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Repräsentation in rotem Backstein

■ Von allerlei Geschichten, die sich um das Berliner Rote Rathaus ranken — ein empfehlenswertes Buch

Aufgrund der Verhandlungen konnte der Magistrat sodann zur Wahl des Baumeisters schreiten, und fiel dieselbe auf den Baumeister Waesemann, der sich bereits durch mehrere Bauten einen Ruf erworben hatte, und zu der Hoffnung berechtigte, daß er ein hervorragendes Monument für die Stadt werde entwerfen und ausführen können. Nachdem über alle diese Bedingungen für den weiteren Fortgang des Baues ein Einverständnis beider Communalbehörden erzielt worden war, gegen die Wahl sich auch Bedenken nicht gefunden hatten, wurde im Laufe des Monats Mai 1859 der Engagements-Vertrag mit dem gewählten Baumeister abgeschlossen, und demselben darin die Entwerfung des Bauplanes nach Maßgabe des hierbei aufgestellten Programms und der Bau des Rathauses selbst übertragen.«

Seine oben erwähnte Reputation hatte sich Hermann Friedrich Waesemann, der Architekt des Roten Rathauses, als Baumeister am Neuen Museum unter der Leitung von Friedrich August Stüler und als Kondukteur bei der Schloßbaukommission in Berlin erworben. Zuvor war er Schüler der Berliner Bauakademie (1832-35). Unter seiner Leitung entstanden die Kuppel des Berliner Stadtschlosses über dem Portal III, die Kapelle sowie der Umbau des Weißen Saales und der Paradekammern nach Entwürfen von Stüler und Albert Schadow.

Der Bau des Rathauses selbst vollzog sich im wesentlichen in den Jahren 1860-69, einige Innenausbauten zogen sich noch über mehrere Jahre hin. Die bildkünstlerische Ausgestaltung der Balkonbrüstungen schließlich wurde erst in den Jahren 1876-79 gefertigt und angebracht (siehe Kasten).

Eines der interessantesten Kapitel in dem jetzt erschienenen Buch über das Berliner Rathaus ist (neben dem über die verschiedenen Architekturkonkurrenzen) dasjenige über das Schicksal der zuvor neben dem Rathaus stehenden Gerichtslaube. Sie war nach dem Abriß des Alten Rathauses das letzte Überbleibsel der städtisch-profanen Geschichte Berlins; und schon deshalb erhitzten sich jahrzehntelang die Gemüter über der Frage nach Abriß oder Erhalt dieses denk- und merkwürdigen Baus. »In den Neubau (des Rathauses) integriert wurden vier der acht Schlußsteinköpfe vom Neringschen barocken Rathausflügel der Spandauer Straße, die als Frühwerk von Andreas Schlüter gelten.«

Das Buch zitiert auch einen Brief des Kronprinzen Friedrich Wilhelm an den Staatsminister von Müller vom 22. Juli 1868, in dem der unbedingte Wert der alten Gerichtslaube hervorgehoben wird: »Aus den öffentlichen Blättern entnehme Ich, daß die Entscheidung über das Schicksal der Berliner Gerichtslaube nunmehr noch bevorsteht und wie es scheint, lediglich von einer Ihrerseits zu ertheilenden Genehmigung zum Abbruch derselben abhängt. Wenn Ich auch nicht verkenne, daß aus Gründen der Zweckmäßigkeit die Entfernung der Gerichtslaube gerade von der Stelle, auf welcher sie steht, nothwendig sein mag, so wünsche Ich doch lebhaft, daß man den historischen und architectonischen Wert derselben nicht verkennen und deshalb auf die Erhaltung dieses alten und merkwürdigen Bauwerkes durch Überführung an einen anderen geeigneten Platz Bedacht nehmen möge. Ich würde es mit besonderen Danke erkennen, wenn Sie auf diesen Gesichtspunkt eingehen und an die Genehmigung zum Abbruch der Gerichtslaube die Bedingung knüpfen wollten, daß dieselbe an einem andern, hierzu geeigneten Platze aufgestellt werde.« Soweit der Kronprinz.

Was dann folgt, könnte auch eine Rathausposse aus unseren Tagen sein: Zunächst wird der Abriß beziehungsweise die säuberliche Abtragung der Laube durch den Deutsch- Französischen Krieg verhindert. Dann, nach der Kaiserproklamation König Wilhelm I. am 18. Januar 1871, winden sich die Stadtoberen, ducken sich, zeigen wie allerorten in solchen Fällen Kleingeist: »...beschließen die Stadtväter auf einer außerordentlichen öffentlichen Sitzung die notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung der bevorstehenden Ereignisse... Rückkehr Seiner Majestät des Kaisers und Königs: ...Empfang auf dem Bahnhofe... Illumination des Rathauses.«

Unter Umgehung der vorher besprochenen und beschlossenen behutsamen Abtragung und der damit einhergehenden bauhistorischen Untersuchungen wird nun flugs in sechs Tagen das Denkmal abgebrochen. (Es steht nun, anstelle einer »schönen Aussicht«, auf der Lennéhöhe im Park von Babelsberg.) Nur damit »Seiner Majestät« für ein paar Minütchen der Blick auf das Prachthaus ohne die olle Laube gewährt werden kann. Nun gut, diese Scham- und Gedankenlosigkeit kennen wir. Sie hält an bis in unsere Tage (man denke nur an die blödsinnige und unnötig teure »Gestaltung« des Platzes vor dem Reichstag für ein paar hergefahrene Staatsmänner).

All diese Geschichten finden sich also in diesem Büchlein aus dem Henschel Verlag in Berlin. Positiv berührt, daß dieses Buch einmal nicht in Telefonbuch-Manier und -Format und dazu noch oberschlau daherkommt. Jede Wette, daß irgenwer in dieser Stadt an einem Riesen- Opus sitzt und uns in ein paar Jahren damit zu behelligen versucht, unter dem Motto: die erste vollständie Chronik von etc....

Wir unsererseits nehmen dieses von Ingrid Bartmann-Kompa verfaßte und ausreichend illustrierte Buch dankend zur Kenntnis und empfehlen es weiter. Matthieu Anders

Das Berliner Rathaus , Ingrid Bartmann-Kompa. Henschel Verlag Berlin. 118 Seiten, 29,80 DM

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