda. Beim ersten Spülen nur kurz. Zu kurz. Beim zweiten Versuch hört sie nicht mehr auf. So von zwei Seiten beschallt (einerseits 100,6 und zum anderen, vergleichsweise intelligent, der Spül-Sound), will ich mir die Hände waschen. Ein in die Wand eingelassenes Waschbecken mit integriertem Handfön lädt harmlos dazu ein. Leider gibt es keine Seife. Auch ist der Abfluß für das Wasser zu klein oder der Druck zu hoch: das Becken läuft über, meine Schuhe sind naß.
Als ich wenigstens meine Hände trocknen will, springt das Wasser wieder an. Im Spreizschritt föne ich, die Überschwemmung ignorierend, meine Hände trocken. Jetzt bleibt mir nur noch, auf das angedrohte automatische Öffnen der Tür zu warten. 100,6 und die wildgewordene Klospülung lassen keine Langeweile aufkommen. Schließe ich die Augen, träumt mir von der Herrentoilette im Kempinski. Der Geruch ist derselbe. Meine nassen Füße und die Geräuschkulisse holen mich in die Realität zurück. Nach 15 Minuten: nichts. Nach 16 Minuten: nichts. Auch nach 19 Minuten immer noch nichts.
Gerade beschließe ich, die Drohung für einen geschickten Schachzug zur Abkürzung der Sitzungen zu halten, da öffnet sich, völlig unvermittelt und ohne Ankündigung, die Schiebetür und gibt den Blick auf meine Schlange stehenden Nachfolger frei. Probeschiß im Avantgarde-Klo: was für ein Job! Ralf Berger
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