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Nur in den britischen Pfandhäusern floriert noch das Geschäft

Wenige Monate vor den Wahlen steckt die britische Wirtschaft in einer tiefen Rezession ohne Ende  ■ Von Ralf Sotscheck

Wie ein Sieger war John Major vom EG-Gipfel in Maastricht heimgekehrt. Endlich konnte der britische Premierminister aus dem Schatten seiner Vorgängerin Margaret Thatcher heraustreten. Für die Euro-Fans seiner eigenen Partei hatte er ein paar Häppchen mitgebracht. Doch was für den Tory-Premier viel wichtiger war: Auch der anti-europäische Thatcher-Flügel spendete ihm Beifall. Um der Einheit der Konservativen willen hatte Major die verhaßten „S- und F-Worte“ von britischen Ufern ferngehalten — die Sozialcharta, mit der Minimalrechte der Arbeiter gesichert werden sollten, und den Föderalismus, der die Macht des Europa-Parlaments erweitert.

Doch die nächsten Parlamentswahlen, die spätestens bis Juli stattfinden müssen, werden nicht in Europa, sondern an der ökonomischen Front zuhause entschieden. Nach zwölf Jahren Tory-Herrschaft steckt das Land in einer tiefen Rezession. Die inländische Produktion sank im vergangenen Jahr um mehr als zwei Prozent. Dabei erwischte es einige Branchen besonders stark: So ging die Automobilproduktion im letzten Jahr um rund 40 Prozent zurück. Triebwerkshersteller Rollce Royce und der Luft- und Raumfahrtkonzern British Aerospace mußten Tausende entlassen. Jede Woche müssen 995 Unternehmen Bankrott anmelden; die Arbeitslosenzahl hat in den letzten zwei Jahren um 40 Prozent zugenommen und beträgt mittlerweile über 2,5 Millionen. Besondere Sorge bereitet auch der zusammenbrechende Immobilienmarkt. Die Preise fallen; Zehntausende können ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen. Allein im vergangenen Jahr mußten rund 85.000 Immobilienbesitzer ihre Häuser und Wohnungen räumen und zum Zwangsverkauf an die Banken geben.

Doch was für die Torys noch schlimmer ist: Es gibt nicht das geringste Anzeichen für ein Ende der Talfahrt. Finanzminister Norman Lamont dürfte vermutlich die unbeliebteste Person Großbritanniens sein. Zu oft hat er seit seinem Amtsantritt vor über einem Jahr Silberstreifen am Konjunkturhimmel gesichtet, als daß man ihn noch ernst nehmen könnte. Sein Kabinettskollege, der Industrieminister Peter Lilley setzt seine Hoffnungen auf die investitionsfreudigen Japaner, die mit niedrigen Arbeitskosten und Steuern ins Land gelotst werden sollen.

Wirtschaftsexperten beurteilen die Lage weit schlechter als das Kabinett. „Diese Rezession ist nicht wie die Krisen in der Vergangenheit“, fürchtet die einflußreiche Cambridge-Gruppe für Wirtschaftspolitik und nennt gleich den Schuldigen für die Malaise: „Aufgrund der derzeitigen Politik und des institutionellen Rahmens, der wenig Spielraum zuläßt, handelt es sich um eine Rezession, bei der keine Erholung in Sicht ist.“ Die pessimistischen Experten rechnen bis zur Jahrtausendwende mit mindestens vier Millionen Arbeitslosen. „Gibt es irgendeinen Grund anzunehmen“, fragt sich die Cambridge-Gruppe gar,„daß die dynamische Entwicklung während der nächsten zwölf Jahre — wenn wir keine Öl-Goldgrube mehr haben — besser sein wird als in den vergangenen zwölf Jahren, als es diese Goldgrube noch gab?“ So entpuppte sich etwa das vor dem EG-Gipfel lauthals verkündete Ende der Rezession — im dritten Quartal 1991 war das Inlandsprodukt um 0,3 Prozent gestiegen — als saisonaler Auftrieb der Nordseeölförderung.

Als einzigen Ausweg sehen die Wissenschaftler eine deutliche Abwertung des englischen Pfunds, das sich seit Wochen auf Talfahrt befindet. Dadurch könnte, so die Ökonomen, das Exportgeschäft wieder angekurbelt werden und das Bruttoinlandsprodukt um jährlich 2,5 bis 3 Prozent zunehmen. Doch die einst für britische Regierungen bequemen Pfund-Abwertungen sind nicht mehr so einfach, seit die Währung an den EWS-Wechselkursmechanismus fest gebunden ist. Für die Regierung steht Abwertung ohnehin nicht zur Debatte, weil sie dadurch einen neuen Anstieg der Inflationsrate befürchtet, die sie mit Mühe — und auf Kosten der Arbeitsplätze — von elf auf 3,7 Prozent gedrückt haben.

Die Torys setzen stattdessen auf den persönlichen Verbrauch, mit dem die Wirtschaft angekurbelt werden soll. Doch auch diese Hoffnung ist trügerisch: Die Dienstleistungsbetriebe, die in Großbritannien zwei Drittel der Wirtschaftsaktivitäten ausmachen, berichten von schlechteren Geschäftsumsätzen. Wegen ihrer miesen Bilanzen rücken die Banken ihr Geld nicht mehr so leicht raus; die Briten nutzen die 1991 deutlich gestiegenen Löhne in der gegenwärtigen Unsicherheit zur Rückzahlung ihrer Schulden oder legen es auf die hohe Kante. Der Einzelhandelsumsatz stagniert; mit einem weiteren Absinken des Konsums ist zu rechnen. Für Investitionen ist das Klima nicht viel besser: Die Leitzinsen bleiben wegen der niedrigen Inflation und angesichts des wackeligen Pfundkurses mit 10,5 Prozent nach wie vor sehr hoch. Innerhalb eines Jahres hatte die Bank of England die Zinsen um 4,5 Prozent gesenkt.

Darüber hinaus steckt die öffentliche Zahlungsbilanz tief in den roten Zahlen — ein Erbe der Thatcher-Regierung, für das man Finanzminister Lamont nicht zum Sündenbock machen kann. Obwohl das Wachstum der britischen Wirtschaft seit 1979 nur magere 1,75 Prozent im Jahresdurchschnitt betrug, wurde fleißig importiert. Dazu kam, daß Thatcher 1988 gegen den Rat von Experten die Lohnsteuer kürzte, so daß fast über Nacht sechs Milliarden Pfund (rund 16 Milliarden Mark) an Konsumkraft freigesetzt wurden. Die Lücken im Angebot wurden durch verstärkte Importe gestopft.

Ob die WählerInnen die Tory- Mißwirtschaft an den Wahlurnen quittieren werden, ist nicht einmal sicher. Außer einer diffusen Lohnsteuererhöhung fällt der Labour Party auch nicht viel ein. Angesichts der düsteren Lage herrscht bei den großen Parteien eine verblüffende Einigkeit in der Wirtschaftspolitik. Labour setzt ganz auf den Unzufriedenheits-Effekt und verspricht: „Unter Labour wird es dir besser gehen.“

Der einzige Bereich, der von der Rezession nicht betroffen ist, sind die Pfandhäuser. Seit Ende der siebziger Jahre hat sich die Zahl der Häuser, deren Symbol drei goldene Kugeln sind, mehr als verfünffacht. Stephen Squire, Manager der London Pledge Company, sagt: „Die Rezession wirkt sich für uns nur dadurch aus, daß viel mehr Leute als früher ihre Sachen nicht mehr auslösen.“

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