piwik no script img

Jago als Dr.Jekyll

Thomas Reichert inszeniert „Othello“ im hannoverschen Ballhof  ■ Von Michael Stoeber

Die beherrschende Figur ist Jago. Breit hingefläzt, die langen Beine mit den Legionärsstiefeln von sich gestreckt, das Käppi in die Stirn gerückt, zwischen Daumen und Zeigefinger das unvermeidliche Kettchen schwingend, mit dem der müßiggehenden mediterrane Mann so gerne spielt. Er hat nichts vom überhitzten, von Rachsucht und Eifersucht zerfressenen Höfling, aber alles von einem kühl kalkulierenden Machiavellisten. „Rache ist ein Gericht, das Leute von Geschmack kalt genießen“, heißt es bei Oscar Wilde, und kalt bis an die Haarwurzeln geht dieser Jago vor. Fast beiläufig, unbeeilt und unbeeindruckt legt Hans-Henning Heers als Jago seine Fallen aus. Der Haß, der ihn treibt, ist Selbsthaß. Er kennt die Schwächen der Menschen gut, weil er aufmerksam in die eigenen Seelenabgründe geschaut hat. Er ist ein ebenso brutaler Milizionär wie menschenverachtender Experimentator. Die anderen, Rodrigo, Cassio, Othello, Desdemona und Emilia, erscheinen wie unter dem Zwang einer von Jago inszenierten Laboranordnung zu stehen, bewegt von der dämonischen Kraft eines Dr.Jekyll. Jago als denaturierter Gelehrter und Terminator der Tragödie Shakespeares.

Das ist spannend zu beobachten. Was indes bei Thomas Reicherts Inszenierung zu kurz kommt, ist das eigentliche Eifersuchtsschema, jenes „grünäugigen Monsters“, wie es bei Shakespeare heißt. Reichert hat weniger die Feinmotorik der Psychopathologie als die Grobmotorik der Xenophobie im Blick. Ihn interessiert das soziale Drama des Mohren. Othello als Outcast. Auch wenn diesem die Serenissima Venedig lächelt, sie tut es doch nur, weil sie ihn braucht. Othello als Gastarbeiter: Der gegen die Türken siegende Condottiere ist Nothelfer einer Gesellschaft, zu der er nicht gehört und nie gehören wird. Hat der Mohr erst seine Schuldigkeit getan, wäre man ihn am liebsten los. Und daß er die freche Tatze auf eine der milchweißen Frauen Venedigs legt, ist im Grunde allen, nicht nur Jago, unerträglich.

Jan-Gregor Kremps massige Gestalt ist ständig in Bewegung, rhythmisch wiegt sich sein Othello beim Gehen und stellt eine Art animalischer Kraft aus. Sein Körper erzählt von einer Einheit mit den Kräften der Natur, die den Kopfmenschen Venedigs, den Krämern und Militärs längst verloren gegangen ist, und die sie an ihm als schwarze Magie und Teufelswerk denunzieren. Und in der Tat, im Glück wie im Leid, in Zeiten der Seligkeit wie der Konfusion, sucht Othello Kontakt mit der Natur: Er geht in die Hocke, als wolle er der Erde näher sein und stimmt einen Singsang an, als wolle er die Geister der Natur beschwören, ihm beizustehen oder seine Freude zu teilen. Am Ende ist es dieses Anderssein, diese tellurische Naivität, die sich der kalten, technokratischen Intelligenz des Jago nicht gewachsen zeigt. Sie läßt Othello scheitern und macht ihn blind für dessen Intrigen.

Reichert inszeniert vorrangig dieses Anderssein: Othello ist ein naiver Außenseiter, der auch eifersüchtig ist, so wie umgekehrt in der Definition von Max Frisch der Eifersüchtige immer ein Mohr ist — aus dem Gefühl des Minderwerts heraus.

In dem Maße, wie Othello mehr mit dem Körper denkt als mit dem Verstand, wird sein Körper zum Spiegel all seiner Emotionen. Ist der Schock über Jagos infame Hiobsbotschaften übergroß, verfällt er in Stupor, während Jagos Körper kühl und beherrscht bleibt. Othellos Emotionen konzentrieren sich in den Extremitäten seiner Finger. Sie sind immer in Bewegung, sie öffnen sich in der Freude, verkrampfen sich im Schmerz, flattern hilflos in der Ohnmacht oder strecken sich in der imperialen Geste des Feldherrn. Jagos Kettchenspiel dagegen ist mitleidlos wie ein Metronom, unveränderlich wie das Fatum.

Die fast leere Bühne, das minimalistische Dekor zeugen von einer Aufführung, die ganz im Vertrauen auf die Kraft der Sprache und die Komplexität der Charaktere agiert. Dieser Aufgabe zeigen sich alle Beteiligten gewachsen. Dennoch blieb der Premierenapplaus verhalten. Man möchte meinen, daß das mit der verstörenden Verlautbarung der lokalen Presse vom selben Tag zu tun hat. Der Intendant Eberhard Witt hat seinen Vertrag in Hannover nicht verlängert und wird in zwei Jahren an das Münchner Residenztheater wechseln.

Schock und Betroffenheit unter den Theaterfreunden der Landeshauptstadt. Sollte das hannoversche Theaterwunder damit schon wieder vorbei sein? Wie kam es zu Witts Entschluß? Witt beklagt, er habe bei der Stadt keine Unterstützung und kein offenes Ohr für seine Initiativen gefunden. Briefe seien wiederholt unbeantwortet geblieben; die Stadt wirft ihm vor, er bemäntele seinen Ehrgeiz nach einem größeren Theater mit faulen Vorwänden.

Fakt ist, daß Stadt und Land wenig Geld haben und den kostspieligen Plänen des neuen Intendanten wohl nicht immer allzu enthusiastisch gegenüberstanden. Hannover wird sich daran gewöhnen müssen, daß qualitätvolles Theater Geld kostet. Möglich, daß sich hier wiederholt, was in Hamburg und anderswo längst Schule gemacht hat. Der Theaterdonner des scheidenden Intendanten wird zum vom Kapital gesegneten Salut für den neuen. Möge er auch die künstlerischen Qualitäten eines Eberhard Witt haben!

William Shakespeare: Othello , Regie: Thomas Reichert, Bühne: Barbara Nestler. Mit Jan-Gregor Kremp, Hans-Henning Heers, Maike Bollow, Thorsten Nindel und anderen. Im Ballhof Hannover. Nächste Aufführungen: am 16. und 19.Januar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen