INTERVIEW: Hannovers Ausstiegspolitik „verdient den Namen nicht“
■ Über die Atompolitik der rot-grünen Landesregierung streiten der neue niedersächsische Umweltstaatssekretär, Jan Henrik Horn (Grüne), und die Sprecherin der niedersächsischen Standort-BIs gegen Atomanlagen, Anna Masuch
taz: Die niedersächsischen Anti-AKW-Bürgerinitiativen haben allesamt die Nase voll von der Ausstiegspolitik der rot-grünen Landesregierung, selbst ein grüner Landesparteitag hat diese Politik bereits mißbilligt.
Anna Masuch: Die Ausstiegsspoltik der niedersächsischen Landesregierung verdient diesen Namen nicht, in mancher Hinsicht ist sie eine Föderung der Atomindustrie. Die niedersächsischen Standort-BIs haben zu ihrer eigenen Überraschung festgestellt, daß das Umweltministerium bei sämtlichen Atomanlagen nicht das getan hat, was es hätte für den Ausstieg tun können.
Jan Henrik Horn: Erst einmal habe ich viel Verständnis dafür, daß sich die Grünen und vor allem die BIs kritisch zu den Konfliktpunkten äußern, die sich hier vor meiner Zeit in den letzten eineinhalb Jahren angesammelt haben. Die Landesregierung hat allerdings auch in dieser Zeit keine Entscheidungen gefällt, die den politischen Willen zum Atomausstieg konterkarieren. Wir verfolgen mit unseren leider manchmal beschränkten Möglichkeiten das gleiche Ausstiegsziel wie die Bürgerinitiativen. Daß es Pannen gegeben hat, will ich gar nicht bestreiten.
Anna Masuch: Mir fallen gleich zwei Entscheidungen ein, die alles andere als Ausstiegsbemühungen sind: So wurde die Errichtung einer Trockenkonversionsanlage in der Lingener Brennelementefabrik erlaubt und die Erweiterung des Kompaktlagers für abgebrannte Brennelemente im AKW Esenshamm ermöglicht. Beide Genehmigungen kann die Landesregierung nicht zurückholen.
Jan Henrik Horn: Als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde kann das Umweltministerium solche länger anhängigen Verfahren nur nach Recht und Gesetz behandeln. Das sind die Sachzwänge. Da kann es zu Entscheidungen kommen, die wir politisch nicht wollen, die aber rechtlich unausweichlich sind. So hätten wir etwa die Erweiterung der Brennelementefertigung in Lingen nicht genehmigt, wenn dies rechtlich möglich gewesen wäre.
Anna Masuch: Rechtlich wäre dies möglich gewesen. Die Landesregierung hätte sehr wohl die öffentliche Auslegung der Genehmigungsunterlagen wiederholen können. Die Genehmigung beruht unter anderem auf Unterlagen über eine angeblich gut funktionierende Pilotanlage in den USA, mit der die Anlage in Lingen vergleichbar sein soll. Diese Unterlagen haben nie öffentlich ausgelegen. Die Landesregierung hat den Ausstieg auf ihre Fahne geschrieben und gibt einer Brennelementefabrik ohne Not eine Genehmigung.
Jan Henrik Horn: Weder die Wähler noch die BIs konnten doch erwarten, daß in diesem mit Atomanlagen wirklich zugepflasterten Niedersachsen nach einem Regierungswechsel diese vielen anhängigen Verfahren nun auf Knopfdruck in die entgegengesetzte Richtung laufen. Wenn ein einzelnes Bundesland sich das Ziel Atomausstieg setzt, so erfordert das angesichts der beschränkten Möglichkeiten eine Prioritätensetzung. Deswegen befassen wir uns derzeit hauptsächlich mit Stade, Gorleben und Schacht Konrad.
taz: Aber auch in diesen prioritierten Bereichen ist das Umweltministerium weit von Erfolgen entfernt. Während der rot-grünen Koalitionsverhandlungen hieß es etwa, binnen Jahresfrist werde das AKW Stade stillgelegt.
Jan Henrik Horn: Ich bin kein Freund solch vollmundiger Ankündigungen. Angesichts der atomrechtlichen Gegebenheiten und der Kalkar- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war solch eine Prognose von vornherein nicht haltbar. Die schnellstmögliche Stillegung von Stade ist dennoch für mich das wichtigste Ziel. Dies heißt ganz klar: Stillegung noch innerhalb dieser Legislaturperiode, und zwar aus Sicherheitsgründen.
taz: Aber unterm Strich steht die Atomwirtschaft in Niedersachsen heute besser dar, als unter der CDU/FDP-Regierung. So gibt es erstmals eine ordnungsgemäße Genehmigung, einen Hauptbetriebsplan, für den Endlagerbau in Gorleben. Das Planfeststellungsverfahren Schacht Konrad, das die CDU jahrelang auf Eis gelegt hatte, ist in die Schlußphase gegangen. Der Bau der Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben schreitet voran.
Jan Henrik Horn: So negativ ist unsere bisherige Bilanz nicht, im Gegenteil, sie ist positiv. So haben wir beim Schacht Konrad ein breite Beteiligung der Öffentlichkeit an dem Verfahren erreicht. Wir haben eine Viertelmillion Einwendungen.
Anna Masuch: Diese Einwendungen hat nicht das Ministerium gesammelt. Dafür haben Anti- AKW-Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet gesorgt, die sich lange und gründlich auf diese Kampagne vorbereitet hatten.
Jan Henrik Horn: Die Zahl ist auch Resultat der Öffentlichkeitsarbeit unseres Ministeriums. Der Konflikt zwischen Frau Griefahn und Klaus Töpfer hat doch das Problem Schacht Konrad überhaupt erst bekanntgemacht.
Anna Masuch: Die Genehmigungsbehörde hat dadurch vielleicht den Namen Schacht Konrad bekanntgemacht. Von den Gefahren dieser Anlage hat sie außerordentlich wenig gesprochen. Darüber haben die Bürgerinitiativen aufgeklärt.
Jan Henrik Horn:Man kann von einer Planfeststellungsbehörde nicht erwarten, daß sie den Bürgern die Bedenken und Einwendungen in die Feder diktiert. Die eigenen Bedenken der Genehmigungsbehörde werden auf dem Erörterungstermin deutlich werden, den wir in diesem Jahr zu Schacht Konrad veranstalten werden und auch veranstalten müssen. Dort wird unser Haus sicher inhaltlich gut vorbereitet sein.
Anna Masuch: Für die Standort-BIs griff schon die rot-grüne Koalitionsvereinbarung zu kurz. Sie hatte von vornherein nur die bekannten Atomanlagen im Blick, so Gorleben und Schacht Konrad. Wer wirklich aussteigen will, darf sein Augenmerk nicht nur auf einen angeblich besonders altersschwachen Reaktor wie Stade richten. Es gibt in Niedersachsen noch drei weitere AKWs und auch die Brennelementefertigung in Lingen. Eine direkte Folge dieser Vereinbarung waren Genehmigungen wie die des Kompaktlagers in Esenshamm. Dort dürfen unter einer veralteten, nur 80 cm starken Reaktorkuppel und vergleichsweise nahe am Reaktorkern jetzt doppelt soviel abgebrannte Brennelemente gelagert werden wie zuvor. Dadurch erhöht sich das Gefährdungspotential beträchtlich. Das ist doch mit dem Ausstiegswillen nicht vereinbar.
Jan Henrik Horn: Beim Lager Esenshamm wurde die bereits aus dem Jahre 1981 stammende Genehmigung durch eine Gerichtsentscheidung voll wirksam. Außerdem konnte niemand davon ausgehen, daß es unter einer rot-grünen Landesregierung überhaupt keine atomrechtlichen Genehmigungen mehr geben würde. Wir sind im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung als Genehmigungsbehörde tätig, wir müssen unsere Kräfte konzentrieren. Wenn wir etwas tun, muß es hinterher auch standhalten — trotz des Weisungsrechts des Bundesumweltministers.
Anna Masuch: Aber das spielte bei Esenshamm keine Rolle. Es wirkt schlicht einschüchternd, wie die rot-grüne Koalition das Weisungsrecht des Bundesumweltministers in der Öffentlichkeit darstellt. Da heißt es, daß binnen kurzem Staatskommissare aus Bonn hier im Umweltministerium die Geschäfte in die Hand nehmen, wenn Niedersachsen eine Weisung des Bundes nicht befolgt. So einfach kann Herr Töpfer seine Weisungen nicht durchsetzen. Dafür gibt es ein bestimmtes Verfahren, das noch nie angewandt wurde.
Jan Henrik Horn: Der Bundesumweltminister muß sich erst an den Bundesrat wenden und dort für den Bundeszwang, für die Einsetzung von Staatskommissaren, die Zustimmung einholen. Er ist also auf die Voten der anderen Bundesländer angewiesen. Bei bestimmten Weisungen, die unsere prioritierten Bereiche betreffen, müßten wir uns in der Tat querstellen, und dann würde dieses Verfahren auf uns zukommen. Dann muß man Standfestigkeit zeigen.
Anna Masuch: Bisher hat sich das Umweltministerium in der Öffentlichkeit als ohnmächtig gegenüber den Weisungen aus Bonn dargestellt. Es hat damit manche AKW-Gegner und auch die eigenen Anhänger, die Wähler von Rot-Grün, demoralisiert.
taz: Noch einmal, die Koalitionsvereinbarung sieht für diese Legislaturperiode vor: Ein AKW stillegen, für die übrigen Ausstiegspläne mit konkreten zeitlichen Vorgaben festlegen, die Endlagerprojekte abbrechen. Was bleibt davon?
Jan Henrik Horn: Das war der politische Wille. Doch heute wäre ich wirklich froh, wenn wir an ein oder zwei Standorten wirkliche Erfolge vorweisen könnten. Wir haben inzwischen die Atomabteilung reorganisiert, auch personell verstärkt. Die drei Projekte, die für uns Priorität haben, werden jetzt in einem gesonderten Referat bearbeitet. Bei Stade, Gorleben und Schacht Konrad sind wir dadurch auf einem guten Weg. Beim Endlager Gorleben prüfen wir jetzt, welche Eingriffsmöglichkeiten die Landesregierung überhaupt in die ja auf Bergrecht fußende Erkundung des Salzstockes hat.
Anna Masuch: Natürlich werden die Anti- AKW-BIs wirklichen Erfolgen der Landesregierung die Anerkennung nicht verweigern. Fortschritte nur an einem oder höchstens zwei Standorten, während ansonsten für die Atomwirtschaft alles seinen gewohnten Gang geht, — das ist wahrlich keine Ausstiegspolitik. Interview: Jürgen Voges
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