: Kettenreaktion auf Möllemann-Vorstoß
■ Kohl will im Tarifstreit nicht vermitteln/ CDU-Arbeitnehmer fordern „Konsensgespräche“ für die anstehenden Tarifverhandlungen/ Möllemann setzt sich für Koalitionsgeschräch ein
Bonn (ap/taz) — Möllemann, geh du voran — was einst die Liberalen ihrem dynamischen Polit-Yuppi auf den Weg gaben, scheint sich der heutige Wirtschaftsminister zu Herzen genommen zu haben. Genau rechtzeitig zur besinnlichen Jahreswende preschte Möllemann vor, um genau das öffentlich anzumahnen, was die Wirtschaftsforschungsinstitute reihum für das zarte Pflänzchen Wachstum gefordert hatten: möglichst niedrige Tarifabschlüsse. Doch mit seinem Vorschlag, die Abschlüsse in diesem Jahr müßten eine vier vor dem Komma haben und dieses Maß für Beamte sei noch vor der Tarifrunde im öffentlichen Dienst per Gesetz festzuschreiben, landete der Hobby-Fallschirmspringer mitten im Wespennest. Nachdem Gewerkschaften, Oppositionspolitiker und CDU-Arbeitnehmer sich vehement gegen die Einmischung des für die Konjunktur zuständigen Wirtschftsministers in die Tarifautonomie verwahrt hatten, wuchs sich Möllemanns Manöver zu einem Kabinettssteit aus.
Ungewohnt deutlich fuhr der für die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst zuständige Innenminister Rudolf Seiters (CDU) dem Kabinettskollegen in die Parade. Verkehrsminister Krause, oberster Dienstherr der Bahn-Beschäftigten, erklärte, Tarifabschlüsse seien „ausschließlich Sache der Tarifvertragsparteien“. Er plädierte für einen volkswirtschaftlich vertretbaren Abschluß, bei dem der öffentliche Dienst „Vorbildfunktion“ übernehmen sollte. Die ÖTV-Forderungen von 9,5 Prozent bezeichnete er als überzogen. Auch der Kanzler schaltete sich ein und ließ seinen Regierungssprecher erklären, er werde keine Vermittlerrolle zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften übernehmen. Kohl wird damit dem Vorschlag aus dem Arbeitnehmerlager der CDU, in „Konsensgesprächen“ Rahmendaten für die anstehenden Lohnverhandlungen festzulegen, nicht folgen.
Der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, Heribert Scharrenbroich hatte in einem Zeitungsinterview für „Konsensgespräche“ plädiert, in denen ein Rahmen vereinbart werden sollte, der auch die künftigen Belastungen und Entlastungen für die Beschäftigen und die Arbeitgeber berücksichtigt. Scharrenbroich, der Möllemanns Besoldungsbegrenzung für Beamte als unrealistisch bezeichnete, sprach dem Minister die Zuständigkeit für diese Frage ab. Möllemann, so der Unionspolitiker, untergrabe durch unqualifizierte Äußerungen „in besorgniserregendem Maße“ seine eigene Autorität — auch bei Wirtschaft und Arbeitgebern.
Gesamtmetall-Präsident Hans- Joachim Gottschol begrüßte dagegen den Vorschlag als Möglichkeit, vernünftige Lösungen zu suchen. Ob allerdings grundsätzlich Gespräche außerhalb der Tarifrunde sinnvoll seien, müsse noch genau geprüft werden. Ihm sei jeder Vorschlag recht, der den öffentlichen Dienst aus der sogenannten Tarifführerschaft bringe. Überhöhte Tarifabschlüsse würden die Investitionen in Ostdeutschland gefährden, so Gottschol.
Der DGB-Vorsitzende Heinz- Werner Meyer forderte, das Verhandlungsklima der Tarifparteien nicht weiter anzuheizen. Die Tarifforderungen stünden in einem vernünftigen Verhältnis zu Leistungskraft und Entwicklung der Wirtschaft, verteidigte Meyer die ÖTV- Forderungen. Zum Vorschlag des Wirtschaftsministers sagte Meyer: „Tarifpolitik läßt sich nicht auf Möllemann-Niveau lösen.“ es
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