piwik no script img

Stehen „Fremde“ gegen „eigene Mitmenschen“?

■ Streit um die „10 Zwischenfragen zum Streit um das Asylrecht“ des Leiters der Landeszentrale für politische Bildung, Herbert Wulfekuhl

Mit zehn „Zwischenfragen zum Streit um das Asylrecht“ hatte sich am 6. November der Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, Herbert Wulfekuhl, zu Wort gemeldet. Die Thesen provozierten den langjährigen Geschäftsführer des Bildungswerks evangelischer Kirchen in Bremen, Reinhard Jung, zu einer Polemik, die zunächst in der Bremer Kirchenzeitung erschien. Auf diese Polemik wiederum reagierte Herbert Wulfekuhl auf Bitten der taz mit einer Replik. Beide Texte sind auf dieser Seite nachzulesen.

Neben der Erwiderung von Reinhard Jung sind in der Landeszentrale für politische Bildung seit Veröffentlichung der Thesen ihres Chefs ein rundes Dutzend längere Briefe von DVU-Wählern eingetroffen. So schrieb ein Bremer, der sich als Mitglied von NPD und DVU vorstellt, an Wulfekuhl: „Endlich ein Mensch, welcher versucht, Feindbilder abzubauen.“ Und ein anderer: „Nach der letzten Wahl hat man fast den Eindruck gewonnen, als wenn die Deutschen einen Maulkorb tragen mußten. Ihre klare Meinung ist sachlich und wahrheitsliebend. Gerne würde ich mich mit Ihnen unterhalten. Viele Dinge müßten offen mit Namen genannt werden.“

Wulfekuhl will demnächst versuchen, dieser Idee zu folgen und DVU-WählerInnen mit DVU-Gegnern in der Landeszentrale an einen Tisch zu bringen. taz

Die „10 Zwischenfragen“ im Wortlaut

1. Werden wir Wähler rechtsextremer Parteien und resignierte Nichtwähler als gleichberechtigte Gesprächspartner akzeptieren, oder leitet uns die paternalistische Haltung „Ich weiß besser, was gut für Dich ist“?

2. Haben wir diejenigen vor Ort mit einer schnell wachsenden Zahl von Aussiedlern und Asylbewerbern allein gelassen, die mit der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Lebenswelt schon Mühe genung haben?

3. Hat das Gefühl, ein Stück Heimat zu verlieren, rechtsextreme Parteien begünstigt?

4. Wer Barmherzigkeit gegenüber Fremden übt, muß der nicht der Gefahr begegnen, den eigenen Mitmenschen unbarmherzig zu erscheinen?

5. Müssen wir die Aktivitäten mafioser Drogensyndikate und internationaler Menschenschlepper-Organisationen nicht als elementare Bedrohung unserer Verfassungsordnung verstehen und vom Verfassungsschutz verfolgen lassen?

6. Von Bari, über Kärnten, Marseille bis Bremen: Erleben wir den beginnenden kollektiven Reflex der westeuropäischen Industriezivilisation auf nahende Umbrüche und Verwerfungen durch Armutswanderungen?

7. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“: Gebietet unsere jüngere Geschichte das dauerhafte Festhalten am jetzigen Inhalt von Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz?

8. Hat nach der deutschen Vereinigung eventuell eine Projektion des früheren Selbstbestrafungsgedankens, die deutsche Teilung sei (ewige) Strafe für Auschwitz, auf Asylbewerber und Zuwanderer stattgefunden?

9. Was hindert die deutsche Innenpolitik, den Streit um Artikel 16 GG den anderen elf demokratischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft zur Lösung anzuvertrauen, die mit Deutschland eine politische Union gründen wollen, auch und gerade wegen der leidvollen gemeinsamen Vergangenheit?

10. Gibt es einen deutschen Hang zum Irrationalen und Utopischen, aus dem heraus wir Fremde entweder erbarmungslos umbringen oder kritiklos lieben?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen