KOMMENTARE: Skurriler Prozeß
■ Die Aufarbeitung des DDR-Unrechts muß die Hauptverantwortlichen erreichen
In Dresden findet derzeit ein skurriler Strafprozeß statt. Juristisch zur Verantwortung gezogen werden da Wolfgang Berghofer und Werner Moke, die — wie unzählige mittlere Funktionäre des SED-Regimes — im Frühjahr 89 die Erfolgsquote der Nationalen Front bei den Kommunalwahlen von 90 auf 98 Prozent hochkorrigierten. Dabei hätte — so wissen die Prozeßbeteiligten heute — allein die ungeschminkte Veröffentlichung des korrekten Wahlergebnisses die Galgenfrist für die Partei und ihren Staat noch ein wenig verlängern können. Doch statt das korrekte Ergebnis als überwältigende Zustimmung und das Eingeständnis der zehnprozentigen Ausfallquote als Indiz für neuen politischen Stil zu verkaufen, geriet der 99-Prozent-Fetischismus der alten Garde zum Anfang vom Ende.
Nach dem Wahlbetrug schwoll die Ausreisewelle der endgültig Frustrierten, wurde der Republiksgeburtstag zum Fiasko, fielen erst Honecker, dann die Partei, am Ende die DDR. Die Wahlfälscher haben den Umbruch vorangetrieben — mit einer auch nach DDR-Recht strafbaren Handlung. Die Schwere der Schuld wird zwar nicht durch die unwillentlich positiven Folgen der Tat, wohl aber durch die Zustimmung des übergroßen Teils der Bevölkerung zum Wahlaufgebot relativiert. Der Dresdner Prozeß macht nur dann Sinn, wenn auch der Zusammenhang zwischen Regierungskriminalität und ihrer widerstandslosen Duldung, zwischen unverschämten Herrschaftspraktiken und mangelnder Zivilcourage thematisiert wird.
Skurril wirkt das Dresdner Verfahren aber auch, weil ähnlich wie in vorangegangenen Prozessen wieder nur Vergehen verhandelt werden, denen — gemessen an der inhumanen Praxis des Regimes — eben doch nur marginale Bedeutung zukommt. Mit jedem weiteren Urteil wegen Veruntreuung oder (Wahl)-Betrug wird der Anspruch einer juristischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts nicht bestätigt, sondern ad absurdum geführt.
Wenn die Interviewgrüße Erich Honeckers, die ausweichenden Äußerungen von Egon Krenz oder das Heldenepos eines Hans Modrow die einzigen Erklärungen bleiben, die der Rechtsstaat den zentralen Funktionären des Regimes abverlangt, geraten die Prozesse gegen die mittleren und unteren Chargen zwangsläufig in ein schiefes Licht. Dabei wären eine strafrechtliche Wahrheitsfindung und der prozessuale Erklärungszwang der Krenz und Modrow auch dann für die Aufarbeitung der DDR- Vergangenheit unabdingbar, wenn am Ende nicht die Verurteilung steht. Die schmerzhafte Transparenz mittels Stasi-Akteneinsicht und der Enttarnung inoffizieller Mitarbeiter ist nur dann sinnvoll, wenn endlich auch die Verantwortung der Systemspitzen ins Blickfeld gerät. Matthias Geis
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